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Meinung Neo-Nazis in der DDR

Geburt des Rechtsextremismus im Stasi-Elternhaus

Neo-Nazis (Archivfoto und Text 1990) Neo-Nazis (Archivfoto und Text 1990)
Neo-Nazis im Jahr 1990 am KZ Sachsenhausen
Quelle: picture-alliance / ZB/Zentralbild/laf Wyludda
Von wegen Antifa: Die DDR ignorierte ihre rechtsradikale Szene nicht nur viel zu lange – in Stasi-Familien gedieh der braune Sumpf besonders gut.

Im Jahr 1980 verfassten einige Stasi -Offiziere der für die Überwachung der Jugend zuständigen Hauptabteilung XX/2 eine interessante Analyse. Auf 27 Seiten setzten sie sich mit der „politisch-operativen Lage unter jugendlichen Personenkreisen in der DDR “ auseinander. Ganze 15 Zeilen widmeten sie einem, für sie zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch nebensächlichen Problem.

In einigen Bezirken der DDR gäbe es mit steigender Tendenz Hinweise auf die „Verherrlichung faschistischen Gedankengutes“ durch Jugendliche. Dies äußere sich in Anschmieren faschistischer Symbole in der Öffentlichkeit, in Schulheften und auf Schulbänken. Faschistische Lieder würden gesungen und der Hitlergruß gezeigt.

Zu Führers Geburtstag am 20. April fänden Feiern statt und man rede sich gegenseitig mit faschistischen Dienstgraden an. Einige in dieser Weise negative jugendliche Zusammenschlüsse, darunter zwei Wehrsportgruppen, seien im Jahr 1980 zerschlagen worden.

An neofaschistischen Vorfällen beteiligten sich hauptsächlich Schüler im Alter von 14 bis 16 Jahren. In der vorliegenden Analyse, wie auch im sonstigen MfS-Schriftgut wurde der Begriff „ Nationalsozialismus “ möglichst vermieden, diente das Ministerium als „Schild und Schwert“ doch ebenfalls einer sozialistischen Partei, der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) .

Punker sind gefährlich

Unverhältnismäßig mehr Aufmerksamkeit widmete die Stasi Anfang der achtziger Jahre einer, ihrer Meinung nach, weitaus radikaleren Form von Jugendprotest. Konsequenter als die "Tramper" der siebziger Jahre verweigerten sich nun die Punks dem allumfassenden Zugriff von Partei und Staat.

Es ist auffällig, dass in den Monatsberichten, Arbeitsplänen und Analysen der Hauptabteilung XX bis 1987 fast ausschließlich die eher linksgerichteten Punks im Visier waren. So verfasste der Vertreter des Stasi- Ministers Mielke, Generalleutnant Rudi Mittig, noch am 7.Juli 1986 eine ausführliche Information für die Leiter aller Stasi-Diensteinheiten über die Gesellschaftsgefährlichkeit der Punker.

Besonders bedrohlich erschienen dem Stellvertreter offensichtlich die „illegalen Punkmusikgruppen“, deren Auftritte in Kirchen und kirchlichen Räumen möglichst zu verhindern seien. In einer Art Fehleinschätzung ging Mittig sogar so weit, den Punkbands faschistische Tendenzen zu unterstellen. Das rechtsradikale Potenzial dagegen nahm das MfS bis 1987 in zahlreichen Analysen und Berichten oft lediglich als „negativen Anhang von Fußballklubs“ war.

Skinheads schlagen zu

Das änderte sich im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig nach den gewalttätigen Ausschreitungen von Skinheads auf einer Punkveranstaltung in der Berliner Zionskirche am 17.Oktober 1987.

Die Sicherheitsorgane waren so aufgeschreckt, dass Mielke sich sogar genötigt sah, in einer Anweisung an die Leiter der Diensteinheiten im Zusammenhang mit möglichen neonazistischen Ausschreitungen am 30.Januar 1988 (dem 55. Jahrestag der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933) bei "ernsthaften Gefährdungen" der Sicherheit, den Gebrauch der Schusswaffe anzuordnen. Es bleibt zu fragen, warum das MfS den Rechtsradikalismus unter Jugendlichen erst so spät wahrnahm.

