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Steigende Kriminalität: Schwedische Städte werden von Clans beherrscht, jetzt suchen Polizisten Hilfe in NRW
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Polizisten stehen bei einer Razzia gegen Clan-Kriminalität in einem Lokal.
Ina Fassbender/dpa/Bildarchiv Polizisten stehen bei einer Razzia gegen Clan-Kriminalität in einem Lokal.
  • FOCUS-online-Reporter

Die maskierten Killer verübten ihr Attentat mit großer Präzision. Am 9. Juli 2021 stürmten die beiden Männer mit der Pistole im Anschlag in den Barbershop „Damas Sax“ in Göteborg. Gezielt eilten sie auf einen Kunden zu, der ahnungslos im Friseurstuhl saß. Die Männer feuerten ihrer Zielperson von hinten in den Kopf. Der arabischstämmige Mittzwanziger starb noch am Tatort. Bis heute suchen die schwedischen Behörden erfolglos nach den unbekannten Todesschützen.

Die Ermittler gehen von einem Mord im Drogen-Milieu aus, der vor allem in den Problemvierteln der großen schwedischen Metropolen durch kurdisch-libanesische Clans beherrscht wird. Die Gewalt durch die etwa 40 bekannten Großfamilien hat den einst so friedlich, liberalen Vorzeigestaat in eine schwere Sicherheitskrise gestürzt.

In Schweden sterben jedes Jahr mehr Menschen durch Schusswaffen als im Rest Europas. In den vergangenen fünf Jahren registrierten die Behörden mehr als 2500 Schießereien, dabei kamen knapp 200 Menschen ums Leben. Bei Tätern wie Opfern handelt es sich meist um Gang- und Clanmitglieder. Junge Männer, die in den sozialen Brennpunkten aufwachsen und alles anstellen, um nach oben zu gelangen. Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Sozialleistungsbetrug und blutige Revierkämpfe stehen auf der Agenda.

Oft schicken die Clans jugendliche Mitglieder als Killerkommandos aus. Denn das schwedische Gesetz sieht für Täter unter 21 Jahren einen enormen Strafrabatt vor. 2018 kam eine europäische Vergleichsstudie zu dem Schluss, dass das Todesrisiko durch eine Schusswaffe für 15- bis 29-jährige Männer in Deutschland zehnmal niedriger ist als in Schweden.

Strategie der 1000 Nadelstiche gegen Clans in Essen

Mit neidvollen Blicken schauen die skandinavischen Ermittler der Organisierten Kriminalität (OK) nach NRW. Vor allen Dingen zum Clanhotspot Nummer Eins in Essen. Hier hat Polizeipräsident Frank Richter vor einigen Jahren eine Besondere Aufbauorganisation (BAO) eingerichtet, um die kriminellen Clan-Zweige, die insbesondere die ärmeren nördlichen Viertel terrorisierten, zurückzudrängen. Und zwar durch ein ganzes Maßnahmenpaket.

Neben verdeckten Ermittlungen gehen Polizei und städtische Behörden wie Ordnungs-, Gewerbe- oder Gesundheitsamt bis hin zu Bauaufsicht und Feuerwehr konzentriert gegen Clan-Lokale, Shisha-Bars oder Betriebe vor, die illegale Gewinne erwirtschaften. Zum großen Aufschlag gehören auch Verkehrskontrollen oder Razzien mit Zoll und Steuerfahndung.

Die Strategie der 1000 Nadelstiche zeigt bereits Erfolge, bekundet Richter im Gespräch mit FOCUS Online: „Durch diese Netzwerkpartnerschaften sind wir ein großes Stück weitergekommen, die Clan-Szene weiß nun, dass Essen kein einfaches Pflaster mehr ist.“ Zugleich eröffnen die neuen Geldwäscheparagrafen der hiesigen Justiz größere Chancen, kriminelles Clan-Vermögen abzuschöpfen.

Großrazzia gegen Clankriminalität in Essen
dpa Polizisten stehen während einer Razzia vor einem Wettbüro in Essen.

Gewaltwelle im Clan-Milieu

Solche Vorzüge haben auch die schwedischen Kollegen registriert. Seit gut drei Jahren herrscht ein reger Informationsaustausch zwischen nordrhein-westfälischen und skandinavischen Strafverfolgern.

Den Anfang machte Schwedens Vize-Polizeichef Mats Löfving mit einem Besuch in der Ruhrmetropole im November 2018. Eine seiner ersten Fragen betraf die Kriminalstatistik: „Wie viele Anschläge durch Handgranaten und Schusswaffen gibt es jährlich in ihrer Stadt ?“ Die deutschen Kollegen schauten ihn verwundert an. Beileibe konnte man mit der schwedischen Gewaltwelle im Clan-Milieu nicht mithalten.

