Drei türkische Fahnen, zwei von ihnen fast mannshoch, und eine kleine deutsche. Eine große Halbmondfahne steht mit dem aufgestickten Präsidenten-Sternsymbol hinter Recep Tayyib Erdogan. Die andere steht hinter Angela Merkel.
Als sei die Bundeskanzlerin eine türkische Gouverneurin. Die kleine deutsche Fahne auf dem Tisch neben der Bundeskanzlerin wirkt wie in letzter Sekunde hingestellt. Als sei sie gar nicht vorgesehen gewesen.
Das Treffen der Bundeskanzlerin mit dem türkischen Präsidenten fand aber in Hangzhou/China statt. Auf neutralem Boden, zwischen gleichberechtigten Nato-Partnern – theoretisch. Die Optik sah eher so aus, als handele es sich um eine Sühne-Audienz Merkels beim Sultan in Ankara.
Vielleicht fand es das Bundeskanzleramt angemessen, diese Kulisse hinzunehmen. Vielleicht war es auf diese Weise leichter, Erdogan zu sagen: Mit der EU-Visumfreiheit für türkische Reisende schon ab Oktober wird es nichts, da hilft auch kein türkisches Ultimatum. Dafür hat die Türkei nach dem Putsch zu viele Professoren und Richter entlassen, zu viele Journalisten verhaftet, zu oft von der Wiedereinführung der Todesstrafe gesprochen.
Vielleicht war es mit dem Fahnenzugeständnis einfacher, Erdogan zu sagen: Deutsche Abgeordnete bekommen wieder Zugang zur Nato-Basis Incirlik, oder wir müssen unsere Flugzeuge in den griechischen Teil Zyperns verlegen.
Erdogan entscheidet über Merkels Schicksal
Vielleicht war es auf diese Weise problemloser, ihm zu sagen: Wenn der Bundestag den hundert Jahre alten Völkermord an den Armeniern verurteilt, dann ist das zwar ein großes Ärgernis für Ankara.
Aber derselbe Bundestag wird eines Tages auch über die Visumfreiheit für Türken abstimmen, und diese Abstimmung könnte schiefgehen, wenn die Türkei deutsche Abgeordnete weiterhin behindert. Die Bundesregierung hat keine Befehlsgewalt über das Parlament.
Das alles könnte so gesagt worden sein. Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille. Wenn Erdogan das EU-Türkei-Abkommen zur gemeinsamen Flüchtlingspolitik aufkündigt, kann er Angela Merkels politisches Schicksal entscheiden.
Das Versprechen, der Flüchtlingszustrom vom Herbst 2015 werde sich so nicht wiederholen, hängt bis zu einer einheitlichen EU-Asylpolitik davon ab, ob Ankara die Grenze weiterhin geschlossen hält. Die mannshohe türkische Fahne hinter Merkel ist auch ein Erpressungssymbol.
Manchmal ist das so in der Außenpolitik. Es gibt aber auch auf deutscher Seite eine rote Linie der Selbstachtung. Berlin ist keine türkische Provinzhauptstadt. Das zu demonstrieren ist ebenfalls Merkels Aufgabe, und das festzustellen ist eine Selbstverständlichkeit, die Erdogan hoffentlich begreift.