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Teambuilding im Bordell Das maßlose Leben des Thomas Dekker

Dekker 2007 während eines Medizinchecks bei der Tour de France

Dekker 2007 während eines Medizinchecks bei der Tour de France

(Foto: picture alliance / Christophe Ka)

Saufgelage im Trainingslager, Prostituierte vor der Tour, Epo-Doping: So sieht der Alltag von Thomas Dekker und seinem Rabobank-Team Mitte der 2000er-Jahre aus. Und dabei könnte Dekker der nächste niederländische Tour-Sieger sein.

"Als Jung-Profi wolle ich nur eines: Rennen gewinnen. Und am besten so viele wie möglich. Ich wollte um jeden Preis gewinnen. Das war meine Stärke und zur gleichen Zeit hat es mich in die Falle gelockt. Es hat mich sehr tief sinken lassen." Mit diesen denkwürdigen Worten tritt Thomas Dekker 2015 von seiner Radprofikarriere zurück. Thomas wer?

Thomas Dekker, geboren 1984, ist für den niederländischen Radsport das, was Jan Ullrich für den deutschen gewesen ist: ein Heilsbringer, ein Ausnahmekönner, ein Jahrhunderttalent. Dekker sollte die neue Lichtgestalt in "Oranje" auf dem Rennrad werden. Ihm war es vorbehalten, der radverrückten Nation ohne Berge den ersten Tour-de-France-Sieg seit Jahrzehnten zu schenken, seit Joep Zoetemelk 1980.

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Tirreno-Adriatico: Jörg Jaksche, Thomas Dekker und Alessandor Petacchi im März 2006.

Tirreno-Adriatico: Jörg Jaksche, Thomas Dekker und Alessandor Petacchi im März 2006.

(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Und es läuft gut zu Beginn: Dekker landet schon 2003 beim Nachwuchsteam von Rabobank. Ein erster Traum geht in Erfüllung. Er wird beim U23-Straßenrennen Dritter der Weltmeisterschaft. Ein Jahr darauf holt er im gleichen Rennen Silber und wird zudem Vize-Weltmeister im U23-Einzelzeitfahren. Alles läuft wie geschmiert.

2005 steigt er zu den Profis auf, auch bei Rabobank. Er fährt mit Größen wie Michael Boogerd in einer Mannschaft. Und auch dort fährt Dekker Erfolge ein. Beim Criterium International gewinnt er die Bergetappe und wird Gesamtzweiter. Rang vier springt bei der Eneco-Tour heraus, Platz drei bei der Polen-Rundfahrt - beides ProTour-Rennen. Bei der Polen-Rundfahrt sichert er sich zudem den Sieg im Bergzeitfahren.

Es folgen Gesamtsiege bei den Rundfahrten Tirreno-Adriatico und Tour de Romandie. Dekker hat damit gezeigt, dass er alles kann: Einzelzeitfahren, Berge und Rundfahrten. Die Grundvoraussetzungen für einen Sieg bei der Tour de France sind also gegeben. Gewonnen hat Dekker "Le Gand Boucle" nicht. Seine Karriere bekommt einen Knick.

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"Thomas Dekker - Unter Profis" ist bei Covadonga erschienen.

"Thomas Dekker - Unter Profis" ist bei Covadonga erschienen.

"Um Punkt sechs sticht Michael sich eine Infusionsnadel in den Arm und ich drehe mich noch mal um. Wenn es so etwas wie ein normales Leben gibt, dann haben wir uns Lichtjahre davon entfernt." 2007 scheppert es bei Rabobank. Der Fuentes-Skandal erreicht auch Dekker. Sein Codename beim spanischen Epo-Doktor: "Classicomano Luigi". Dekker ist in die Dopingfalle getappt. Wissentlich.

Mit dem Wissen, der nächste große niederländische Radsportheld werden zu können, ging es Dekker mit den Erfolgen nicht schnell genug. In einem Peloton, in dem Doping an der Tagesordnung war und in einem Team, das die Praktiken nicht nur tolerierte, sondern sogar zu fördern schien, war der Griff zum Blutbeutel und zur Nadel für Dekker zu einfach. Und ein Muss. Es passt einfach ins Gesamtbild: Saufgelage im Trainingslager gehörten bei Rabobank ebenso zur Tagesordnung wie Escort-Damen-Besuche vor dem Start der Tour de France, quasi Teambuilding im Bordell. Radsport außer Rand und Band, ohne Grenzen, völlig maßlos.

Müßig, darüber nachzudenken, was passiert wäre, wenn Dekker ein paar Jahre früher oder später geboren worden wäre; ob er es dann zum Tour-de-France-Sieger und Nationalhelden geschafft hätte. Hätte, hätte, Fahrradkette. Fakt ist vielmehr, dass Dekker eine Nachkontrolle einer 2007er Urinprobe zum Verhängnis wird und er eine zweijährige Dopingspeere aufgebrummt bekam, diese absaß, einen Comeback-Versuch startete und als dieser ohne große Erfolge blieb, er dem Radsport den Rücken kehrte.

Doping für den Radsportfan

Bei Covadonga erscheint nun seine Biografie "Thomas Dekker - Unter Profis". 220 Seiten Radsport pur, Radsport, wie er Mitte der 2000er-Jahre eben war: schmutzig. Entsprechend schonungslos fällt dann auch Dekkers Abrechnung aus: mit sich, dem Team und dem System als Ganzem.

Dass daraus überaus lesenswerter Radsportstoff geworden ist, liegt auch am Mitautoren Thijs Zonneveld. Er ist das Maß der Dinge - völlig ungedopt -, wenn es um niederländische Radsportbücher geht. Zonneveld saß mehrere Jahre selbst als Profi im Rennsattel, ehe er dann zur schreibenden Zunft wechselte. Er schreibt etwa für das "Algemeen Dagblad" und ist Autor oder Mitautor von mittlerweile neun Radsportbüchern, wobei die Dekker-Biografie bei Erscheinen im Herbst 2016 in den Niederlanden für den meisten Gesprächsstoff gesorgt hat.

So manche Diskussion dürfte "Thomas Dekker - Unter Profis" auch hierzulande hervorrufen. Der Veröffentlichungszeitraum passt perfekt: Die Tour de France 2017 läuft, gestartet mit dem Prolog in Düsseldorf. Wer also abseits der Etappen noch Lesestoff zum Thema Radsport sucht, sollte bei Dekker zugreifen, denn es ist Doping für den Radsportfan.

"Thomas Dekker - Unter Profis" bei Amazon bestellen

Quelle: ntv.de

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