Im hohen Norden nimmt diese stetig zu. Ähnlich wie hierzulande gilt auch dort die Familienehre als ehernes Gesetz, Konflikte löst man untereinander, die Staatsmacht bleibt außen vor oder wird bekämpft. Manche Viertel mutierten zu No-Go-Areas. Während einer Fehde riegelten zwei rivalisierende Banden in Göteborg ganze Straßenzüge ab. Die Clan-Mobster verhängten in ihren Stadtteilen Ausgangssperren.

Schwedische Polizei häufig machtlos

Tötungsdelikte sind an der Tagesordnung: Im August 2019 musste die Mutter eines zwei Monate alten Säuglings sterben, weil sie in einem Mordfall gegen eine Gang ausgesagt hatte. Mitunter trifft es auch Unbeteiligte. So starb die zwölfjährige Adriana N. südlich von Stockholm ein Jahr später, als sich rivalisierende Bandenmitglieder an einer Tankstelle gegenseitig beschossen.

Ende Mai 2021 gingen hunderte Angehörige zweier Großfamilien in der Göteborger Trabantensiedlung im Stadtteil Hjällbo aufeinander los. Die Semmos stellten sich gegen den allgegenwärtigen Ali-Khan-Clan, der ganze Vorstadtviertel kontrolliert. Machtlos schauten die Ordnungshüter den Ausschreitungen zu, ohne einzugreifen. Im Polizeifunk sprach man von einem „Aufstand“. Zwei Tage später erschoss ein junger Somalier einen Abkömmling der Semmo-Sippe. Vermutlich agierte er im Auftrag des gegnerischen Clans.

Im Juni 2021 starb ein Polizeibeamter durch Schüsse eines 17-jährigen Gangsters im Gang-Viertel Biskopsgarden in Malmö. Der Todesschütze war erst kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden, in dem er wegen Mordversuchs einsaß. In dem Quartier lieferten sich zwei Banden seit längerer Zeit einen erbitterten Krieg.

Familien in Schweden und im Ruhrpott arbeiten eng zusammen

Viele der kurdisch-arabischen Clans in Schweden unterhalten Ableger im Ruhrgebiet. Und so stellte die Essener Polizei im Sommer 2021 an der Grenze fest, dass etliche Milieu-Größen ihren „Brüdern“ in Göteborg zur Hilfe eilen wollten, als es dort zur Sache ging. Die Personalien kabelte man umgehend an die schwedischen Kollegen. „Die Informationsflüsse laufen hier hervorragend, so wie es in der EU funktionieren sollte“, berichtet Bernd Röser, Chef der Essener BAO Clan.

Großrazzia gegen Clankriminalität in Essen
dpa Polizisten beschlagnahmen während einer Razzia einen Spielautomaten.

Nach Erkenntnissen anderer Sicherheitsbehörden an Rhein und Ruhr arbeiten die Familien in Schweden und im Ruhrpott etwa beim Drogenhandel eng zusammen. „Es gibt allerdings auch Hinweise auf Geldwäsche“, berichtete ein hochrangiger Ermittler.

So etwa bei der Großsippe Ali-Khan. Während diese in Skandinavien als unangefochtener Matador gilt, zählt die NRW-Gruppierung im Lagebild des Landeskriminalamts NRW nicht zu den Top-5 unter den 112 gelisteten arabisch-türkischen Clans. Gelsenkirchen firmiert als Ali-Khan-Hochburg. Hier führen die Ermittler etwa 60 Mitglieder in ihrem Register, ein größerer Teil füllte bereits Strafakten. Ferner rechnen Insider eine große Diskothek in der Essener City der Familie zu. Abseits der legalen Geschäfte verfolgen kriminelle Zweige andere Ziele.

Schwedisch-deutsches Joint Venture

Ein schwedisch-deutsches Joint Venture förderte in einem anderen Fall zutage, dass Schmugglerrouten ausbaldowert wurden, um Drogenlieferungen von den Seehäfen in Belgien und den Niederlanden über die Ruhrschiene an die schwedischen Abnehmer zu transportieren.

In Münster stehen derzeit sechs Drogenhändler vor Gericht, darunter ein 29-jähriger Schwede. Die Angeklagten sollen Marihuana und Kokain in speziellen Schmugglertransportern nach Emsdetten und einen Teil weiter nach Skandinavien verfrachtet haben. Die Tatverdächtigen wurden durch entschlüsselte Nachrichten auf Handys mit der kryptierten Software Encrochat überführt. Die Frau des schwedischen Angeschuldigten gehört zu einem kurdisch-libanesischen Clan.