Die netten Jungs von nebenan

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Eine mögliche Antwort gibt eine Anweisung Generaloberst Mittigs an die Bezirksverwaltungen des MfS vom 2. Februar 1988. Dort beschrieb er zunächst das äußere Erscheinungsbild der Skinheads (Glatze, Bomberjacke, Röhrenjeans, Springerstiefel). Allerdings seien diese Gegenstände schwierig zu beschaffen, weshalb „in vielen Fällen solche Jugendliche im Arbeits- bzw. Bildungsbereich ein ganz normales, sportliches Äußeres aufweisen.“

Des Weiteren lieferte Mittig eine Einschätzung der Ideologie der Skinheads. Dort stellte er unter anderem fest: „Die überwiegende Mehrheit der Skinheads geht einer Arbeit nach. Im Gegensatz zu anderen negativ-dekadenten Jugendlichen zeigen sie zum Teil gute Arbeitsleistungen, Arbeitsdisziplin und werden in den Arbeitskollektiven anerkannt, ohne das diese über ihre Freizeitaktivitäten informiert sind.“

Wichtiger noch scheint Mittigs folgende Feststellung: „Die überwiegende Mehrheit der Skinheads steht dem Wehrdienst nicht ablehnend gegenüber. Es wird von ihnen die Auffassung vertreten, dass militärische Ausbildung zum ‚Deutschtum’ gehöre. Andere negativ-dekadente Jugendliche, wie Punker, werden von Skinheads missachtet und teilweise gehasst.“

Hier entsteht ein Bild von ordentlichen Jungs, die im Gegensatz zu den faulen und dreckigen Punks arbeitseifrig und wehrwillig sind und die dann eben auch mal über die Stränge schlagen: „Der Besuch von Disco- und Fußballveranstaltungen ist häufig mit übermäßigem Alkoholgenuss verbunden, in dessen Ergebnis es zu rowdyhaften Ausschreitungen und neofaschistischen Äußerungen durch die Skinheads kommt.“

Die imperialistische BRD ist schuld

Offiziell verkündete die SED-Propaganda in jenen Jahren jedoch unbeirrt „in der DDR herrsche ein wohltuende Atmosphäre von Disziplin, Ordnung. Sicherheit und Geborgenheit.“ In dieser Gesellschaft gehörten ein ordentliches Outfit, Arbeitsdisziplin und Wehrwille zu den schätzenswerten Eigenschaften.

Mittig verschwendete in seiner Analyse keinerlei Überlegungen an die Frage nach den gesellschaftlichen Ursachen der neonazistischen Tendenzen unter Jugendlichen. Die latente Fremdenfeindlichkeit, die Ausgrenzung Andersartiger und Andersdenkender wurden nicht thematisiert.

Stattdessen stellte er kategorisch fest, dass „neofaschistische und nationalistische Erscheinungen dem Sozialismus wesensfremd, ihre Ursache im imperialistischen System begründet sind und in der DDR durch das Einwirken von neofaschistischen Kräften aus der BRD bei einzelnen Personen hervorgerufen werden.“

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Dieses kurzsichtige Denkverbot war chakteristisch für sämtliche schriftlichen MfS-Stellungnahmen zum Thema aus den achtziger Jahren. Es scheint deshalb nicht verwunderlich, dass der Stasi die Kontrolle über die rechte Szene in der DDR zunehmend entglitt. So entsprachen auch die folgenden Zahlenangaben wohl kaum der Wirklichkeit und waren untertrieben.

Nach einem Stasi-Lagebericht an die SED-Parteileitung wurden im Dezember 1988 auf dem Gebiet der DDR lediglich 1034 Skinheads registriert. Zu deren Überwachung setzte man angeblich 132 inoffizielle Mitarbeiter (IM) ein.

