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Wie gefährlich sind E-Zigaretten?

Bei der E-Zigarette wird die zu inhalierende Flüssigkeit verdampft. Die Geschmacksrichtung kann jeder Raucher selbst wählen – oder nach Anleitungen aus dem Internet zusammenpanschen Bei der E-Zigarette wird die zu inhalierende Flüssigkeit verdampft. Die Geschmacksrichtung kann jeder Raucher selbst wählen – oder nach Anleitungen aus dem Internet zusammenpanschen
Bei der E-Zigarette wird die zu inhalierende Flüssigkeit verdampft. Die Geschmacksrichtung kann jeder Raucher selbst wählen – oder nach Anleitungen aus dem Internet zusammenpansche...n
Quelle: dpa/frg soe
Um die E-Zigarette tobt ein erbitterter Streit: Die einen halten sie für ein gutes Mittel, um wenigstens ein paar Raucher vom Tabak wegzuholen. Für andere zählt nur die komplette Abstinenz.

Bei der E-Zigarette scheiden sich spätestens in der Wissenschaft die Geister: Überwiegen die Gefahren ob der vielen Chemie oder können so im besten Falle Millionen Menschenleben gerettet werden? Am Ende wollen beide beide Seiten eigentlich das Gleiche: die enormen gesundheitlichen Probleme durch Zigaretten minimieren. Wie man das erreichen kann – darüber könnten die Meinungen unterschiedlicher nicht sein. Jüngst schrieben Soziomediziner der New Yorker Columbia University in der Zeitschrift „Science“ sogar von einem „globalen Kampf um E-Zigaretten“.

Grundsätzlich bescheinigen sich beide Seiten gute Absichten, doch hinter der Fassade brodelt es. Peter Hajek, Präventivmediziner der Londoner Queen Mary University und Vertreter einer pragmatischen Haltung, warf kürzlich den strikten Gegnern der neuen Technologie im Fachblatt „BMC Medicine“ vor, aus ideologischen Gründen eine historische Chance zu verspielen. Der Umstieg von Tabak- auf E-Zigaretten, so der Forscher, könne Hunderttausende Menschenleben retten.

In der gleichen Zeitschrift hielt Charlotta Pisinger vom dänischen Glostrup Hospital dagegen: Ihrer Meinung nach untergraben Pragmatiker wie Hajek die Erfolge des seit Jahrzehnten geführten Kampfes gegen Tabak. E-Zigaretten seien bei weitem nicht harmlos. Zudem könnten sie bei Nichtrauchern und Ex-Rauchern die Lust auf echte Zigaretten wecken und das Rauchen wieder salonfähig machen, mahnte sie.

Pragmatiker gegen strikte Gegner der E-Zigarette

Beide Seiten haben ihre Argumente, betrachten die Frage aber aus entgegengesetzten Perspektiven. Pragmatiker wie Hajek messen die E-Zigarette am herkömmlichen Glimmstängel, strikte Gegner wie Pisinger vergleichen sie dagegen mit völliger Abstinenz. Entsprechend unterschiedlich fallen die Bewertungen aus.

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Worum geht es? Während beim Rauchen die Inhaltsstoffe verbrannt werden, wird in der E-Zigarette eine Flüssigkeit – das Liquid – bei einer bestimmten Temperatur lediglich verdampft. Beim Inhalieren gelangen Aerosole in die Lunge, aber keine Verbrennungsprodukte.

Die Liquids bestehen zu mehr als 90 Prozent aus einer Trägersubstanz. Das ist meist Propylenglycol oder Glyzerin. Beide Stoffe, in der EU als Lebensmittelzusätze E 1520 und E 422 gelistet, kommen unter anderem in Kaugummis vor oder liefern in Diskotheken Nebel. In den E-Zigaretten sorgen sie für den sichtbaren Dampf beim Inhalieren und Ausatmen. Der Geschmack kommt von Aromastoffen, von denen es Tausende in zahllosen Geschmacksrichtungen gibt – von Ananas über Eierlikör und Minze bis Zuckerwatte. Die meisten Liquids enthalten auch Nikotin.

Konsum von E-Zigaretten steigt

Während Experten noch über den Umgang mit der neuen Technik streiten, steigt der Konsum. Patentiert wurde das Prinzip, Flüssigkeit zu verdampfen und dieses Aerosol zu inhalieren, schon vor mehr als einem halben Jahrhundert. Marktfähig sind solche Produkte erst seit einigen Jahren.

