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Kultur Der letzte Ritter

Maximilian, Kaiser des Umbruchs

Kaiser Maximilian im Triumphzug mit Gefolge – Holzstich von 1838 Kaiser Maximilian im Triumphzug mit Gefolge – Holzstich von 1838
Kaiser Maximilian im Triumphzug mit Gefolge – Holzstich von 1838
Quelle: picture alliance /
Er begründete den Ruhm des Hauses Habsburg mit seiner Heiratspolitik. Und er war ein Genießer mit Sinn für Schaugepränge. Seine Spezialität: Ritterturniere. Eine Ausstellung über Kaiser Maximilian.

Er ist keiner von den Kaisern, deren einstige Popularität in deutschen Landen noch heute nachwirkt. Aber als vor wenigen Tagen das Reiss-Engelhorn-Museum Mannheim im Zeughaus C5 die Ausstellung „Kaiser Maximilian I. Der letzte Ritter und das höfische Turnier“ eröffnet wurde, war der Andrang so groß, dass der Saal mit 400 Plätzen die Besucher nicht fassen konnte. Und so kam es zur ersten Ausstellungseröffnung unter freiem Himmel. Tausend Besucher – ein Rekord.

Was macht den Habsburger, der die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches in einer Umbruchzeit lenkte, so anziehend? Ist es der Glanz, der sich mit dem Mythos des Rittertums verbindet, mit Turnieren in blitzenden Rüstungen, mit einer höfischen Kultur, die noch unbefleckt von den Menschheitsgräueln späterer Jahrhunderte war?

Die Besucher stauen sich gleich vor den ersten Tafeln der Schau: vor der Wappensammlung der habsburgischen Lande, vor dem Stammbaum der Habsburger, der in einem Jahrhundert die Namen von fünf Kaisern umfasst, und vor der großen Karte „Europa zur Zeit der Geburt Maximilians I.“ Die Habsburger Lande sind in jenem Jahr 1459 nur ein daumengroßer Fleck im Farbenteppich Europas, ein Drittel so groß wie Frankreich und Ungarn, halb so groß wie England. Als Maximilian 1519 starb, sah diese Landkarte völlig anders aus, als sei der Kontinent durch Beben gegangen, die das Unterste zuoberst gestürzt haben. Habsburgs Besitztümer haben sich nach Westen und Osten gewaltig ausgeweitet, überschreiten die Reichsgrenzen, messen dem Herrscherhaus eine Weltrolle zu.

Enkelkinder als Schachfiguren

Aber diese Landnahme, die zu den größten und spektakulärsten der europäischen Geschichte zählt, war im Wesentlichen das Werk von Heiratspolitik. Kaiser Maximilian, der in keinem einzigen seiner 25 Kriege entfernt so erfolgreich war wie in den von ihm gestifteten Eheschließungen (einschließlich seiner eigenen), hatte Europas Landkarte verändert, indem er Kinder und Enkelkinder wie Schachfiguren über den Flickenteppich der Fürstentümer des Kontinents verschob und durch Einheirat ganze Länder in den Besitz seines Hauses brachte.

Dieser sprunghafte Eintritt Habsburgs in eine Weltrolle ist und bleibt eines der Mysterien deutscher Nationalgeschichte. In der Ausstellung folgt der ersten groben Orientierungshilfe und einigen Seitenblicken auf Maximilians eigene drei (ebenfalls ganz berechnend eingegangene) Ehen allerdings sogleich der Eintritt in die bunte abgehobene Welt der Turnierspiele. In ihr hat sich der Kaiser nachweislich mit soviel Leidenschaft bewegt, dass ihm bis heute mit dem Beinamen „der letzte Ritter“ gehuldigt wird. Kann dieser Aspekt für sich allein ein Ausstellungsthema sein?

Die Schau geht dem klirrenden Spiel mit unzähligen blankgeputzten eisernen Versatzstücken, Rüstungsbestandteilen, mit originalen Helmen, Schilden und Lanzen aus der Wiener Rüstkammer nach und liefert dazu erläuternde und belehrende Texte und Filme die Fülle. Man sieht nachgestellte Szenen von Trachtengruppen, die in froher Sommerlaune die Schwerter aufeinander krachen lassen, im Parforceritt Lanzen durch Ringe stechen und den Gegner aus dem Sattel stoßen.

