Verdrossen reden viele Sozialdemokraten über die große Koalition. Das liegt nicht etwa an ihrer weitgehend von der SPD dominierten Leistungsbilanz, sondern an der ausbleibenden politischen Würdigung durch das Volk. In Umfragen liegt die SPD bei gut 20 Prozent, also noch unter ihrem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl 2013.
Keine erneute große Koalition – so lautet deshalb das Fazit vieler Genossen für die Zeit nach der Wahl 2017. Ein abermaliges Votum der SPD-Mitglieder für eine Neuauflage der schwarz-roten Koalition ist dabei in der Tat heute kaum vorstellbar.
Die Hoffnung, bei einer Bundestagswahl wieder einmal besser abzuschneiden als die Unionsparteien (wie zuletzt im Jahre 2002) hat die SPD weitgehend aufgegeben. Diese Analyse aber kommt einer machtpolitischen Selbstverzwergung gleich.
Große Koalitionen sollten die Ausnahme bleiben
Angela Merkel und die Union haben die besten Zeiten hinter sich. Das Szenario einer absoluten Mandatsmehrheit der CDU/CSU ist in weite Ferne gerückt. Und was bloß passiert, wenn die CDU in eine Wahl ohne Angela Merkel ziehen müsste? Bisher hat Merkel die Festlegung auf eine erneute Spitzenkandidatur 2017 vermieden.
Je größer bei den Sozialdemokraten der Verdruss über das Regieren mit der prozentual stärkeren CDU/CSU wird, desto stärker suchen sie nach alternativen Regierungskonstellationen.
Gewiss, schon im Sinne des politischen Diskurses, ja, der Demokratie ist eine politische Alternative zur großen Koalition dringend geboten. Große Koalitionen, so war es Konsens in der Bonner Republik, sollten die Ausnahme bleiben.
So wurde es in Bonn gehalten, nur von 1966 bis 1969 regierten CDU, CSU und SPD miteinander. In den letzten elf Jahren indes, seit 2005, wurde Deutschland sieben Jahre lang von CDU/CSU und SPD regiert. Die derzeitige Regierung Merkel/Gabriel hat ein Mandat bis Ende 2017.
Frischzellenkur für Rechtspopulisten
Die Demokratie aber lebt vom Wechsel. In einer gut funktionierenden Demokratie bilden Parteien mal die Regierung, mal sitzen sie in der Opposition (und machen sich dort im besten Fall wieder bereit für die Exekutive).
Die jahrzehntelange große Koalition in Österreich ist ein abschreckendes Beispiel. Sie hat dem Land nicht eben gutgetan, und sie erwies sich vor allem als eine Frischzellenkur für die Rechtspopulisten.
Nach Helmut Kohls am Ende bleiernen 16 Jahren als Kanzler herrschte weitgehend Konsens, dass derlei Dauerregentschaften Diskurs und Demokratie, mithin: das Land lähmen. Es gibt also gute Gründe, nach einer Alternative zur großen Koalition in Berlin zu suchen – und zu einer Kanzlerin Merkel.
Politik ist, anders als Merkel behauptet, niemals „alternativlos“. Wäre es so, bräuchte es weder Wahlen noch Parlamente oder einen Diskurs. Dann könnten exzellente Technokraten regieren.
Rot-rote Landesregierungen sind längst eingeübt
Nach der Mehrheit „jenseits der Union“ hatte einst schon Willy Brandt gesucht. Damals wie heute ist jene Suche anspruchsvoll. Minderheitsregierungen haben in Deutschland keine Tradition, es wäre wohl das falsche Modell in einer politisch volatilen Lage in ganz Europa.
Aufmerksam verfolgt die SPD daher Positionierungen und Personen in der FDP, deren erneuter Einzug in den Bundestag 2017 gut möglich scheint. Dass in diesem Frühling in Rheinland-Pfalz eine „Ampel“ (SPD, FDP, Grüne) gebildet wurde, offenbart Schnittmengen und schafft vor allem persönliche Kontakte und Verbindungen.
