Panorama

"Nostradamus von 1981"? Das Buch, in dem das Virus "Wuhan-400" auftaucht

Für Verschwörungstheoretiker ist die Sache klar: Hier hat jemand die Katastrophe vorausgesagt.

Für Verschwörungstheoretiker ist die Sache klar: Hier hat jemand die Katastrophe vorausgesagt.

(Foto: Reddit)

Ein fast 40 Jahre alter Roman des US-Amerikaners Dean Koontz entwickelt sich gerade zum Bestseller. Darin ist von einer biologischen Waffe aus China die Rede. Eine einzige Seite wird für Verschwörungstheoretiker zum gefundenen Fressen.

Die Bilanz des Schriftstellers Dean Koontz kann sich sehen lassen. "Seine Bücher erscheinen in 38 Sprachen und er hat bis heute über 500 Millionen Exemplare verkauft", erklärt er auf seiner Webseite unter Verzicht auf die Ich-Form. "14 seiner Romane haben es auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times geschafft." Auch international erlangte der heute 74-Jährige einige Berühmtheit unter Thriller-Fans, in Deutschland sind etliche seiner Werke erschienen.

Gerade erobert ein Buch aus der Feder von Koontz wieder die Bestsellerlisten. Es heißt "The Eyes of Darkness", also "Die Augen der Dunkelheit". Das Besondere daran ist: Der Roman ist nicht sein jüngstes Produkt, sondern schon 1981 erschienen. Warum es ein Comeback feiert, wird klar, wenn man nur den Klappentext der deutschen Ausgabe, erschienen im Heyne-Verlag, liest: Da ist von der "Schönheit Tina Evans" die Rede, der in "quälenden Alpträumen" ihr totgeglaubter Sohn erscheint. Dabei lebt der Junge "als Gefangener in einem unterirdischen Versuchslabor, wo er für wissenschaftliche Experimente mit einem neuen Todesvirus missbraucht wird".

Dean Koontz ist ein sehr produktiver Autor, aber wahrscheinlich kein Hellseher.

Dean Koontz ist ein sehr produktiver Autor, aber wahrscheinlich kein Hellseher.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Todesvirus? Da schrillen in Zeiten des Coronavirus sofort die Alarmglocken. Aber wenn man dann noch erfährt, dass das Virus "Wuhan-400" heißt, in einem chinesischen Labor für Biowaffen nahe Wuhan gezüchtet wurde und erbarmungslos zuschlägt, bimmeln bei manchen die imaginären Alarmglocken noch lauter. Für Verschwörungstheoretiker ist die frei erfundene Story ein gefundenes Fressen. Der Autor habe die Coronavirus-Krise "vorhergesagt" und müsse Insiderwissen gehabt haben, wird in sozialen Medien orakelt. "Ist Koontz der Nostradamus von 1981?", fragt ein britischer Amazon-Kunde. Die Übereinstimmungen zwischen "Wuhan-400" und der aktuellen Lage könnten ja gar kein Zufall sein.

Zahlenspiele als Beleg

Wie immer in diesen Kreisen werden abstruse "Indizien" für die These entdeckt, dass sich der Schriftsteller auf Geheimdienstinformationen gestützt habe. So werden die Ziffern des Erscheinungsjahrs 1981 als 1+9+8+1 zusammengezählt, was 19 ergibt. Daraus wird dann 2019. Das Coronavirus tauchte nach vorläufigem Wissensstand erstmals im chinesischen Wuhan vergangenen Dezember auf. Auf Twitter heißt es, "Wuhan-400" werde "erstmals in Kapitel 39" genannt. Vorgerechnet wird daher: 3 + 9 = 12 – also Dezember.

Eine einzige Seite des Buches - in neueren Ausgaben ist es die 250 - beflügelt die Fantasie von Verschwörungstheoretikern besonders. Sie kursiert als Foto auf Englisch - die deutsche Ausgabe ist seit Jahren vergriffen - im Internet. Der fiktive US-Wissenschaftler Carl Dombey erzählt von einem in die USA geflohenen, abtrünnigen chinesischen Wissenschaftler namens Li Chen, der dem Plot zufolge "eine Diskette mit Daten über Chinas wichtigster und gefährlichster neuer biologischer Waffe" mitgehen ließ. "Sie nennen das Zeug 'Wuhan-400', weil es in ihren RDNA-Labors außerhalb der Stadt Wuhan entwickelt wurde und es der 400. lebensfähige Stamm künstlicher Mikroorganismen war, der in diesem Forschungszentrum gezüchtet wurde."