Skins aus MfS-Familien

Beim Einsatz dieser IM zur Kontrolle rechtsradikaler Jugendgruppen hatte die Stasi besondere Schwierigkeiten. Dazu vermerkte der Leiter der HA XX/2, Oberst Horst Kuschel, in einem handschriftlichen Redemanuskript vom Sommer 1989: "Die Skins oder Faschos sind die extremsten antikommunistischen Elemente, die wir je unter unserer Jugend hatten.

Die Formen der Auseinandersetzungen unter den Skins und deren 'Riten' gehen bis zum Androhen der 'Liquidierung' von 'Verrätern' (MfS-Spitzel-Psychose) nach dem Vorbild faschistischer Femeorganisationen." Das Manuskript schilderte in drastischer Offenheit die Vorgehensweise, aber auch die enormen Probleme bei der Werbung und Erziehung von IM unter 25 Jahren.

Äußerst schwierig, heißt es dort, sei die Gewinnung von IM unter negativ-dekadenten Jugendlichen wie Punks Skins, Faschos und Gruftis. Mit zuverlässigen, "guten Kadern" wie Mitgliedern der Staatjugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ) sei ein Eindringen in diese Kreise fast ausgeschlossen, weil die "ewig außerhalb blieben".

Zwar seien dem MfS beispielsweise Skins aus MfS-Familien als IM-Kandidaten angeboten worden, doch man könne es nicht verantworten, einen Jungen aus gutem Elternhaus in diese Gruppen zu schicken. Auch Oberst Kuschel machte sich keinerlei Gedanken darüber, wieso ausgerechnet Kinder von MfS-Mitarbeitern anfällig für neonazistisches Gedankengut waren.

Diese Frage blendete er aus. Auch wie viele dieser „Stasi-Skins“ es gegeben hat und ob jemals von den MfS-Eltern etwas gegen die Nazi-Gesinnung ihrer Sprösslinge unternommen wurde, erfahren wir leider nicht.

Sie konnten das Prügeln nicht lassen

Kuschel beklagte in seinem Redemanuskript, dass man beim Eindringen in Skinheadgruppen auf Jugendliche mit "verfestigter negativ-dekadenter Einstellung" angewiesen sei, die sich aber aus den verschiedensten Gründen als unzuverlässig erweisen hätten. Daraus schlussfolgerte der Leiter der HA XX/2:

"Wir stehen vor folgendem Dilemma: Fordern wir auf diesem Gebiet bei IM-Kandidaten eine klare Haltung, finden wir kaum geeignete Werbungskandidaten. Dem Zusammenschluss Gleichgesinnter in solchen Gruppen liegt häufig [eine] ähnliche gebrochene Persönlichkeitsentwicklung zugrunde. Machen wir Kompromisse auf diesem und anderem Gebiet, müssen wir das Risiko tragen bis zur schließlichen Ausreiseantragstellung oder Inhaftierung wegen Kriminalität.“

Das Manuskript nannte dafür auch Beispiele. So war der jugendliche IM mit dem Decknamen „Rene“ als Mitglied einer Berliner Skin-Gruppe nach seiner Haftentlassung zur inoffiziellen Mitarbeit geworben worden weil „er nicht sogleich wieder in Haft“ gehen wollte.

Vom MfS spendierte "Bomberjacke für 500,- Mark"

Von seiner gewaltbereiten Haltung konnte er jedoch nicht ablassen und wurde am 20.April 1989 bei einer Prügelattacke gegen Schwarzafrikaner erneut straffällig und fiel damit als Informant aus. Einen anderen Jugendlichen hatte das MfS mit dem Decknamen "Per Beering unter „Nutzung seines Geltungsdrangs angeworben“. Ihm wurde von seinem Führungsoffizier ein gutes, zuverlässiges Verhältnis zum MfS bescheinigt.

Man musste aber feststellen, dass der "gute Junge", trotz vom MfS spendierter "Bomberjacke für 500,- Mark", nicht an die Gruppe herankam, auf die er angesetzt war. Mehr Informationen lieferte IM "Rene" als Mitglied einer Skinheadgruppe. Er war nach der Haftentlassung "auf der Basis von Wiedergutmachung" geworben worden und hatte ein Interesse daran, nicht gleich wieder "einzufahren".

