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Kultur Richard Rorty

US-Philosoph sah schon 1997 das Szenario Trump voraus

Albuquerque, New Mexico, USA, Apr 2007 Albuquerque, New Mexico, USA, Apr 2007
Wird Amerika nach dem 8. November 2016 noch Amerika sein?
Quelle: Getty Images/Stone Sub/Andy Reynolds
„Ist so ein Mann einmal gewählt, vermag niemand zu sagen, was passieren wird“: Vor knapp 20 Jahren sagte der Philosoph Richard Rorty den Verfall amerikanischer Werte voraus. Samt bedrohlicher Folgen.

Als der amerikanische Philosoph Richard Rorty 1997 sein Buch „Achieving Our Country“ publizierte, ging die erste Präsidentschaft Bill Clintons zu Ende. In der Clinton-Ära machte Rorty eine Prophezeiung, von der wir fürchten müssen, dass sie jetzt Wirklichkeit wird:

„Eines Tages wird es einen Riss in Amerika geben. Ein beträchtlicher Teil der Wählerschaft wird zu dem Schluss kommen, dass das ‚System‘ gescheitert ist, und wird sich nach dem starken Mann umsehen, den es wählen kann. Der wird ihnen versichern, dass nach seiner Wahl die schmierigen Bürokraten, die Winkeladvokaten, die überbezahlten Fondsmanager und die postmodernen Professoren nichts mehr zu sagen haben werden. Ist ein solcher ‚Strongman‘ einmal gewählt, vermag niemand zu sagen, was passieren wird. 1932 erwiesen sich alle Voraussagen, was passieren würde, wenn Hindenburg Hitler zum Kanzler machte, als unglaublich optimistisch.“

Eines aber, so Rorty, ließ sich voraussehen: Nach der Wahl des ‚starken Mannes‘ würden die Fortschritte im Umgang mit Schwarzen, Latinos und Homosexuellen wieder verloren gehen: „Die als Scherz getarnte Verachtung von Frauen wird wieder Mode werden, am Arbeitsplatz wird man wieder das Wort ‚Nigger‘ hören. Der Sadismus, den die akademische Linke ihren Studenten austreiben wollte, wird wiederkehren.“

„Achieving Our Country“ war das Buch eines Linken, Rorty hätte sich nicht dagegen gewehrt, Sozialist genannt zu werden. Zugleich war er ein Patriot, der sein Land liebte und sich – in der Nachfolge Walt Whitmans und John Deweys – darum sorgte, wie die Amerikaner auch künftig mit Stolz auf ihr Land blicken konnten. Es galt, weiter an der „Vervollkommnung“ der Vereinigten Staaten zu arbeiten. Ökonomie und Moral spielten dabei zusammen.

>>>Lesen Sie auch den großen Essay von Lukas Hermsmeier: Gibt es die moralische Pflicht, Clinton zu wählen? (nur für Abonnenten)

In der Verantwortung von Politik und Wirtschaft lag es, das von Tocqueville so genannte „schöpferische Prinzip“ aufrechtzuerhalten, das den Erfolgen Amerikas zugrunde lag: die „Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen“. Aufgabe der Zivilgesellschaft war es, eine „decent society“ zu stärken und weiterzuentwickeln, ein Gemeinwesen des Anstands, in dem man anderen, Minoritäten und Randgruppen, mit Toleranz und Respekt begegnete. Ökonomie und Moral gehörten zusammen: Menschen, die sich als Verlierer der wirtschaftlichen Entwicklung fühlten, würden ihr Bemühen um Anstand aufgeben, Sündenböcke suchen und ihren Ressentiments freien Lauf lassen. Die Amerikaner würden in einer tief gespaltenen Gesellschaft leben.

