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Cum-Ex-Skandal

„Wir kämpfen gegen die Zeit“: Verjährt der größte Steuerraub der Geschichte?
Montag, 17.08.2020 | 11:26
Arne Dedert/dpa Bei Sonnenuntergang ist die Skyline der Bankenstadt Frankfurt am Main in rötliches Licht getaucht

Der Cum-Ex-Skandal: Illegale Steuerkarusselle sollen mindestens 12 Milliarden Euro abgezockt haben, ihre Geldquelle war der deutsche Fiskus. Mittendrin waren Dutzende namhafte Geldinstitute. Jetzt geht die NRW-Regierung im Kampf gegen die Schwindler in die Offensive. Doch innerhalb der Koalition gibt es Streit um die personelle Ausstattung.

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Die Beichte hatte es in sich: Emissäre der Banco Santander trafen sich mit Anne Brorhilker. Die Kölner Oberstaatsanwältin gilt hierzulande als Pionierin im Kampf gegen den organisierten Cum-Ex-Steuerschwindel. Der lateinische Begriff umschreibt ein Handelskarussell von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch, das sich vom deutschen Fiskus gleich mehrfach Kapitalertragsteuern erstatten ließ, die zuvor nicht abgeführt worden waren. Die Experten sprechen auch vom Dividendenstripping.

Beteiligt sind mehrere Akteure an verschiedenen Schaltstellen, die den illegalen Gewinn nach vorheriger Absprache unter sich aufteilen. Der Schaden für den deutschen Steuerzahler erreicht Schätzungen zufolge zweistellige Milliarden-Beträge.

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Welche Gewinnspannen möglich sind, deutete sich beim Besuch der Santander-Vertreter in der Domstadt an. Wie FOCUS Online aus Justizkreisen erfuhr, räumten die Abgesandten gegenüber den rheinischen Strafverfolgern ein, dass interne Untersuchungen bei der spanischen Großbank Cum-Ex-Deals in Höhe von 1,2 Milliarden Euro zutage gefördert hätten.

Zugleich versicherten die Banker, mit den Kölner Strafverfolgern eng zusammenarbeiten zu wollen. Ein seltener Vorgang: „Bisher zeigen sich die Banken wenig kooperativ“, so Peter Biesenbach (CDU) zu FOCUS Online. Der NRW-Justizminister spricht von einer „Steuerhinterziehungsindustrie“.

Cum-Ex-Skandal: 40 große Namen auf der Liste

Neben Brokern, Investoren und Finanzfirmen geraten nach und nach die Banken im Cum-Ex-Skandal ins Blickfeld. Protagonisten von zirka 40 Geldinstituten stehen allein auf der Ermittlungsliste der Kölner Staatsanwaltschaft, darunter das Who is Who der internationalen Finanzwirtschaft. Angefangen bei der Deutschen Bank oder der Commerzbank bis hin zu Merill Lynch, Santander oder der Hamburger Warburg Bank.

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Gegen die Mittelebene der Hanseaten ist gerade beim Bonner Landgericht die zweite Anklage eingereicht worden. Verantwortliche der schweizerischen J. Safra Sarasin Bank dürfen sich zum Jahresende auf eine Anklage wegen Betrugs einstellen. Die Initiatoren sollen über einen Luxemburger Fonds Gelder bei Superreichen eingesammelt haben, um über einen kriminellen Aktienkreisel die Einlagen zu vergolden. Daraus aber wurde nichts: 2011 verweigerten die zuständigen Finanzämter die Auszahlung der Steuererstattungen.

„Der einzige Cash-Bringer für die Banken“

Bei der Wirtschaftsabteilung der Kölner Staatsanwaltschaft laufen bundesweit überwiegend die Ermittlungen in dem Riesenkomplex „Cum-Ex“ zusammen. Das liegt daran, dass man für das Bonner Bundeszentralamt für Steuern zuständig ist. Von dieser Behörde ließen sich die kriminellen Akteure die Kapitalertragsteuern erstatten, die sie zuvor nie gezahlt hatten. Die Cum-Ex-Hochphase lag zwischen 2005 und 2011. Erst dann stopfte der Gesetzgeber das Schlupfloch.