Auch er konnte ebenso wie IM „Rene“ von seinem Hang zum Prügeln nicht ablassen und musste nach kurzer Zeit wegen gewalttätiger Ausschreitungen wieder inhaftiert werden. Einen weiteren Jugendlichen hatte das MfS unter dem Decknamen „Mike“ angeworben. Er spitzelte 1989 angeblich aus „Überzeugung“ für die Stasi. Genau dies war jedoch das Problem.

Bankrotte Vaterfiguren

Obwohl sein Cousin nach MfS-Erkenntnissen der „Oberskinhead von Berlin-Marzahn“ war, konnte „Mike“ nicht ins Innere der Zielgruppe eindringen. „Er gehört von der Persönlichkeitsstruktur einfach nicht dazu“, konstatierten seine Führungsoffiziere resigniert. Damit war er für das MfS ebenso wertlos wie der "gute Junge" mit der Bomberjacke.

Geradezu zynisch klang die Feststellung Oberst Kuschels in seinem Redemanuskript, dass die Mitarbeiter des MfS an den jugendlichen IM Vaterstelle zu vertreten hätten. Die Führungsoffiziere wären oft die einzigen, die die Probleme dieser Jugendlichen anhörten und Hilfe gäben.

Das Manuskript endete mit der Feststellung: „Hohe Anforderungen ergeben sich daraus an die politische und menschliche Reife der operativen Mitarbeiter auf diesem Gebiet. Wir brauchen nicht den Typ des laxen Kumpels oder guten Onkels, sondern den Typ des verständnisvollen Partners oder die gute Vaterfigur, wo der konsequente Genosse (prinzipienfester Tschekist) immer dahinter gespürt wird.“

Abgesehen von der Menschenverachtung, die aus einer solchen Instrumentalisierung junger Menschen sprach, kamen die zitierten Ausführungen des Leiters der HA XX/2 fast einer Bankrotterklärung gleich. Offensichtlich war das MfS Ende der achtziger Jahre nicht mehr in der Lage, seine IM als wichtigstes Instrument der Informationsbeschaffung, Beeinflussung und Zersetzung wirkungsvoll unter Gruppen neonazistischer Jugendlicher einzusetzen.

Alles zu spät

Auf einer zentralen Dienstkonferenz am 26. Oktober 1988 konstatierte Stasiminister Erich Mielke dramatisch zunehmende „sozialismusfeindliche Erscheinungen“, insbesondere in Form „faschistischer Denk- und Verhaltensweisen“, einhergehend mit „schwerem Rowdytum“ und brutaler Gewaltanwendung gegen Bürger und Sachwerte durch Jugendliche.

Als besonders gefährlich benannte er die Skinheads, Punks, Heavy Metals und deren Sympathisanten. Mielke verlangte von allen Diensteinheiten gemeinsam mit den „Partnern des politisch-operativen Zusammenwirkens“ (Volkspolizei, SED, FDJ, Volksbildung), erforderliche politisch-operative-, rechtliche- und Erziehungsmaßnahmen einzuleiten.

Bekämpfen und Zurückdrängen

Für das Jahr 1989 formulierte deshalb der Jahresarbeitsplan der Hauptabteilung XX/2 folgende Arbeitsschwerpunkte: Die Verherrlichung und Propagierung des Faschismus in Form von Ausländer- und Rassenhass sollten bekämpft und zurückgedrängt werden.

Gegen das provozierende und brutale Auftreten besonders von Skinheads und Heavy-Metal-Fans in der Öffentlichkeit sollte durch die Verbesserung der IM-Arbeit unter diesen Personenkreisen und die rigorose Anwendung aller strafrechtlichen Mittel vorgegangen werden.

Doch der Aktionismus der Stasi kam zu spät. Die Maßnahmen griffen nicht mehr. Zu lange war das MfS auf dem rechten Auge zumindest kurzsichtig gewesen. Die rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Ausschreitungen von Rostock, Hoyerswerda und anderswo in den neuen Bundesländern haben hier eine ihrer Ursachen.

Der Autor ist seit 2009 freier wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Abteilung Bildung und Forschung

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