Da jedoch eine solche Konstellation im Bund schon mathematisch kaum als mehrheitsfähig gilt, blicken viele Sozialdemokraten auf das Modell Rot-Rot-Grün. In den Ländern sind Regierungen zwischen SPD und Linker, einstmals PDS, längst eingeübt.
In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt wurde so schon vor vielen Jahren koaliert (oder toleriert), außerdem in Berlin und heute noch in Brandenburg. Überall dort wird weitgehend geräuschlos und pragmatisch gearbeitet. Mancher Linke-Politiker im Osten Deutschland wäre bei den Sozialdemokraten auf deren rechtem Flügel zu Hause.
In Thüringen koalieren Linke, SPD und Grüne unter einem Ministerpräsidenten der Linken; Bodo Ramelow gibt mehr den Landesvater als den Klassenkämpfer. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin könnte es nach den Landtagswahlen, geführt von der SPD, zu weiteren rot-rot-grünen Regierungen kommen. Damit würden große Koalitionen mit der SPD als Seniorpartner abgelöst.
Rot-Rot-Grün würde an sich selbst scheitern
Auch bei der Wahl des Bundespräsidenten im Februar 2017 könnten SPD, Grüne und Linke einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen, vielleicht gar gemeinsam mit der (recht kleinen) FDP in der Bundesversammlung. Groß ist das Bedürfnis der SPD, auch hier eine Mehrheit jenseits der Union zu finden.
Ein schwarz-roter Kandidat für die Nachfolge Joachim Gaucks nämlich symbolisierte eine Neuauflage jenes Regierungsbündnisses. Das käme für die SPD einer Kapitulationserklärung gleich.
Man darf gespannt sein, ob Sigmar Gabriel im Verein mit anderen eine interessante, geeignete Persönlichkeit für das Schloss Bellevue findet. Womöglich wäre dieser Kopf attraktiver als ein schwarz-roter Minimalkonsenskandidat.
Wie auch immer die Causa Bundespräsidentenwahl ausgeht: Rot-Rot-Grün wurde und wird praktiziert, und noch ist weder die Welt untergegangen, noch hat Deutschland Schaden erlitten. Das wäre auf Bundesebene anders, zumal in diesen global verzwickten Zeiten.
Genau deshalb ist ein Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und Linker eine Schimäre. Es gibt diverse schwerwiegende Gründe, die gegen die Bildung einer solchen Koalition sprechen. Rot-Rot-Grün würde gewissermaßen an dreierlei scheitern: nämlich an der SPD, den Grünen und der Linken.
Eine mathematische, aber keine politische Mehrheit
Weder Sozialdemokraten noch Grüne nämlich können sich auf die Programmatik der Linken einlassen. Dabei geht es nicht nur um krude Aussagen oder Realitätsverweigerung durch den westdeutschen Sektiererflügel, dessen wichtigster Grundsatz ja die Bekämpfung der SPD bleibt.
Nein, im Programm der Partei wird unter anderen die „Auflösung der Nato“ verlangt. Allenthalben wettern Linke gegen die „Kriegstreiberei“ der Nato. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht polemisiert gegen die „Brüsseler Antidemokraten“, mithin so, wie es sonst nur Rechtspopulisten tun.
Auch in ihren Aussagen zur Flüchtlingspolitik erinnert manches bei ihr an die AfD. Mit solch einer Truppe lässt sich das bevölkerungsreichste Land Europas nicht regieren.
Noch ein Weiteres spricht gegen Rot-Rot-Grün, nämlich die Empirie: Die seit 2013 vorhandene mathematische Mehrheit von SPD, Linker und Grünen im Bundestag konnten diese Parteien in keine politische Mehrheit umwandeln.
So war es schon im Jahre 2005 gewesen. Angela Merkel, die bald vor einem Schreckgespenst Rot-Rot-Grün warnen dürfte, hat ihr Amt als Kanzlerin dem Umstand zu verdanken, dass diese Konstellation politisch irreal war – und bis heute irreal ist.