Inzwischen spricht die rheinische Justiz vom größten „Steuerraub der Geschichte“. Gerade in der Phase der Finanzkrise 2008/09 seien die Cum-Ex-Geschäfte „der einzige Cash-Bringer für die Investment-Banken gewesen“, erklärt Torsten Elschenbroich, Leiter der Schwerpunktwirtschaftsabteilungen bei der Kölner Staatsanwaltschaft.

Das letzte Wort soll in Karlsruhe fallen

68 Ermittlungskomplexe führen die zehn Strafverfolger seiner Cum-Ex-Einheit mit insgesamt 880 Beschuldigten. Es geht um einen Steuerschaden in Milliardenhöhe. Hinzu kommen noch die horrenden Geldstrafen im Fall von Schuldsprüchen. So hat das Landgericht Bonn in seinem ersten Urteil im Cum-Ex-Komplex verfügt, bei der beteiligten Warburg Bank 176 Millionen Euro einzuziehen. Die Hanseaten haben dagegen Rechtsmittel beim Bundesgerichtshof eingelegt.

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Karlsruhe soll nun höchstrichterlich klären, ob die Cum-Ex-Deals eine schwere Steuerhinterziehung darstellen. Sollte dem so sein, wollen die Kölner Finanz-Jäger Anklagen bis in die Chefetagen der betroffenen Bankhäuser erheben. „Denn solche Geschäfte werden von ganz oben gebilligt“, sind sich die Strafverfolger sicher.

Und auch dann wird der BGH das letzte Wort sprechen müssen, um Rechtssicherheit für die Justiz zu schaffen. „Denn hier geht es um Frage des Vorsatzes“, stellt Elschenbroich klar. Will heißen: Wussten die Chefbanker um den kriminellen Gehalt des Cum-Ex-Dividendenstrippings?

„Wir kämpfen gegen die Zeit“

Im Gespräch mit FOCUS Online räumt der Oberstaatsanwalt mit Befürchtungen auf, dass etliche Verfahren, die in seinem Haus laufen, verjähren könnten. In dem Zusammenhang verweist der Strafverfolger auf das Neue Corona-Steuerhilfegesetz.

Dieser Paragraf und andere Regelungen legen demnach die Verjährungsfristen weit nach hinten. Elschenbroich: „Das gilt für alle Fällen, in denen wir die Frist unterbrechen konnten.“ So gehen etwa Cum-Ex-Deals aus dem Jahr 2007 erst im 2037 endgültig zu den Akten. „Da bleibt reichlich Raum für eine Anklage“, ist sich der Experte für Wirtschaftskriminalität sicher.

Anders sieht es bei den Neuverfahren aus: „Wir kämpfen gegen die Zeit“, führt Elschenbroich aus. Nach wie vor gehen die Ermittler von einem größeren Dunkelfeld in diesem illegalen Geschäftszweig aus. „Derzeit ist es die wichtigste Aufgabe, die drohende Verjährung bei neuen Verfahren zu unterbrechen“, resümiert der Chefankläger, „das geht nur über Durchsuchungen und die schnelle Auswertung beschlagnahmter Asservate, um die Tatverdächtigen zu ermitteln.“

Fünf Staatsanwälte sind da, 50 werden benötigt

Vor dem Hintergrund hat Justizminister Biesenbach die Cum-Ex-Abteilung um weitere fünf Staatsanwälte auf 15 aufgestockt. „Alles, was wir jetzt finden, wird unterbrochen. Wir müssen schneller sein, als die Verjährungsfristen“, mahnt der CDU-Politiker an. Sollten sich die Fallzahlen weiter erhöhen, will er 2021 fünf weitere Ankläger in die Abteilung geben. Damit gingen dann 20 Staatsanwälte in die Anti-Cum-Ex-Offensive.

