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Bis zu 13 Junge pro Wurf: Feldmäuse sind extrem fruchtbar.

© dpa

Mäuseplage in Thüringen und Sachsen: Julia Klöckner und das Gift in der Natur

Die Agrarministerin will Bauern erlauben, Giftköder zu legen. Doch das Gift würden auch Greifvögel fressen - und die letzten Feldhamster.

Wenn der Thüringer Landwirt Lars Fliege auf seinen Getreidefeldern in Pfiffelbach unterwegs ist, muss er höllisch aufpassen. Der Boden ist durchzogen von Löchern. Die Felder der ortsansässigen Agrargesellschaft, die Fliege leitet, sehen aus wie ein großer Schweizer Käse. Wer daran schuld ist, ist klar: die Feldmaus.

Mauselöcher: Die Felder von Lars Fliege sehen aus wie ein Schweizer Käse.
Mauselöcher: Die Felder von Lars Fliege sehen aus wie ein Schweizer Käse.

© Thüringer Bauernverband

Alle paar Jahre vermehren sich die kleinen Nager so stark, dass man von einer Mäuseplage sprechen kann. Finden die Feldmäuse genug Nahrung und werden sie nicht von ihren Feinden, den Greifvögeln, Eulen und Füchsen dezimiert, können sich die Tiere explosionsartig vermehren. Das liegt an ihrer Fruchtbarkeit: In einem Wurf können bis zu 13 Junge zur Welt kommen, schon mit 13 Tagen werden die jungen Weibchen ihrerseits geschlechtsreif. Vor fünf Jahren gab es die letzte Mäuseplage, in diesem Jahr ist es wieder so weit. Betroffen sind vor allem Thüringen und Sachsen, aber auch Weideland im Westen, heißt es im Bundesagrarministerium. Im Ministerium macht man auch die Trockenheit der vergangenen Jahre und die milden Winter für die Mäuseplage verantwortlich.

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Die Mäuse fressen zwei Drittel des Ertrags auf

Für die Landwirte in den betroffenen Regionen ist das ein großes Problem: Die Mäuse fressen ihnen das Getreide von den Feldern. Der Thüringer Bauernverband, dessen Vizepräsident Fliege ist, beklagt Schäden von bis zu 400 Euro pro Hektar. „Das sind zwei Drittel des Ertrags“, sagt Verbandssprecher Axel Horn. Doch damit nicht genug: Auch die nächste Ernte ist bereits in Gefahr. Die Mäuse picken nämlich auch die Körner der Aussaat für das Wintergetreide weg und knabbern die jungen Triebe an.

"Mit unserer Aussaat füttern wir die Mäuse", sagen die Bauern

„Mit unserer Aussaat füttern wir die Mäuse“, ärgert sich Horn. „Derzeit müssen wir zusehen, wie die Ernte vor unseren Augen weggefressen wird“, kritisiert Verbandsvize Fliege. Denn Giftköder dürfen die Bauern nicht auslegen, um einen anderen, seltenen Feldbewohner nicht zu gefährden: den Feldhamster. Der Hamster ist ein Nachbar der Mäuse. Anders als sie ist er vom Aussterben bedroht. Der Feldhamster ist eine nach EU-Recht streng geschützte Tierart. Gab es in den 50er Jahren noch rund 150 Hamsterbaue pro Hektar, sind es jetzt nur noch 3,8.

Vom Aussterben bedroht: Der Feldhamster ist streng geschützt.
Vom Aussterben bedroht: Der Feldhamster ist streng geschützt.

© dpa

In Thüringen wird der Hamsterschutz ganz besonders ernst genommen, weil nur dort der schwarze Feldhamster lebt. In dem Bundesland gibt es 35 Feldhamsterschwerpunktgebiete auf rund 51.000 Hektar Fläche, in denen die Tiere besonders geschützt werden. Zu allem Unglück sind das aber ausgerechnet die Gebiete, in denen sich jetzt die Mäuse stark vermehren. Der Einsatz von Rodendiziden, Schädlingsbekämpfungsmitteln, die Mäusen den Garaus machen, ist in den Schutzregionen erst ab November erlaubt, wenn die Hamster im Winterschlaf liegen. Für die Bauern kommt das zu spät. Sie wollen die Giftköder jetzt, also im August oder spätestens im September, auslegen, um zu retten, was noch geht.

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Gift für die Mäuse: Die Bauern möchten jetzt Köder auslegen, doch das Gift könnten auch andere Tiere fressen.
Gift für die Mäuse: Die Bauern möchten jetzt Köder auslegen, doch das Gift könnten auch andere Tiere fressen.

© imago images/STPP

Wir dürfen nicht länger zusehen, meint Ministerin Klöckner

Rückendeckung bekommen sie von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). Die Ministerin hat am Dienstag einen Brief an die Landwirtschaftsminister der Länder geschrieben. Man habe mit einer schweren Mäuseplage zu kämpfen, „Es sind bereits massive Schäden eingetreten oder noch zu erwarten“, heißt es darin. „Dem dürfen wir nicht zusehen.“

Agrarministerin Julia Klöckner: Wir müssen die Ernten schützen.
Agrarministerin Julia Klöckner: Wir müssen die Ernten schützen.

© promo

Klöckner will die Schutzvorschriften für Hamster lockern. Daten über Hamstervorkommen sollen keine Rolle mehr spielen, wenn sie älter als fünf Jahre sind. Hamsterfunde von 1990 würden nicht rechtfertigen, dass die lokalen Umweltbehörden in Thüringen Behandlungsverbote im Umkreis von 100 Quadratkilometern aufstellen, meint die Ministerin.

Und auch weitere potentielle Opfer der Giftköder sollen weniger Schutz bekommen: die Vögel. Greifvögel können krank werden, wenn sie vergiftete Mäuse fressen. Klöckner schlägt nun aber vor, die zu schützenden Rastplätze für Zugvögel klarer einzugrenzen und die Zahl der schützenswerten Vogelarten zu reduzieren. Der Einsatz von Gift würde so erleichtert. Anträge auf Notfallzulassungen der Mittel sollen zudem kurzfristig geprüft und entschieden werden, um weitere Bekämpfungsverfahren zu ermöglichen, schreibt Klöckner.

Umweltschützer sind empört: Mäusegift hat auf Thüringens Feldern nichts verloren

Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) findet das falsch. „Der Einsatz von Mäusegift auf Thüringer Feldern ist nicht zu verantworten“, kritisiert der Thüringische BUND-Landesvorsitzende Burkhard Vogel. Angesichts des allgegenwärtigen Artensterbens müsse man unter allen Umständen verhindern, dass hochgradig gefährdete Arten noch mehr in Gefahr geraten. Auch wenn sich die Mäuse vermehren, drohe kein Versorgungsnotstand in Deutschland, "Ernteeinbußen bleiben lokal begrenzt und betreffen auch in Mittelthüringen nur einige der dort wirtschaftenden großen Ackerbaubetriebe", meint Vogel. Statt Gift zu verteilen, sollten die Bauern die Gänge der Mäuse mit Pflug oder Grubber zerstören, schlägt der Umweltschützer vor.

Die Bauern halten das für Quatsch: Neben den Mäusegängen würde der Pflug auch Hamsterbaue zerstören, sagen sie. Und: Das Gerüttele würde den Hamster vertreiben. Aus Bauernsicht wäre das aber vielleicht gar keine schlechte Lösung.

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