1. Nachrichten
  2. Gesundheit
  3. Coronavirus
  4. Kekulé zerpflückt Chinas These zu Covid-Ursprung: "Fischmarkt-Theorie war Finte"

Neue Kolumne von Top-Virologe: "Fischmarkt-Theorie war Finte": Kekulé zerpflückt Chinas Thesen zum Corona-Ursprung
  • E-Mail
  • Teilen
  • Mehr
  • Twitter
  • Drucken
  • Fehler melden
    Sie haben einen Fehler gefunden?
    Bitte markieren Sie die entsprechenden Wörter im Text. Mit nur zwei Klicks melden Sie den Fehler der Redaktion.
    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Alexander Kekulé sagt: Es steht außer Zweifel, dass chinesische Behörden und Wissenschaftler die Welt zu Beginn der Pandemie belogen haben.
FOCUS Online/Getty Images Alexander Kekulé sagt: "Es steht außer Zweifel, dass chinesische Behörden und Wissenschaftler die Welt zu Beginn der Pandemie belogen haben."
  • FOCUS-online-Kolumnist

Woher kommt Corona? Darüber rätselt die Wissenschaft immer noch. War es ein Laborunfall, die Pelzindustrie oder der früh verdächtigte Fischmarkt in Wuhan? Virologe Alexander Kekulé über die Wahrscheinlichkeit der Theorien – und warum es für neue Pandemien wohl das Beste ist, wenn der Ursprung unklar bleibt.

Je schwerer das Verbrechen, desto größer ist das menschliche Bedürfnis, dafür einen Schuldigen zu finden. Da verwundert es nicht, dass sich um die Ursache der Corona-Pandemie besonders viele Theorien ranken, sowohl realistische als auch ziemlich phantastische. Wissenschaftlich haltlos ist die Behauptung, der tödliche Krankheitserreger sei vorsätzlich konstruiert worden, sei es in einem chinesischen Schurkenlabor oder im Auftrag von Bill Gates. Ebenso abwegig ist das Pekinger Staatsmärchen, wonach das Coronavirus auf Tiefkühlware aus dem Westen ins Reich der Mitte gelangte.

Mehr zu Alexander Kekulé

Alexander S. Kekulé (62) ist Virologe, Epidemiologe und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Halle (Saale). Zu aktuellen Fragen der Wissenschaft schreibt der studierte Mediziner künftig regelmäßig an dieser Stelle und auf Twitter unter @AlexanderKekule.

Dagegen gehört die versehentliche Freisetzung aus einem Labor zu den Möglichkeiten, die durchaus in Betracht gezogen werden müssen. Der Erreger der Sars-Pandemie von 2003 ist gleich zweimal aus einem Pekinger Forschungsinstitut entkommen. Damals infizierten sich neun Menschen, einer von ihnen starb. Das Pandemievirus Sars-CoV-2 stammt, soweit ist sich die Wissenschaft einig, von einem Coronavirus aus der Fledermaus ab. Die weltweit größte Sammlung solcher Erreger befindet sich ausgerechnet im Wuhan Institute of Virology, direkt neben dem Ground Zero der Pandemie, im Labor von Doktor Shi Zheng-li.

Kommt Corona aus dem Labor einer Fledermausviren-Koryphäe in Wuhan?

Die Virologin, der Kollegen den Spitznamen "bat woman" gegeben haben, ist in Sachen Fledermausviren die internationale Nummer Eins. Als die Wissenschaftlerin im Dezember 2019 vom Ausbruch der mysteriösen Lungenerkrankung vor ihrer Haustüre erfuhr, befürchtete sie nach eigenen Angaben selbst, dass der Erreger aus ihrem Labor stammen könnte. Dies habe sich aber, wie sie sagt, nicht bestätigt.

Dass die ziemlich offensichtliche Möglichkeit eines lab leak lange tabuisiert wurde, hat politische und – leider auch – wissenschaftliche Gründe. Der Vorwurf von Donald Trump, das "Chinese virus" stamme aus einem Labor, sollte offensichtlich von den eigenen Fehlern des US-Präsidenten bei der Pandemiebekämpfung ablenken. Trump war unter Wissenschaftlern auch deshalb unbeliebt, weil er die Mittel für seriöse Forschung in den USA zusammenstrich und zugleich pseudowissenschaftliche Ideen propagierte.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sich im Februar 2020 eine Gruppe von 27 Wissenschaftlern öffentlich gegen die Trump'sche lab leak-Hypothese stellte. Im angesehenen Fachblatt "The Lancet" erklärten sie – in englischer und chinesischer Sprache – ihre "Solidarität" mit den Wissenschaftlern, Ärzten und Mitarbeitern der Gesundheitsbehörden Chinas und lobten die "schnelle, offene und transparente Zugänglichmachung der Daten". Sie verurteilten "Verschwörungstheorien, wonach Covid-19 keinen natürlichen Ursprung hätte". Die überwältigende Mehrheit der Wissenschaft sei demnach überzeugt, dass dieses Coronavirus von einem Wildtier übergesprungen sei. Die Autoren warnten, durch anderslautende Thesen würden "nichts als Angst, Gerüchte und Vorurteile erzeugt" und der globale Kampf gegen das Virus behindert.