Das am 3.12.2001 von der Stiftung Identity Foundation veröffentlichte Foto aus dem Jahre 2001 zeigt den US-Philosophen Richard Rorty. Der 1931 in New York geborene Rorty ist am 3.12. mit dem erstmals verliehenen Meister-Eckhart-Preis ausgezeichnet worden. Mit dem Preis wird Rorty als einer der anerkanntesten zeitgenössischen Philosophen gewürdigt, der amerikanischen Pragmatismus mit europäischer Denktradition verbindet. Der 70-Jährige lehrt heute an der Stanford Universität und gilt als einer der bekanntesten Vertreter der amerikanischen Linken. Im Mittelpunkt von Rortys Werk steht die Frage, wie sich die private Sehnsucht nach Selbstverwirklichung mit dem Wunsch der Gemeinschaft nach sozialer Gerechtigkeit in Einklang bringen lässt. | Verwendung weltweit
Richard Rorty
Quelle: picture-alliance/dpa

Rorty schilderte die Entwicklung, die zu dieser Konstellation führen konnte, am Beispiel der amerikanischen Linken. „Linke“ war dabei ein Sammelbegriff. Er hatte nichts mit parteipolitischen Orientierungen zu tun, sondern bezeichnete Gruppen, die von der Notwendigkeit überzeugt waren, die amerikanische Gesellschaft weiterzuentwickeln: „Achieving Our Country“. Diese Linke konzentrierte sich ursprünglich auf die Wirtschaft und versuchte – anders als in Europa ohne marxistisches Vokabular –, Reformen im Rahmen einer konstitutionellen Demokratie umzusetzen. Es war eine Partei weißer Männer, die sich um die Benachteiligung von Frauen oder Schwarzen wenig kümmerte, überzeugt davon, dass kulturelle Vorurteile in dem Maße verschwinden würden, wie sich die soziale Ungleichheit verringerte.

Dann kam es in den Sechzigerjahren zu einer Wende: Die Linke gab die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften auf, interessierte sich kaum noch für die Wirtschaft und sah ihre Hauptaufgabe in der Durchsetzung einer Identitätspolitik, die „andere“ in ihrer Eigenart anerkannte. Dazu zählten Frauen, ethnische Minoritäten, Behinderte, Lesben und Homosexuelle. Die kulturelle Linke war für den Siegeszug der Political Correctness verantwortlich, von der Rorty zu Recht sagt, sie habe in Amerika zu einem Zivilisierungsschub geführt und das Land auf dem Weg, eine „anständige Gesellschaft“ zu werden, vorangebracht.

Die Clintons als System

Während die Linke für die Einhaltung der Political Correctness sorgte, nahmen im Zentrum der amerikanischen Arbeitsgesellschaft soziale Ungleichheit und ökonomische Unsicherheit zu. Schon zu Zeiten der Präsidentschaft Clintons schwand die Zuversicht der Amerikaner, ihre Kinder würden es einmal besser haben als sie. An die Stelle einer Verbürgerlichung des Proletariats trat die Proletarisierung der Mittelklasse. Unfähig, zwei Initiativen gleichzeitig zu verfolgen, hatte die Linke in ihrem Eifer, Minoritäten und Randgruppen gerecht zu werden, die Mitte und die Mehrheit aus dem Auge verloren.

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„Achieving Our Country“ hätte auch das Motto Barack Obamas sein können. Mit der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten war das Verlangen nach Political Correctness auf spektakuläre Weise erfüllt worden. Obama versuchte, Tocquevilles „schöpferischem Prinzip“ gerecht zu werden und sich um die Gleichheit der Chancen zu bemühen. Die Gesundheitsreform war – auch wenn sie wegen der Totalopposition der Republikaner nur in Teilen verwirklicht werden konnte – das größte Sozialprojekt seit dem New Deal Franklin D. Roosevelts. Obama gelang es, die Folgen der Finanzkrise zu mildern, die Arbeitslosigkeit nahm ab. Gleichzeitig aber wuchs der Schuldenstand der USA, und die Schere zwischen Arm und Reich wurde größer.

