Für einen Christdemokraten hat Wolfgang Schäuble manchmal gewagte Ideen. Anders als viele seiner Parteikollegen könne sich der Finanzminister nach der nächsten Bundestagswahl durchaus eine Koalition mit den Grünen vorstellen, heißt es in seinem Umfeld. Und die Finanzpolitik der Union solle einem schwarz-grünen Bündnis dann nicht im Weg stehen.
Es vergeht zwar noch ein ganzes Jahr bis zur Bundestagswahl, trotzdem rennt für die Parteien die Zeit. 52 Wochen haben sie, um die Weichen zu stellen für den eigenen Wahlerfolg – und sich vorbereiten auf eine mögliche Beteiligung an der nächsten Bundesregierung.
Für Vordenker wie den 73-jährigen Schäuble dreht sich fast jeder Gedanke um die Frage: Wer wird danach mit wem das Land regieren? Und wenn die CDU noch einmal die Wahl gewinnt: Welche kleinere Partei führt unter Bundeskanzlerin Angela Merkel dieses Mal Deutschland?
Es ist eine Frage von großer Tragweite. Mögliche Antworten wollen deshalb gut vorbereitet sein. Von den Steuerplänen des Bundesfinanzministers jedenfalls geht ein klares Signal aus: Sie würden eine Koalition mit den Grünen nicht verhindern.
CDU will Normalverdiener entlasten
Schäuble, der nach Bundeskanzlerin Angela Merkel wichtigste Politiker der CDU, steht einem Bündnis mit den Grünen seit Jahren nicht abgeneigt gegenüber. Schon im Umfeld der Bundestagswahl 2013 bekundete er sein Interesse an der Option – vorausgesetzt, die Grünen würden sich in der Steuerpolitik gemäßigter geben. Was die nicht taten.
Damals gab der Linke Jürgen Trittin bei den Grünen die Richtung in Finanzfragen an. Unter ihm gerierten sie sich als Steuererhöhungspartei. Bis auf den Euro konnten Besserverdiener durchrechnen, was das grüne Steuerkonzept sie kosten würde. In der Wahlnacht erhielten die Grünen dafür die Quittung. Trittin zog sich von der Parteispitze zurück.
Die aktuellen Steuerkonzepte der meisten Parteien stehen bisher erst in Ansätzen. Vor allem die Grünen haben wohl noch viele Debatten vor sich. Die Richtung ist dennoch erkennbar. Die CDU will Normalverdiener entlasten.
Bereits im vergangenen Sommer entwickelten Schäubles Steuerbeamte im Ministerium ein Konzept mit dem Titel „mittelfristige Budgetstrategie“. Demnach sollte der sogenannte Mittelstandsbauch bei der Einkommensteuer abgeflacht werden, der Gering- und Durchschnittsverdiener besonders stark belastet.
Neuer Spielraum für Steuersenkungen
Im Gegenzug wollte das Finanzministerium die Steuern auf Kapitalerträge erhöhen. Sogar mit einem höheren Spitzensteuersatz liebäugelte man, um die Einnahmeausfälle auszugleichen. Mit den Grünen wären solche Ideen vermutlich leicht umzusetzen.
Wegen der Flüchtlingskrise verschwand das Konzept zunächst wieder in der Schublade. Doch nachdem der Bundesetat trotz der Flüchtlingsausgaben gut dasteht, sieht der Bundesfinanzminister wieder Spielraum für Steuersenkungen – natürlich erst nach der Wahl. Rund zwölf Milliarden Euro an Steuererleichterungen hält Schäuble für möglich.
Auf einen ähnlichen Betrag kommt auch Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU). Im Auftrag von Ministerpräsident Horst Seehofer hat er als Erster ein bereits fertig durchgerechnetes Steuerkonzept vorgelegt.
Söder konzentriert sich ebenfalls auf die Entlastung von Gering- und Durchschnittsverdienern. So fällt derzeit bereits ab einem Einkommen von 13.669 Euro eine Einkommensteuer von etwa 24 Prozent an. Söder schlägt vor, diesen Steuersatz ab einem Verdienst von 16.250 Euro greifen zu lassen.
Die Grünen feilen noch an ihrem Konzept
Der Plan der Bayern sieht wie folgt aus: Ein Arbeitnehmer ohne Kinder, der im Jahr brutto 23.000 Euro verdient, würde nach der Steuersenkung im Jahr 2019 um 180 Euro entlastet. Die Entlastung für einen Gutverdiener mit einem Jahresbruttoeinkommen von 60.000 Euro läge bei 380 Euro, rechnet Söder vor. Insgesamt sollen die Steuerzahler so um etwas mehr als zehn Milliarden Euro entlastet werden. Im Bundesfinanzministerium kamen diese Zahlen gut an. Das sei ein anschlussfähiges Konzept für die CDU, heißt es in Berlin.