Kooperation im Kampf gegen die Clankriminalität

Die Kooperation im Kampf gegen die Clankriminalität zwischen NRW und den schwedischen Behörden gipfelte kürzlich in einer Fach-Konferenz in Stockholm. Mit Interesse lauschten die skandinavischen Kollegen den Ausführungen einer OK-Spezialistin der Essener Polizei, die erneut die Vorzüge einer Netzwerkpartnerschaft vieler staatlicher Organe im Kampf gegen die Clan-Welt hervorhob.

An diesem Punkt stehen die Schweden noch am Anfang. Zum einen fehlen den Sicherheitsbehörden die Ressourcen. Nur 20.000 Polizisten schützen die gut zehn Millionen Einwohner. Zum Vergleich: Allein für die 18 Millionen Einwohner an Rhein und Ruhr stehen doppelt so viele Polizeibeamte zur Verfügung. Dazu kommen nochmals gut 17.000 Landesbedienstete.

Zudem gilt das Wort „Clankriminalität“ in weiten Teilen der schwedischen Politik als Tabu. Dabei hatte der schwedische Vize-Polizeichef Löfving bereits im Jahr 2020 vor der zunehmenden Herrschaft zugewanderter Clans im OK-Bereich gewarnt: „Ich behaupte, dass sie eindeutig mit dem Ziel nach Schweden gekommen sind, organisiert und systematisch Kriminalität zu betreiben.“ Schlimmer noch ordnete er die Clan-Unterwelt als „systembedrohend“ für das ganze Land ein.

Interview mit Polizeipräsident Frank Richter

FOCUS Online: Herr Richter, in Schweden gilt das Phänomen der Clankriminalität in großen Teilen der Politik als Tabuausdruck, kommt Ihnen das bekannt vor ?

Richter: Das war lange Zeit in NRW genauso. Aus Furcht vor einer Stigmatisierung zugewanderter kurdisch-libanesischer Großfamilien hat auch die Politik hierzulande jahrzehntelang weggeguckt. Die Folge war, dass sich die kriminellen Zweige dieser Clans in Essen und anderen Ruhrstädten ungehindert breit machen konnten. Das hat sich zum Glück in den letzten fünf Jahren geändert. Die Landesregierung hat das Problem erkannt. Damit wurden auch entsprechende Ressourcen bereitgestellt, so dass wir mit großen personellen Aufwand seither eine Besondere Aufbauorganisation „Clan“ unterhalten können, die inzwischen sehr erfolgreich die kriminellen Teile der Familienclans bekämpft. Wenn man die Probleme aber nicht beim Namen nennt, passiert auch nichts.

Was können die Polizeibehörden von den Essener Kollegen lernen ?

Richter: Die Bekämpfung der Clans durch Netzwerkpartnerschaften. Hier arbeitet die Polizei mit kommunalen Aufsichtsbehörden, den Finanzämtern, Glücksspiel-Abteilungen der Bezirksregierung sowie etwa dem Zoll zusammen. Stellen wir etwa in Shisha-Bars, Lokalen oder Gewerbebetrieben Verstöße oder Ordnungswidrigkeiten fest, wird der Laden, soweit rechtlich möglich, zunächst einmal dicht gemacht. Das tut den Clans weh, weil Geldquellen versiegen. Die Schweden finden diesen ganzeinheitlichen Ansatz sehr bemerkenswert und haben sich bei Besuchen in unserer Behörde hierüber informiert. Das Interesse ging sogar soweit, dass eine Kollegin zu einer Konferenz in Schweden eingeladen wurde, um über unseren Ansatz der Netzwerkarbeit zu referieren. Ich bin sehr froh über die äußerst gute Zusammenarbeit und den Informationsaustausch über Clankriminalität mit den skandinavischen Kollegen.

Hat die Polizei Essen das Problem Clankriminalität vollständig im Griff ?

Richter: Wir sind zwar auf einem guten Weg, aber noch lange nicht durch. Man könnte sagen, dass Spiel wurde gerade angepfiffen und wir stellen uns jetzt schon auf Verlängerung ein. Mir macht aber auch eine andere Entwicklung Sorgen. In Essen ist die syrische Community auf 25.000 Migranten angewachsen. Das sind schätzungsweise 10.000 mehr als die Mitglieder kurdisch-arabischer Clans ausmachen. Letztere haben 2020 etwa 700 Straftaten begangen. Im selben Zeitraum registrierten wir etwa 1000 Straftaten von syrischen Staatsangehörigen. Es gibt Anzeichen dafür, dass syrische Großfamilien den alteingesessenen Clans den Rang ablaufen wollen. Diesen Trend müssen wir intensiv im Auge behalten, sonst droht uns das nächste Beispiel für eine fehlgeschlagene Integration.Ich sehe hier allerdings nicht nur die Polizei als Problemlöser. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die es anzugehen gilt.

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