Angst vor „bewaffneten Aufständen“

Der Schriftsteller Jonathan Franzen spricht in der „Welt“ exklusiv über die Folgen von Trumps Wahlkampf. Er warnt: Wenn Clinton gewinnt, drohen Aufstände. Besonders in den ländlichen Staaten könnte dieses Problem auftreten.

Quelle: Die Welt

Die weiße Unterschicht und auch Teile des weißen Mittelstands fühlten sich als Verlierer der Globalisierung. In Obama, der in der Welt stets mehr geachtet wurde als zu Hause, sahen sie einen Mitschuldigen. Mit dem schwarzen Präsidenten hatte die Political Correctness gesiegt, dafür war angeblich die Sorge um das wirtschaftliche Wohl der einfachen Amerikaner auf der Strecke geblieben. Vielleicht hätte Bernie Sanders, ein Romantiker der Antiglobalisierung, bei den weißen Verlierern Unterstützung finden können. Mit Wut und Ressentiment dagegen reagierten sie, als Hillary Clinton, die Außenministerin Obamas, die als Teil des „Systems“ galt, Kandidatin der Demokraten wurde.

Amerika, du sollst es immer besser haben

Ohne zu sagen, wie er dies bewerkstelligen wollte, versprach Trump den Amerikanern die Rückkehr der wirtschaftlichen Prosperität. Die „straight white men“ jubelten, als ihnen zugesichert wurde, bald wieder zu den Gewinnern der wirtschaftlichen Entwicklung zu gehören.

Sie vermissten kein konkretes wirtschaftspolitisches Programm, sie begeisterten sich an den theatralischen Auftritten, in denen Trump die angeblich Schuldigen am wirtschaftlichen Niedergang und am politischen Ansehensverlust Amerikas beschimpfte und beleidigte. Attacken auf die Political Correctness, Angriffe auf Randgruppen und Minderheiten wurden zum Zentrum der Kampagne. Mit den Ausfällen gegen Hillary Clinton bot sich Trump die Chance, hinter politischen Wutausbrüchen seine Frauenverachtung zu tarnen.

Donald Trump ist das Musterbeispiel dessen, was man als den „paranoiden Stil“ in der amerikanischen Politik bezeichnet hat, in ihm verstärken Verfolgungswahn und Größenwahn einander. Trump ist das Ressentiment in einer Person – öffentlich dargestelltes Ressentiment aber ist eine hoch anschlussfähige Attitüde, weil sie die Zuhörer beispielhaft dazu ermuntert, ihre eigenen Vorurteile auszuleben.

„Selbstachtung wiedergewinnen“

Gelingende Affektkontrolle gilt als Zeichen zivilisatorischen Fortschritts. Trump aber stellt seine Affekte, seine Wut und seine Aggressionen mit Lust öffentlich zur Schau – ein zivilisatorischer Rückschritt, wie ihn die westlichen Demokratien nur im Augenblick ihres Abgleitens in die Diktatur erlebten. Mit einem Präsidenten Trump liefe Amerika nicht nur Gefahr, seine Anerkennung in der Welt, sondern auch seine Selbstachtung zu verlieren.

„Achieving Our Country“ war ein Buch der Kritik und der Zuneigung. Trotz aller Rückschläge und Verfehlungen glaubte Rorty, dass die Vereinigten Staaten auf einem Weg waren, der sie zu einem besseren Land machen würde. Diese Entwicklung kann jetzt abbrechen. Tocqueville war davon überzeugt, „dass sich durchaus täuscht, wer die allgemeine Wahl für eine Garantie guter Wahlen hält“. Wie auch immer Amerika am 8. November wählt, Rorty möge mit seiner Aussage recht behalten: „Nichts, was eine Nation getan hat, sollte eine konstitutionelle Demokratie daran hindern, ihre Selbstachtung wiederzugewinnen.“

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