Facebook sperrte Einträge, die nicht-natürlichen Ursprung propagierten

Diese drastische Mahnung an Andersdenkende, so gut sie gemeint sein mag, war einer der wichtigsten Gründe, warum die Forscherwelt zum Thema lab leak fortan schwieg – und die Wissenschaftsredaktionen der meisten Leitmedien mit ihr. Sogar Facebook sperrte alle Einträge, die einen nicht-natürlichen Ursprung des Pandemievirus nahelegten. Dabei ist durchaus umstritten, ob die Autoren nicht auch persönliche Interessen verfolgten.

Peter Daszak, einer der Initiatoren des Solidaritätsschreibens, arbeitet seit über 15 Jahren mit Shi Zheng-li zusammen. Für das Projekt hatte seine Organisation 3,1 Millionen Dollar Steuergelder erhalten. Rund 600.000 davon gingen an die "bat woman" in Wuhan – für die Sammlung und Untersuchung neuartiger Viren aus Fledermäusen. Auch andere Unterzeichner des Lancet-Aufrufs erhielten Forschungsmittel für Projekte, die sich mit dem Überspringen gefährlicher Erreger aus dem Tierreich, dem so genannten spillover, beschäftigen.

Laborunfall wäre ein Desaster für Virologen-Szene

Wenn die Pandemie stattdessen durch einen Laborunfall entstanden wäre, noch dazu bei Forschern aus demselben Arbeitsgebiet, wäre das für die ganze Szene ein Desaster. Eine ergebnisoffene Diskussion begann deshalb erst, als der neue US-Präsident Joe Biden Ende Mai eine erneute Untersuchung anordnete. Der prominenteste Unterzeichner des prochinesischen Unterstützerschreibens vom Februar 2020, der New Yorker Virologe Peter Palese, ist mittlerweile von seiner damaligen Position abgerückt und fordert ebenfalls eine gründliche Untersuchung aller Fragen zum Ursprung des Virus.

Andere Autoren, wie der Berliner Corona-Experte Christian Drosten, bekräftigen weiterhin ihre Ablehnung der Laborunfallthese. Weil die lab leak-Hypothese jetzt nicht mehr tabuisiert wird, ist sie allerdings noch lange nicht wahr. Klar ist lediglich, dass Sars-CoV-2 nicht direkt von einer Fledermaus auf den Menschen übergesprungen sein kann, sonst wäre es nicht derart ansteckend. Um eine Pandemie auszulösen, musste sich das Virus zuerst in einem Säugetier anpassen, dessen Immunsystem dem des Menschen sehr ähnlich ist. Das könnten zum Beispiel Marderhunde sein, die in der chinesischen Pelzindustrie in großem Stil gehalten werden. Die in engen Käfigen eingepferchten und immunologisch gestressten Tiere bieten ideale Bedingungen als Trainingslager für Fledermausviren, die sich für eine Pandemie warmlaufen.

Pelzfarmen sind bis heute nicht systematisch untersucht worden

Obwohl diese naheliegende Möglichkeit bereits seit April 2020 diskutiert wird, haben weder die chinesischen Behörden noch die kürzlich von der WHO geschickte Expertengruppe Pelzfarmen systematisch untersucht. Marderhunde (und andere Säugetiere), so viel steht andererseits fest, wurden auch für Versuche im Wuhan Institute of Virology verwendet. Theoretisch könnte auch dabei das Pandemievirus ausgebrütet worden sein.

Infrage kämen insbesondere gain of function-Experimente, bei denen krankmachende Eigenschaften von Viren verändert werden, oder einfache Infektionsversuche mit einem bislang unbekannten Fledermausvirus. Laborchefin Shi beteuerte gegenüber dem Wissenschaftsmagazin "Science", weder unveröffentlichte gain of function-Versuche gemacht zu haben noch Erreger aus Wildfängen zu besitzen, die als Vorstufen für das Pandemievirus in Frage kämen.

Andererseits gibt es in Wuhan zwei weitere Labore, über deren Aktivitäten auch in China nur wenig bekannt ist. Eines davon gehört dem Wuhan Center for Disease Control and Prevention. Die Seuchenbehörde bestreitet, jemals Fledermausviren besessen oder damit gearbeitet zu haben. Im Internet kursiert jedoch ein chinesisches Video, das einen der Mitarbeiter beim Einfangen der Tiere zeigt und stolz erklärt, man habe Dutzende von Fledermaushöhlen besucht und dort hunderte Proben für die Virusforschung gesammelt.

