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Rechtliche Hürden

Junge Flüchtlinge tyrannisieren Mannheim: Warum sie nicht abgeschoben werden können
Mittwoch, 06.12.2017 | 15:39
dpa Flüchtlinge in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber

Peter Kurz reicht es. Es sind zehn bis 15 junge Männer, die den Mannheimer Oberbürgermeister in die Verzweiflung treiben. Sie „halten sich an nichts“ und „tanzen uns auf der Nase“ herum, schrieb er in einem Brief an das Baden-Württemberger Innenministerium.

Bei den Männern handele sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (kurz: UMF) aus Nordafrika, vor allem aus Marokko. Der Oberbürgermeister klagt: Bei ihnen „besteht keinerlei Mitwirkungsbereitschaft oder Interesse an Integration.“ Stattdessen: Straßenkriminalität, Sachbeschädigung und körperliche Angriffe in Einrichtungen, wie der SPD-Politiker schildert.  

Die Bevölkerung nehme es als „Staatsversagen“ wahr, wenn die Krawallmacher nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnten, so Kurz. Zwar erließ die Justiz in Mannheim zuletzt Haftbefehl gegen einen 14-Jährigen aus Marokko. Doch manche Täter dort sind aufgrund ihres geringen Alters nicht strafmündig, ihre Identität zudem oft unklar.

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„Besonders geschützte Gruppe“: 2016 wurde kein einziger UMF abgeschoben

Und noch etwas verhindert das harte Durchgreifen des Staates: „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind eine besonders geschützte Gruppe“, erklärt Ausländerrechtsexperte Markus Niedworok gegenüber FOCUS Online.

Tatsächlich verrät eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei: 2016 wurde kein einziger UMF abgeschoben. Den Behörden scheinen die Hände gebunden. Aber ist es rechtlich tatsächlich nicht möglich, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge abzuschieben? FOCUS Online gibt einen Überblick.

Dürfen unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge abgeschoben werden? Das sagt das EU-Recht

In den Rückführungsrichtlinien der Europäischen Union haben die Mitgliedsländer gemeinsame Normen und Verfahren zur Abschiebung festgelegt. Grundsätzlich ist eine Abschiebung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen demnach möglich. Es gibt nur Einschränkungen dabei, wie diese Abschiebung erfolgen soll.

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Das Kindeswohl steht demnach im Vordergrund. Der Minderjährige hat Anspruch auf Hilfe, Abschiebehaft ist nur im äußersten Fall und für die kürzestmögliche Dauer zulässig. Vor der Abschiebung müssen die Behörden außerdem klären, dass der Minderjährige im Rückkehrland einem Familienmitglied oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben werden kann.

Das sagt das deutsche Recht

Grundsätzlich ist eine Abschiebung von unbegleiteten Jugendlichen laut Aufenthaltsgesetz durchaus möglich. In Paragraph 58 heißt es ähnlich wie im EU-Gesetz: „Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.“

Das sagt das Innenministerium in Baden-Württemberg

Auf eben diese Sonderregelung bei der Abschiebung von Minderjährigen verweist auch das Innenministerium in Stuttgart auf Nachfrage von FOCUS Online. Sprecher Carsten Dehner nennt weitere Gründe, warum den Behörden in Mannheim teils die Hände gebunden sind.

„Solange sich die Personen noch im Asylverfahren befinden, genießen sie grundsätzlich einen sehr hohen Schutz und es kann keine Ausweisung ausgesprochen werden, wenn nicht eine strafrechtliche Verurteilung von mehr als drei Jahren vorliegt“, sagt Dehner. Auch andere Jugendliche dort, die bereits einen Aufenthaltstitel hätten, könnten nur ausgewiesen werden, wenn sie zu einer Haftstrafe verurteilt werden, so der Sprecher.

Sein Fazit: „Bei den Delikten, die die Täter in Mannheim bislang begangen haben, kann es rechtlich kaum zur Ausweisung kommen.“

Das sagt ein Experte: Nicht nur der UMF-Status macht Abschiebungen schwierig

Selbst wenn die Jugendlichen rechtlich abgeschoben werden dürften, müsste mit Problemen gerechnet werden, wie Rechtsanwalt Niedworok erklärt. „Es ist oft sehr schwierig für Behörden, an die notwendigen Ausweispapiere zu kommen, ohne die eine Abschiebung nicht möglich ist. Manchmal gibt es – trotz bi- oder multilateraler Abkommen – auch Probleme mit den Herkunftsländern, die die Flüchtlinge ja zurücknehmen müssten.“

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Rund 33.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden aktuell in Deutschland betreut, so die Zahlen des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von Mitte Oktober. Sie wohnen in Heimen, Wohngruppen, kommen in Pflegefamilien unter oder wohnen allein. Viele haben keinen festen Aufenthaltsstatus, sondern leben mit einer Duldung in Deutschland. Zu Abschiebungen von Minderjährigen kommt es nur selten.

2016 stellten fast 36.000 unbegleitete Minderjährige ihren Asylantrag in Deutschland, ein Großteil stammte aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Von Januar bis August 2017 waren es 6928, sie kamen dem Bundesverband zufolge vor allem aus Afghanistan und Eritrea. Der Großteil von ihnen war 16 oder 17 Jahre alt (ca. 82 Prozent) und männlich (ca. 86 Prozent). Die Gesamtschutzquote betrug rund 80 Prozent – ein Großteil der Minderjährigen wird also langfristig in Deutschland bleiben

Die jungen unbegleiteten Flüchtlinge werden engmaschiger betreut als erwachsene Asylbewerber. Diese Betreuung endet nicht automatisch mit dem 18. Geburtstag. Wenn ein Betreuer den Eindruck hat, dass sich der junge Mensch in seiner neuen Umgebung noch nicht gut zurechtfindet, kann er auch noch länger Hilfestellungen geben.

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