Die Romanfigur sagt: "Wuhan-400 ist eine perfekte Waffe. Es sucht nur Menschen heim. Es kann von keinem anderen Lebewesen übertragen werden. Wie die Syphilis kann auch Wuhan-400 außerhalb eines menschlichen Organismus höchstens eine Minute überleben, was bedeutet, dass es keine Gegenstände oder ganze Orte dauerhaft verseuchen kann, wie es bei Milzbrand und anderen giftigen Bakterien der Fall ist. Und wenn der Wirt tot ist, stirbt Wuhan-400 in ihm kurze Zeit später, sobald die Temperatur der Leiche unter 86 Grad Fahrenheit (30 Grad Celsius - die Red.) fällt."

Was nicht passt, wird passend gemacht

In einem anderen Absatz erläutert Dombay: "Und Wuhan-400 hat andere, ebenso wichtige Vorteile gegenüber den meisten biologischen Kampfstoffen. Zum einen kann man in nur vier Stunden nach dem Kontakt mit dem Virus ein infektiöser Überträger werden. Das ist eine unglaublich kurze Ausreifungszeit. Einmal infiziert, lebt niemand noch mehr als 24 Stunden. Die meisten sterben in 12. Die Tötungsrate von Wuhan-400 beträgt 100 Prozent."

Das Coronavirus ist tagelang ansteckend, seine Todesrate liegt im unteren einstelligen Prozent-Bereich und aller Wahrscheinlichkeit nach wurde es - ausgehend von einem Tiermarkt - von Fledermäusen über einen Zwischenwirt auf den Menschen übertragen. Verschwörungstheoretiker glauben, Koontz hätte über streng geheimes Insiderwissen verfügt, das er im Roman habe verwässern müssen.

Da stört auch nicht, dass die Erstausgabe 1981 - geschrieben unter dem Pseudonym Leigh Nicols - unter dem Eindruck des Kalten Krieges noch eine ganz andere Richtung hatte: Dort war nicht China der Bösewicht, sondern die damalige Sowjetunion. Statt "Wuhan-400" heißt die "zu 100 Prozent" tödliche Waffe "Gorki-400". Auch Gorki (heute Nischni Nowgorod) ist nicht fiktiv. Die Stadt befindet sich östlich von Moskau. Wohl mit Blick auf eine Entspannung zwischen Ost und West entschied sich der Verlag, die Passage auf China zu drehen.

Befeuert wird die Hysterie um den Roman dadurch, dass im Internet gleichzeitig ein Ein-Satz-Zitat aus einem anderen Werk die Runde macht, der sich auf unsinnige "Vorhersagen" zum Ende des Maya-Kalenders im Dezember 2012 bezog: "Um das Jahr 2020 wird sich eine schwere, lungenentzündungsähnliche Erkrankung über den ganzen Globus ausbreiten, die die Lunge und die Bronchien angreift und sich allen bekannten Behandlungen widersetzt." In Beiträgen auf Facebook wird suggeriert, auch dieser Auszug stamme aus "Die Augen der Dunkelheit"."Ausgeblendet wird, dass die Symptome der vom Coronavirus ausgelösten Krankheit sehr wohl behandelbar sind.

Höchstpreise für deutsche Ausgaben

Und was sagt Koontz zu all dem? Bisher nichts. Anfragen von ntv.de an seinen Verlag mit der Bitte um eine Stellungnahme blieben bislang unbeantwortet. Dabei könnte ein klares Statement des Autors helfen, mit dem ganzen spekulativen Unsinn aufzuräumen.

Doch obwohl sich die Übereinstimmungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit auf die groben Begriffe Virus, Pandemie und Wuhan beschränken, schwappt die Koontz-Welle nun auch nach Deutschland. Bei Amazon gingen Dutzende Bestellungen für das englischsprachige Buch ein. Auf Ebay kosten uralte deutschsprachige Ausgaben 200 Euro. Der Heyne-Verlage teilte mit: "Die Rechte an diesem Buch liegen bereits seit vielen Jahren nicht mehr bei uns. Es wird bei uns auch keine Neuausgabe des Titels geben."

Buchläden und Antiquariate erhalten zahlreiche Anfragen. "Das ist Futter für Verschwörungstheoretiker", vermutet Karl Knoll in der "Heilbronner Stimme". Vier, fünf Leute hätten gezielt nach dem Buch verlangt, berichtet der Buchhändler in Eppingen auf Nachfrage von ntv.de. Das sei nicht viel. "Allerdings sind wir eine Kleinstadt." Es gebe Dutzende Thriller mit dem Thema "Böse Macht lässt Killervirus auf die Menschheit los". Darin würden stets Orte genannt, die mit dem Militär in Verbindung stünden. "Bei Koontz - übrigens ein mittelmäßiger, aber früher sehr erfolgreicher Autor - war das zufällig Wuhan", sagt Knoll. "Wäre der Virus zuerst in Russland oder den USA aufgetreten, hätte man auch dazu den passenden Roman gefunden."

Quelle: ntv.de

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