Noch wirken Dampfer eher als Exoten, aber immer häufiger sieht man Menschen mit den länglichen, futuristisch anmutenden Geräten. Der Verband des eZigarettenhandels (VdeH) geht nach eigenen Angaben von derzeit etwa 3 Millionen Konsumenten aus. Der Umsatz mit solchen Produkten stieg laut Pressesprecher Philip Drögemüller 2010 bis 2014 von 5 Millionen auf 150 bis 200 Millionen Euro. Der Mediziner Sudhanshu Patwardhan, der für den Konzern British American Tobacco arbeitet, präsentierte kürzlich auf einer Tagung eine Prognose, wonach die Umsätze durch E-Zigaretten die für herkömmliche Glimmstängel bis 2021 übersteigen werden.

Auch Thomas Hartung von der Johns Hopkins University in Baltimore rechnet damit, dass die Verbreitung noch deutlich zunehmen wird. „Vermutlich würden das mehr Menschen tun, wenn die Erfahrung dem Rauchen vergleichbar wäre“, sagt der Toxikologe. Derzeit nehme der Körper beim Dampfen deutlich weniger Nikotin auf als beim Rauchen. „Aber das ist eine Frage der Zeit, das ist nur ein technologisches Problem.“

E-Zigaretten weniger schädlich?

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Forscher glauben einhellig, dass E-Zigaretten trotz möglicher unbekannter Risiken insgesamt weniger schädlich sind als Tabakzigaretten. Kürzlich schätzten Mediziner um den Pharmakologen David Nutt vom Imperial College London im Fachblatt „European Addiction Research“ die gesundheitliche Gefährdung durch E-Zigaretten im Vergleich zu normalen Zigaretten auf etwa 4 Prozent. Nikotinersatztherapien mit Kaugummi, Pflaster oder Sprays liegen demnach gemittelt bei 2 Prozent.

E-Zigaretten bleiben frei verkäuflich

Das Bundesverwaltungsgericht stuft E-Zigaretten nicht als zulassungspflichtige Arznei ein: Der freier Handel und Verkauf von Produkten rund um E-Zigaretten ist wie bisher möglich.

Quelle: N24

„Anwendungen des Gebrauchs anderer Nikotinformen wie E-Zigaretten oder Nikotinersatztherapien sollten ermutigt werden, um den Zigarettenverbrauch zu senken, da ihre Risiken viel geringer sind“, folgerten die Forscher.

Prognosen gehen davon aus, dass im 21. Jahrhundert etwa eine Milliarde Menschen an den Folgen des Rauchens sterben. Das Umsteigen aufs Dampfen könnte vielen von ihnen einen frühen Tod ersparen. „Wir reden darüber, etwa 100 Millionen Menschenleben zu retten“, betont Hartung und verweist auf Studien, denen zufolge einer von neun Rauchern beim Dampfen bleibt. „Diese Chance sollten wir nutzen. Mit einer restriktiven Haltung würde man einen Zug, der gerade abfährt, für Jahre aufhalten.“

Rauchstopp mit E-Zigarette vermutlich leichter

Eine Ende 2014 erschienene Übersichtsstudie der Cochrane Collaboration ergab, dass E-Zigaretten einen Rauchstopp vermutlich erleichtern könnten. Hauptgrundlage des Ergebnisses sind allerdings lediglich zwei hochwertige Studien. Demnach schafften es 9 Prozent der Dampfer nikotinhaltiger E-Zigaretten, den Tabakkonsum für mindestens ein Jahr einzustellen. Und immerhin konnten mehr als ein Drittel der Konsumenten (36 Prozent) ihren Zigarettenverbrauch halbieren – mit Placebo waren es 28 Prozent.

Das ermutigende Ergebnis müsse aber durch weitere Untersuchungen bestätigt werden, heißt es in der „Cochrane Database of Systematic Reviews“. „Beide Studien prüften E-Zigaretten mit geringer Nikotinabgabe, und wahrscheinlich sind neuere Produkte mit höherer und schnellerer Nikotinabgabe effektiver.“ Hauptautor der Studie war allerdings der für seine pragmatische Haltung bekannte Präventivmediziner Hajek.