Unsummen für Hobbys

Ein bisschen geht das an der Wirklichkeit vorbei. Zu Maximilians Zeiten waren es höfische Spiele und Lustbarkeiten, bei denen sich so mancher Recke üble Verletzungen zuzog. Den Fürstlichkeiten konnte das den Spaß trotzdem nicht verderben. Mit all ihrem Begleittrubel, ihren Festmälern und gesellschaftlichen Späßen bereiteten die Turniere ihnen vielmehr so großes Vergnügen, dass sie diesem Sport auch noch 200 Jahre nach dem „letzten Ritter“ mit Hingabe huldigten: am Hofe Augusts des Starken in Dresden. August war es dann auch, der als ein Fan und Meister in dieser Fechtkunst die größte Sammlung von Prunkharnischen in ganz Europa anlegte (gegen deren seit kurzem im Dresdner Schloss ausgestellte Auswahl die in Mannheim gezeigten Stücke fast bescheiden wirken).

In Maximilians wechselvoller Regierungszeit nimmt die spielerische, fast kindliche Begeisterung für das Turnierwesen insofern einen fatalen Platz ein, als der Kaiser für das Hobby Unsummen Geldes verschleuderte. Und gerade dieser Herrscher war zeitlebens fast ununterbrochen klamm. Doch damit beginnen alle die Fragen an seine Person, die in der Ausstellung des für seine großen historischen Panoramen (Die Staufer, Die Wittelsbacher) berühmten Mannheimer Museums ausgespart sind. Auch im Katalog werden sie über das bisher Bekannte hinaus kaum vertieft.

Dabei liegen hier die wirklich fesselnden Themen. Kaum ein zweiter deutscher Kaiser konnte mit Geld so schlecht umgehen wie Max. Bei den Fuggern, die ihm immer wieder mit horrenden Summen aus der Patsche halfen, stand der Monarch haushoch in der Kreide. Vor mehreren entscheidenden Schlachten liefen ihm die Landsknechte davon, weil er sie nicht bezahlen konnte. Der höchste Repräsentant des Reiches musste vor aller Welt die Schmach auf sich nehmen, unverrichteter Dinge kehrt zu machen.

Die Gattin als Pfand

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Ganze Städte und sogar die Gastwirte seiner Lieblingsresidenz Innsbruck wiesen ihm und seinen Truppen die Tür, weil der hohe Herr Rechnungen offengelassen hatte. Den Gipfel seiner ganz unmajestätischen Geldverlegenheit stellt der in der Fürstengeschichte einmalige Fall dar, dass Maximilian sogar seine Gemahlin Bianca Sforza als „Pfand“ benutzte, um Gläubiger ruhig zu stellen.

Wirkt da die Geldverschwendung auf den Turnieren nicht fast schon pflichtvergessen gegenüber den ernsten Reichsaufgaben, die sich in Maximilians Lebenszeit bekanntlich zu Gebirgen türmten? Da waren die Rivalitäten und Kriege mit Burgund, den Franzosen und den reichen niederländischen Städten – Konflikte, die zeitweilig Maximilians Herrschaft und Ansehen in Frage stellten, wenn zum Beispiel die Städte nicht einmal davor zurückschreckten, den Kaiser – wie es 1488 in Brügge geschah – wochenlang in Haft zu nehmen. Vater Friedrich III., selbst schon ein Greis, musste Truppen aufbieten, Maximilian ein (sofort wieder gebrochenes) Versprechen leisten, um die Demütigung zu beenden.

Da war vor allem aber das tief nach Europa vorgedrungene Türkenreich, von dessen Zurückschlagung Maximilian zeit seines Lebens vergeblich (und tatenscheu) träumte. Und da war der gewaltige geistesgeschichtliche Umsturz, die Reformation, der dieser Herrscher so hilflos wie verständnislos entgegensah.

