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Meinung Sebastian Kurz

Sein neues Österreich

Der rasante Aufstieg des Sebastian Kurz

Sebastian Kurz könnte bald Europas jüngster Regierungschef werden. Der 31-Jährige, der im Wahlkampf vor allem auf eine strengere Flüchtlingspolitik setzte, konnte mit der ÖVP einen riesigen Erfolg feiern.

Quelle: N24/ Sandra Saatmann

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Ein junger Politiker verkörpert wie kein anderer die Sehnsucht der Österreicher nach einem „Neuanfang“: ÖVP-Chef Kurz will jetzt als Kanzler das Land umbauen. Was, bitteschön, soll an seiner Migrationspolitik „rechts“ sein?

Kommentatoren, Meinungsforscher und Politologen sind sich einig: Mit einem leichten Unterton der Empörung diagnostizieren sie einen „Rechtsruck“ in Österreich, wo Wahlsieger Sebastian Kurz von der ÖVP wahrscheinlich neuer Kanzler wird. Was soll denn ein „Rechtsruck“ genau sein?

„Rechts“, „links“ – das sind Kategorien, die zwar früher zum Alltag des politischen Diskurses gehörten, in einer komplexen und globalisierten Welt aber nichts mehr zu suchen haben. Sie führen in die Irre. Offenheit, Innovationsfähigkeit, der Grad an Freiheit – es ist das, was zählt.

Ist „rechts“ etwa, wenn ein Politiker wie Kurz die Außengrenzen so sichern will, dass schutzbedürftige Flüchtlinge nur noch auf kontrolliertem Weg über Resettlement nach Europa kommen und diejenigen rechtzeitig abgewiesen werden, die null Chance auf Asyl in Europa haben?

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Ist „rechts“, wenn Kurz die Leistungen für Asylbewerber – ebenso wie die EU-Kommission oder auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière – in Europa stärker vereinheitlichen und die Ausgaben im eigenen Land dementsprechend kürzen will, um sogenannte Sekundärmigration innerhalb der EU zu verhindern?

Ist „rechts“, wenn jemand härtere Strafen für Schwerkriminelle und mehr Möglichkeiten zur Ausspähung von terroristischen Aktivitäten zur Verhinderung von Anschlägen fordert? Ist „rechts“, wenn Parteien die europäische Idee zwar unterstützen, aber das Regelwerk der EU unter subsidiären Gesichtspunkten abklopfen wollen?

„Rechtsruck“ – das ist eine absurde Kategorisierung. Entweder ist Politik richtig oder falsch. Und Kurz’ Migrationspolitik ist im Wesentlichen richtig, weil sie auf kontrollierte Migration setzt und einen funktionierenden EU-Außengrenzenschutz als Chimäre entlarvt.

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Das Phänomen Kurz, der kometenartig aufgestiegen ist und die Sehnsucht der Österreicher nach einem „Neuanfang“ in der Politik verkörpert, beflügelt die Debatte über die Aufstellung der bürgerlich-konservativen Parteien in Europa. Aber es ist eine artifizielle Debatte, mit der sich „Experten“ im Fernsehen und waidwunde CSU-Politiker wie Generalsekretär Andreas Scheuer interessant machen.

Denn jedes Land ist ein Fall für sich, mit spezifischen Strukturen bezüglich Geografie, Bevölkerungszusammensetzung, politischer Organisation und Kultur. Insofern hinken solche Vergleiche. Es gibt keine einheitliche europäische Blaupause für Wahlsieger.

Wohl aber diese Erkenntnis: In ausdifferenzierten und wohlhabenden europäischen Gesellschaften wie Deutschland, Finnland oder Österreich ist das allgemeine Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit derzeit geringer als jenes nach Sicherheit und Ordnung. Das haben weder SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz noch Österreichs SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern rechtzeitig erkannt.

Staatsquote von 50 Prozent

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Noch ist unklar, wer am Ende Österreich regieren wird. Eine Koalition zwischen SPÖ und der populistischen FPÖ ist ebenso denkbar wie ein Bündnis aus der konservativen ÖVP und den Freiheitlichen oder eine Neuauflage der großen Koalition. Entscheidend für den Erfolg der neuen Regierung wird aber sein, inwieweit es ihr gelingt, Österreich wieder zukunftsfähig zu machen.