Wie sieht es nun mit den Grünen aus? Noch haben die sich nicht auf ein fertiges Programm geeinigt. Nach über zwei Jahren hat die Steuerkommission der Partei im Juli ein Konzept vorgelegt, an dem allerdings noch bis zum Herbst gefeilt wird. Grundsätzlich will die Öko-Partei aber wie Söder die Geringverdiener entlasten. Die Grünen schlagen dafür einen höheren Grundfreibetrag vor. Auch an anderer Stelle gibt es schwarz-grüne Gemeinsamkeiten.
Das erkennen auch grüne Politiker. Sie lehnen den Gedanken einer Zusammenarbeit nicht grundsätzlich ab – und interpretieren die neuen Konzepte in ihrem Sinne. „Es gibt in der Steuerpolitik schon noch Unterschiede zwischen Union und Grünen“, sagt die steuerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Lisa Paus. „Wir begrüßen es aber, wenn die Union sich steuerpolitisch auf uns zubewegt und damit eine Grundlage für eine mögliche Zusammenarbeit legt. Das zeigt, dass wir mit unserem Programm nicht so falsch liegen, wie so häufig behauptet wird.“
Zwei große Streitpunkte
Einfach wird die Sache dennoch nicht. Beide Parteien wollen zwar im Grundsatz die Familie fördern. Doch schon die Frage, was Familie ist, wird unterschiedlich beantwortet. Viele Grüne beharren bislang auf der Abschaffung des Ehegattensplittings.
In der Partei ist die Forderung nach den schwachen Ergebnissen bei der Bundestagswahl 2013 zwar nicht unumstritten. Vielleicht – so die Überlegung bei manchen – könnte der Übergang zur Individualbesteuerung nur für neu geschlossene Ehen gelten. Für die Union ist das Splitting aber ein Ausschlusskriterium.
Und es ist nicht der einzige Streitpunkt. So wollen die Grünen beispielsweise den Solidaritätszuschlag beibehalten. Die Union will ihn bis 2030 abschaffen. Dazu streiten sich die Grünen über die Frage, ob sie wieder mit der Forderung nach einer Vermögensteuer für Reiche antreten wollen. Der linke Parteiflügel um Grünen-Chefin Simone Peter und den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, favorisieren die Idee. Deutschland brauche eine gerechtere Besteuerung, meint Hofreiter. „Es muss klar sein, dass große Vermögen dazu einen Beitrag leisten.“
Das wäre mit der Union nicht zu machen. Die ist strikt gegen die Wiederbelebung der Vermögensteuer. In Koalitionsverhandlungen müssten solche Forderungen aber kein unüberwindbares Hindernis sein, wenn die Parteien flexibel genug sind, sie als Tauschpfand einzusetzen.
Die Wähler haben jetzt andere Sorgen
Bleibt nur die Frage, wer sich bei den Grünen zuvor durchsetzt. In der Partei tobt der Streit zwischen den Linken und den politisch derzeit erfolgreicheren Realos. Baden-Württembergs populärer Ministerpräsident Winfried Kretschmann etwa lehnt die Einführung einer Vermögensteuer ab. Er sei strikt dagegen. Seine Landesregierung werde diesem Vorhaben auch nicht folgen.
Eine Aussage, die wiederum den früher so wichtigen Jürgen Trittin auf die Palme bringt. Er wirft Kretschmann vor, die politische Konkurrenz mit Zitaten gegen die eigene Partei zu munitionieren. Bereits vor dem letzten Urnengang war Kretschmann gegen die Vermögensteuer, hatte sich dann aber noch von anderen Grünen umstimmen lassen. Heute hält er das für einen Fehler. Trittin, Peter und Hofreiter? Oder doch Kretschmann? Noch ist nicht absehbar, wer sich in dieser Auseinandersetzung dieses Mal durchsetzt.
Eines ist aber auch den Leuten in Wolfgang Schäubles Umfeld klar: Die Steuerpolitik wird dieses Mal nicht das alles entscheidende Thema der Bundestagswahl sein. Bis Mitte des vergangenen Jahres hätten Finanzfragen möglicherweise den Ausschlag für den Ausgang der Wahl geben können, meint einer. „Doch seit Beginn der Flüchtlingskrise und den Terroranschlägen haben die Wähler andere Probleme.“ Zuwanderung, Integration, innere Sicherheit sind für die Deutschen derzeit wichtigere Streitfragen.
Ob ein Arbeitnehmer mit 60.000 Euro Jahresbruttoeinkommen nach dem Söder-Konzept im Monat 32 Euro mehr hat oder nicht, wird kaum über sein Leben entscheiden. Die Frage nach der persönlichen Sicherheit dagegen schon.