In dem Kontext drohen harte Kabinettsverhandlungen in Düsseldorf. Um die Sonderstaatsanwälte ausreichend zu füttern, werden mehr Ermittler bei der Polizei benötigt. Derzeit arbeiten nur fünf Beamte beim Landeskriminalamt (LKA) in NRW für die Kölner Steuer-Ankläger. Nach internen Berechnungen bräuchte man mindestens 40 bis 50 Finanzfahnder beim LKA, um den Cum-Ex-Berg zu bewältigen.

dpa/Federico Gambarini/dpabild NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) räumt beim Cum-Ex-Betrug auf: "Wir müssen schneller sein."

Deshalb will Biesenbach mit seinem Parteikollegen, Landesinnenminister Herbert Reul, über ein großes Cum-Ex-Personalpaket beim LKA verhandeln. Schließlich sollen Milliarden für die Staatskasse zurückgeholt werden. Allerdings setzt Reul derzeit andere Prioritäten: Der Law-and-Order-Hardliner hat den Kampf gegen Kindesmissbrauch und die erklärt und entsprechende Kontingente aus der Kriminalpolizei für diese Aufgaben abgezogen.

Ressourcen, die angesichts der ohnehin knappen Personaldecke bei der Kripo in Bereichen wie Cum-Ex fehlen könnten. Daher fiel die Antwort aus dem Hause Reul äußerst zurückhaltend aus. Tenor: In erster Linie fallen Steuervergehen in „die originäre Zuständigkeit der Finanzbehörden.“ Sprich der Steuerfahndung. Noch kämpfen die Parteifreunde Biesenbach und Reul für sich alleine.

Anderer Skandal, ähnlich nebulös:

Auch im zweiten großen Finanzskandal, der die Gemüter aktuell bewegt, kommen täglich neue Einzelheiten ans Licht: Beschäftigte der Finanzaufsichtsbehörde Bafin haben in den Monaten vor dem Wirecard-Skandal verstärkt mit Aktien des Münchner Finanzdienstleisters gehandelt. Im ersten Halbjahr 2020 seien 2,54 Prozent aller gemeldeten privaten Finanzgeschäfte von Bafin-Mitarbeitern auf Geschäfte mit Wirecard-Papieren zurückgegangen, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Freitag in Berlin. Im Jahr 2019 wären dagegen 1,7 Prozent aller privaten Finanzgeschäfte von Bafin-Beschäftigten auf Wirecard entfallen.

So kommentierten FOCUS Online-Leser diesen Beitrag:

"Mit dem Abzug von dringend für die Ermittlungen im Falle des Cum-Ex-Skandal benötigte Kriminalbeamte, setzt Herr Reul fort, was sein Partei-Kollege Schäuble als Bundesfinanzminister über Jahre getan hatte, die Aufklärung der Cum-Ex-Geschäfte zu verzögern. Es ist atemberaubend, wie deutsche Politiker mit dem Steuerbetrug von mehreren Milliarden umgehen. Kleine Steuersünder werden unnachgiebig von den Finanzbehörden verfolgt."

"Wenn ich 30 Euro Bonus der Krankenkasse vergessen habe, wird das sofort automatisch in der Datenverarbeitung des Finanzamts aufgedeckt und korrigiert. Es geht also beim kleinen Mann! Wenn hier tragende Säulen unserer ehrenwerten Gesellschaft Milliarden abzocken wird von der Politik und den Finanzbehörden erst mal weg geschaut. Besonders wenn ein Finanzminister Scholz gut bekannt ist mit einem Hauptinitiator Christian Olearius, ehemaliger Chef des Bankhaus M.M. Warburg. Dann heuert man sich noch den stellvertretender Bundesvorsitzender der Mövenpicker-Partei (FDP) Herrn Kubicki als Anwalt an und der wird das sicher richten."

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