Das Kino hat tausend Gesichter, aber es hatte kein Zweites wie seins. John Hurt konnte mit seinen Falten sprechen, er konnte mit geschlossenem Mund reden. Und mit der Stirn. Und mit den Augen. Und mit einem bloßen Zucken der eingefallenen Wange.
Wenn jemand im Kino der letzten fünfzig Jahre ein Mime war, dann er, der Mann aus Derbyshire, ein Engländer durch und durch und natürlich einer, der im britischen All-Star-Ensemble der Harry-Potter-Filme so wenig fehlen durfte wie Kenneth Branagh, Emma Thompson, Alan Rickman oder Robert Hardy.
Bekannt aus Harry Potter
Mit Richard Harris, dem ersten, schon 2002 verstorbenen Albus Dumbledore, hatte John Hurt eine lange, ungestüme Freundschaft verbunden. Zusammen mit Oliver Reed und Peter O’Toole hatten sie so etwas wie ein englisches Ratpack gebildet.
Im Potter-Universum hat John Hurt den Zauberstabmacher Garrick Olivander verkörpert – unvergesslich für eine Generation, die ihn in seinen großen Rollen erst noch erleben musste und nicht ahnen konnte, wie wohltuend John Hurt in den Achtzigerjahren wirkte, als er seine hohlen Wangen einem manchmal widerlich properen, manisch faltenfreiem Jahrzehnt entgegenhielt.
John Hurt war – unter einer mutmaßlich tonnenschweren, alles entstellenden Maske – David Lynchs „Elefantenmensch“. Vor allem aber war er, als George Orwells Dystopie „1984“ im Jahr 1984 von Michael Radford sozusagen final verfilmt wurde, der Schmerzensmann Winston Smith.
Kaum jemals ist jemand überzeugender gefoltert worden: Die Qual des Doppeldenk stand John Hurt im Gesicht und sein Duell mit Richard Burton, der in seiner letzten Rolle des Folterknecht spielte, darf man zu den großen Duellen der Kinogeschichte zählen.
Aber egal, wo John Hurt auftauchte: Er blieb im Gedächtnis, er war groß auch in den kleinen Rollen.
Im ersten „Alien“ war er das unvergessliche erste Opfer (womit er schon wieder Kinogeschichte schrieb), in „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“ war er auch zu sehen. Dabei war der Blockbuster eigentlich nicht sein Revier.
Nach Hollywood ging er nur dann, um Geld für Besseres zu verdienen. Kein Oscar kann auch eine Auszeichnung sein. Hurt nahm einen Golden Globe und vier BAFTAs entgegen, wurde zum Commander of the British Empire ernannt und ging im Übrigen Theater spielen.
Ein Beckett-Gesicht hatte er schon immer, zuletzt spielte er „Das letzte Band“: das ultimative Solo für einen Tragikomödinaten. Die Rolle, mit der er seinen Durchbruch erlebt hatte – die Schwulenikone Quenstin Crisp in „The Naked Civil Servant“ – nahm er 2009 in „An Englishman in New York“ wieder auf. Ein Kreis hatte sich geschlossen.
Vor knapp zwei Jahren war bekannt geworden, dass John Hurt an Bauchspeicheldrüsenkrebs litt. Er kündigte daraufhin an, bis zum Ende Schauspieler zu bleiben. Er hat sein Versprechen ans Leben wahr gemacht: Seit Donnerstag ist er in allen Kinos in „Jackie“ zu sehen. Am Freitag ist er in London gestorben. John Hurt wurde 77 Jahre alt.