Papst wollte er auch noch werden

Uninspiriert und wenig zupackend mutet auch sein Ringen mit dem Mainzer Erzbischof um eine Reichsreform an, wenig charismatisch, ja undiplomatisch und linkisch seine Bündnispolitik. Partner, die er eben erst gewonnen hatte, verließen ihn schon vor der ersten Bewährungsprobe, die (symbolisch) angeheiratete elfjährige Anna, Erbin der Bretagne, heiratete mitten im Krieg den Gegenspieler; selbst der Sohn, Philipp der Schöne von Kastilien, ließ es auf eine Konfrontation mit dem Vater ankommen.

Aber kein Sturz war diesem Mann zu tief, um sich nicht sofort wieder zu erheben und sich mit herausfordernder Selbstsicherheit die höchsten Aufgaben zuzutrauen. So hatte Maximilian als erster und einziger Kaiser des Abendlandes die Unverfrorenheit, zugleich mit der Kaiserwürde auch noch das Papstamt anzustreben – der schnell wieder aufgegebene Plan muss Zeitgenossen wie Hybris erschienen sein.

Wo nahm der Kaiser, der fast pausenlos Krieg führte, dann noch die Zeit und die Nerven für seine Vergnügungen, die Jagd und die festlichen Turniere her? Wie konnte dieser unerschrockene Krieger, der selbst an die Spitze seiner Truppen trat, die Muße und Feingeistigkeit aufbringen, poetische Werke von Rang („Theuerdank“, „Weißkunig“) zu verfassen?

Erwecker des Nationalgedankens

Wie wurde er, der Weltgewandte, der mehrere Sprachen fließend sprach, zum Erwecker eines deutschen Nationalgedankens, der den Namen des Heiligen Reiches um den Zusatz „Deutscher Nation“ erweiterte und alte deutsche Heldenlieder aufspüren und sammeln ließ? Und wie vereinte er mit den schwärmerischen, „konservativen“ Zügen seines Wesens den so ganz anderen Zug zur Offenheit für alles Neue?

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Trotz Begeisterung für das Ritterspiel war Maximilian ein Experte für die modernsten Kriegstechniken seiner Zeit, entwickelte eigenhändig neueste Geschütze, stellte seine Heere auf die erfolgreiche Kriegskunst der Eidgenossen um. Dass er sich auch für den neu erfundenen Buchdruck begeisterte und ihn für die Kaiserpropaganda einsetzte, dass er mit den besten Künstlern und herausragenden Humanisten seiner Zeit in Austausch stand – all dies weist ihn als Figur mit Instinkt für die Tendenzen seiner stürmisch vorwärts strebenden Zeit aus.

Dieser Kaiser lebte und herrschte nicht nur in einer Umbruchszeit, er war selbst der Umbruch. Ein Zeuge und Lenker der Reichsgeschicke an der Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit, an der Schwelle zur Ausweitung der Habsburgermacht durch seine Enkel nach Ungarn und Böhmen und nach Spanien und Südamerika – und zugleich eine der am tiefsten gespaltenen, gedemütigten und sich selbst demütigenden Herrschergestalten in der Geschichte Europas. Da nimmt es sich fast skurril aus, die Erinnerung an ihn (wie es in Mannheim geschieht) auf die höfischen Turniere zu beschränken.

Keine Einigung Europas

Und doch scheint der Besucherandrang dem Museum recht zu geben. Denn irgendwie schwingt in der Rede vom „letzten Ritter“ ja auch die Tragik europäischer Geschichte mit. Der Mann, von dem sich das Bild mit der gewaltigen Geierschnabelnase und der vorgeschobenen Unterlippe eingeprägt hat, der auf den überlieferten Porträts wie ein kühler, fast verschlagener, distanzierter Rechner erscheint, er hat die größte offene Rechnung Europas seit Karl dem Großen, die Renovatio imperii, die Wiederherstellung eines Gesamtreiches der Europäer, zwar genauso wenig vorangebracht wie seine Vorgänger und Nachfolger auf Europas Kaiserthron.

Und doch ist er zu einem Heros nicht nur der habsburgischen, sondern der europäischen Geschichte geworden – vielleicht gerade deshalb, weil er das Leiden der Deutschen und der Europäer am Scheitern vor dieser Jahrtausendaufgabe so exemplarisch verkörpert.

Bis 9. November; Katalog 256 S., 24,95 Euro

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