Und schließlich ist da noch das erst 2018 in Betrieb genommene Viruslabor der höchsten Schutzstufe 4, bei dem es laut einem Bericht der "Washington Post" schon länger Sicherheitsprobleme gegeben haben soll. Was dort gemacht wird, ist offenbar selbst dem US-Geheimdienst ein Rätsel. Falls es tatsächlich Tierexperimente mit gefährlichen Coronaviren gegeben haben sollte, wäre dieser Laborkomplex dafür jedenfalls besser geeignet gewesen als die Stufe-3-Labore von Doktor Shi.

Surftipp: Infos zum Virologen - Alexander Kekule: Alter, Frau, Einkommen

Peking will der Welt etwas verheimlichen

Es steht außer Zweifel, dass chinesische Behörden und Wissenschaftler die Welt zu Beginn der Pandemie belogen haben und dies auch weiterhin tun. Der angebliche Ursprung im Huanan-Markt in Wuhan war eine Finte, genauso wie die jetzt verbreitete Mär, das Virus sei auf Tiefkühlwaren aus dem Westen gekommen. Peking will der Welt etwas verheimlichen, so viel ist sicher.

Dies könnte theoretisch ein Laborunfall sein. Doch auch Hinweise auf einen Ursprung der Seuche in der milliardenschweren Pelzindustrie des Landes wären Grund genug, das Ausland hinters Licht zu führen. Es ist auch durchaus möglich, dass die Weltmacht in spe nur vertuschen will, dass sie den Ausbruch zu spät erkannt und anfangs unzureichend bekämpft hat – womit sie auf diesem Planeten in bester Gesellschaft wäre. Deshalb besteht kaum Hoffnung, dass der patient zero der Pandemie und das Säugetier, von dem er sich angesteckt hat, jemals gefunden werden.

Müssen wir den Virus-Ursprung kennen, um besser mit der nächsten Pandemie umzugehen?

Einige meiner Fachkollegen meinen, dass wir ohne dieses Wissen blind auf die nächste Katastrophe zusteuern, weil wir nicht vorhersagen können, auf welche Weise neue Seuchen entstehen. Andererseits konnte China die gegenwärtige Pandemie nicht verhindern, obwohl man den Ausbruch eines sehr ähnlichen Coronavirus aus dem Jahr 2003 weitgehend aufgeklärt hatte: Bei der Lungenkrankheit Sars wurden das Vorläufervirus bei Fledermäusen, das Überträgertier (eine Schleichkatze) und sogar der erste Patient wahrscheinlich identifiziert.

Umgekehrt werden Ebola-Epidemien inzwischen schnell erkannt und eingedämmt, obwohl die Quelle im Tierreich seit über 40 Jahren partout nicht zu finden ist. Tatsächlich haben wir, egal wie das chinesische Versteckspiel weitergeht, den Schlüssel zur Vermeidung künftiger Pandemien bereits in der Hand: Wir müssen neuartige Infektionskrankheiten frühzeitig erkennen und eingrenzen, bevor sie sich unkontrolliert weiterverbreiten.

Dafür ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit China und anderen Staaten erforderlich, in denen Menschen besonders intensiven Kontakt zu Wildtieren haben. Auch die umstrittenen gain of function-Experimente werden sich nur durch Transparenz und internationale Vereinbarungen kontrollieren lassen. Schuldzuweisungen, ausländische Bevormundung und forensische Ermittlungen können uns diesem Ziel nicht näherbringen. So paradox es auch klingen mag: Wahrscheinlich wäre es in diesem Kriminalstück das Beste, wenn der Schuldige, sofern es ihn gibt, nie gefunden wird.

Surftipp: Tiermarkt oder Labor? - Woher stammt das Coronavirus? Drei China-Theorien kursieren

Beliebte Urlaubsziele bald keine Corona-Risikogebiete mehr: Das ändert sich jetzt

FOCUS online/Wochit Beliebte Urlaubsziele bald keine Corona-Risikogebiete mehr: Das ändert sich jetzt

Auf Schafskälte folgt Hitzewelle: Der Sommer kommt nach Deutschland

The Weather Channel Auf Schafskälte folgt Hitzewelle: Der Sommer kommt nach Deutschland
Zum Thema
Bloß nicht am Abend! Das ist der perfekte Zeitpunkt zum Gießen Ihrer Pflanzen

Tipps vom Profi-Gärtner

Bloß nicht am Abend! Das ist der perfekte Zeitpunkt zum Gießen Ihrer Pflanzen

Einfaches Rezept für Spargel: So wird das Sommergemüse besonders schmackhaft

Schmeckt wie beim Profi

Einfaches Rezept für Spargel: So wird das Sommergemüse besonders schmackhaft

Kekulés Plateau-Theorie - warum die Corona-Zahlen nur noch langsam sinken

Veränderungen in der Nachkommastelle

Kekulés Plateau-Theorie - warum die Corona-Zahlen nur noch langsam sinken

Sie waren einige Zeit inaktiv, Ihr zuletzt gelesener Artikel wurde hier für Sie gemerkt.
Zurück zum Artikel Zur Startseite
Lesen Sie auch