Felix Austria ist in den vergangenen Jahren zu einer riesigen Reformbaustelle geworden: lahmende Produktivität, zu wenige Neugründungen, eine Staatsausgabenquote von 50 Prozent, eine überregulierte „Gewerbeordnung“, ein überkommenes Rentensystem, fehlende Innovationen und unsinnige Subventionen wie „Investitionszuwachsprämien“ oder „Beschäftigungsbonus“ bei guter Konjunktur.

Profiteure dieses Systems sind eine überbordende Bürokratie, ein verkrustetes Föderalsystem und eine Schattenregierung, die gebildet wird von Wirtschafts- und Arbeitskammer – ein perfekter Sozialpartnerklüngel, der seit Jahrzehnten den Status quo zu zementieren versucht. Kurz will das mit aller Macht ändern.

Er hat seine Partei schon handstreichartig umgekrempelt, jetzt könnte er sein Land von Grund auf modernisieren. Kurz kann die bessere Merkel werden. Auch Christian Kern will – mit Abstrichen – das alte System aufbrechen. Sollte er Kanzler bleiben und mit den Freiheitlichen koalieren, muss er aber zuvor die aufbrechenden Machtkämpfe innerhalb der tief gespaltenen SPÖ gewinnen.

Österreich hat – trotz aller internen Widerstände – das Potenzial, zu einem Reformmodell für Europa zu werden, zum Vorbild für die gelungene Transformation einer überregulierten Volkswirtschaft mit klientelistischen Strukturen hin zu einem dynamischen und innovativen Land.

Österreichs Vorteil ist dabei, kleiner und flexibler zu sein als träge Volkswirtschaften wie Italien und Frankreich. Hinzu kommt die günstige konjunkturelle Lage: Die Wirtschaft brummt wie seit zehn Jahren nicht mehr und verzeichnet das größte Beschäftigungsplus seit 2011.

Das ist freilich kein Verdienst der letzten Regierung, sondern ist vor allem der anziehenden Weltkonjunktur geschuldet. Aber die überraschend starke Wirtschaft bietet ein günstiges Umfeld für durchgreifende Reformen wie lange nicht. Kurz oder Kern müssen dieses Momentum nutzen.

FPÖ ist moderater geworden

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Und was würde der Wechsel in Wien für Europa bedeuten? Eine neue Regierung unter Kurz oder Kern und unter Beteiligung der FPÖ würde es für Merkel und Frankreichs Staatspräsident Macron deutlich schwerer machen: Wien würde mehr Härte in der Migrationspolitik von Berlin und Brüssel fordern und zugleich Macrons Euro-Zonen-Träumereien, die allerdings auch von Merkel und der FDP kritisch gesehen werden, massiv torpedieren.

Allerdings würde auch die FPÖ mehr Integration in Verteidigungs- und Grenzschutzfragen unterstützen. Österreich in der EU zum Paria zu machen, wie es das vor 17 Jahren durch Einschränkung der diplomatischen Kontakte mit Wien wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ schon einmal gegeben hatte, wäre nicht zuletzt deswegen heute undenkbar. Beide Seiten haben dazugelernt, die EU ist erwachsener geworden und die FPÖ moderater als damals.

Eine neue Regierung in Österreich bietet aber auch Chancen für die EU. Österreich könnte künftig mit einer Mischung aus moderner Wirtschafts- und strenger Migrationspolitik zum Transmissionsriemen zwischen Brüssel und jenen Ländern innerhalb der Union wie den Visegrád-Staaten werden, die sich immer mehr von der EU zu entfernen scheinen.

Die Gräben zwischen Mittel- und Osteuropa und den übrigen Mitgliedstaaten könnten dadurch wieder kleiner werden. Sollte es gelingen, den schleichenden Erosionsprozess zwischen Ost und West aufzuhalten, würde Österreich zu einem Stabilitätsanker in Europa.

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