Ganz anders sieht das Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Dabei gesteht sie dem Briten durchaus lautere Motive zu. „Peter Hajek ist ein aufrechter Überzeugungstäter, der leidenschaftlich darum bemüht ist, einen substanziellen Beitrag zur Tabakentwöhnung zu leisten“, betont sie. „Aber seine Argumente sind wenig substanziell. Die Welt ist komplexer.“

Aufbau einer E-Zigarette
Aufbau einer E-Zigarette
Quelle: Infografik Die Welt

Sie plädiert dafür, Raucher eher zu Abstinenz zu bewegen als ihnen E-Zigaretten schmackhaft zu machen. „Wir wissen, dass die Hälfte der Raucher es schafft aufzuhören, die meisten ohne irgendwelche Hilfsmittel. Medizinisch ist es ein gravierender Fehler, diese hoffnungsfrohen, zum Ausstieg gewillten Raucher zum Umstieg zu verleiten.“

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Pötschke-Langer verweist darauf, dass eine Vielzahl von Aromastoffen in E-Zigaretten vorkommen können. „Die E-Zigarette enthält ein Chemikaliengemisch mit ultrafeinen Partikeln, die durch die Atemwege in den Körper gelangen. Man kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehen, was die anrichten. Viele Aromastoffe sind überhaupt nicht getestet, andere nur als Lebensmittel, aber nicht beim Inhalationsvorgang.“

Tatsächlich gibt es keinerlei Sicherheitsstandards, und über die Auswirkungen der Liquids weiß man erschreckend wenig. Zwar gebe es mehr als 200 Studien dazu, schätzt Pötschke-Langer. Doch angesichts Tausender möglicher Inhaltsstoffe reiche dies nicht einmal annähernd aus, sagt auch Hartung. „Man weiß nicht genug“, betont er. „Die Hersteller fühlen sich auf der sicheren Seite, weil viele Aromen von Lebensmitteln stammen. Aber die werden nicht inhaliert. Man kann da durchaus Überraschungen erleben.“

Frostschutzmittel zum Vernebeln

Eine Überraschung erlebten Forscher am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin. Die Wissenschaftler untersuchten 28 Produkte, die vom deutschen Markt oder aus dem Internet stammten. „Wir fanden Verneblungsmittel, die wir nicht erwartet hätten, etwa Ethylenglykol“, sagt der Biochemiker Frank Henkler. Diesen Stoff kennen Autofahrer als Frostschutzmittel. „Bei den gefundenen Mengen bestand zwar kein ernstes toxikologisches Problem, aber wir wissen nicht, wie sich das bei chronischem Gebrauch über Jahre auswirkt.“

Außerdem fanden die Forscher in manchen Liquids allergene Duftstoffe oder die Substanz Cumarin, die wegen Leber schädigender Eigenschaften nicht in Tabakerzeugnissen vorkommen darf. Auch Carbonylverbindungen wie Formaldehyd oder Acetaldehyd könnten entstehen, vor allem dann, wenn über zwei Drittel der Flüssigkeit aus dem Depot aufgedampft sind, sagt Henkler.

„Da wären eine Füllstandsanzeige oder technische Sicherheitsmerkmale hilfreich, die Überhitzungen vermeiden“, folgert er und fügt hinzu: „Man könnte viele Schadstoffe in den Emissionen minimieren. Aber wir stehen erst am Anfang einer technischen Entwicklung.“

Grusel-Filmchen für Chemiker

Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass viele Dampfer ihr Liquid selbst mixen. Auf YouTube finden sich Dutzende Videos, auf denen sich Leute mit Pipetten, Trichtern, Messbechern, Elektrowaagen oder Glaskolben ihre eigene Mischung zurechtpanschen. „Da gruselt es einen Chemiker“, sagt Tobias Schripp vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung in Braunschweig, der ebenfalls Liquiddämpfe analysiert hat. „Da fragt man sich schon: Welche markttypischen Stoffe müsste ich eigentlich messen und wie soll ich sie bewerten?“

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Quelle: N24

Bei den Untersuchungen zur Sicherheit der Inhaltsstoffe hapere es bislang vor allem daran, dass es noch keine einheitliche Methode zur Prüfung von E-Zigaretten gebe – die Daten also schwer vergleichbar seien. „Zurzeit kocht da jeder sein eigenes Süppchen“, sagt der Chemiker und betont: „Die Verfahren sind da, man müsste sich bloß auf eines davon einigen.“

Toxikologe Hartung mahnt, die Inhaltsstoffe möglichst schnell zu testen, um Dampfern ein Mindestmaß an Sicherheit zu bieten. „Wir brauchen eine möglichst umfassende Bewertung solcher Substanzen, um die riskanten Stoffe zu ermitteln. Manche Substanzen riechen nach Problemen, bei anderen scheint das eher unwahrscheinlich.“ Und der Biochemiker Henkler rät zu einer Positivliste: „Es wäre günstig, nur Aromen zu verwenden, die auch für Tabakprodukte zugelassen sind.“

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