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Politik Amokläufer David S.

„Wegen euch wurde ich gemobbt, sieben Jahre lang“

Was trieb den Amokläufer zu dem Blutbad?

Der Amokläufer von München war 18 Jahre alt. Ein unauffälliger Schüler, der noch zuhause lebte. Er soll sich wegen einer Depression in psychatrischer Behandlung befunden haben.

Quelle: Die Welt

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Der neunfache Mörder von München war ein offenbar psychisch gestörter 18-Jähriger, der sich schon länger mit Amokläufen beschäftigt hatte. Die meisten Opfer hatten einen Migrationshintergrund.

Die Einladung, die am Freitag mehrfach über Facebook verbreitet wurde, sollte Neugier wecken. Der deutschen Sprache nicht ganz mächtig, schrieb dort eine angebliche Selina A.: „Kommt heute um 16 Uhr Meggi am OEZ ich spendiere euch was wenn ihr wollt aber nicht zu teuer.“

Mit Meggi war eine McDonald’s-Filiale gemeint, mit OEZ das Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Ein beliebter Jugendtreff. Umso perfider war die Einladung zum Freigetränk. Denn was die Eingeladenen dort erwartete, war nicht eine Cola umsonst, es war ihr Mörder.

Manche kannten ihn wohl. Er war erst 18 Jahre alt, ein Schüler. Kurz vor 18 Uhr erscheint er bei McDonald’s, zückt seine Pistole, schießt wild um sich und versetzt in den kommenden Stunden ganz München, ja die gesamte Republik, in den Ausnahmezustand.

Weil Augenzeugen drei Attentäter gesehen haben wollen, geht die Polizei zunächst von einem groß angelegten Terroranschlag aus. Zu frisch sind die Eindrücke von der Attacke eines 17-Jährigen, der fünf Tage zuvor in einem Regionalzug bei Würzburg mit einer Axt auf die Fahrgäste losgegangen ist und eine Touristenfamilie aus Hongkong schwer verletzt hat. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS), die ein Bekennervideo des mutmaßlichen Afghanen veröffentlichte, beansprucht die Tat für sich.

Dieser Anwohner hat den Täter beschimpft

Nach den Schüssen vor dem Einkaufszentrum flüchtet der Amokläufer auf ein Parkdeck. Ein Anwohner beschimpft ihn, ein anderer filmt die Szene. Helmar Büchel hat mit dem Augenzeugen gesprochen.

Quelle: Die Welt

Erst in der Nacht zum Sonnabend steht fest: In München war es nur ein Täter, der neun Menschen erschoss, 27 verletzte und sich dann das Leben nahm: der Deutschiraner David S..

Es ist der Mann, der bereits gegen 20.30 Uhr an der Henckystraße, einen knappen Kilometer vom Tatort entfernt, von einer Polizeistreife angesprochen wurde, unvermittelt eine Schusswaffe zog, sie sich an den Kopf hielt und und abdrückte.

Zuvor war er auf einem Parkdeck des Zentrums von Zivilpolizisten beinahe gestoppt worden. Doch sie verfehlten den Mann knapp, der hinter der Einladung zu McDonald’s steckt.

Denn beim Facebook-Account der vermeintlichen Selina A., der am 11. Mai angelegt wurde, handelt es sich um eine Fälschung. David S., so steht zu vermuten, wollte auf diesem Wege möglichst viele potenzielle Opfer in das Schnellrestaurant locken.

Das würde zu dem Bild passen, das sich die Ermittler bislang von dem Attentäter machen konnten. Er war, davon geht die Polizei aus, ein Amokläufer, der keine politischen Motive hatte.

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Zwar will eine Zeugin den Mann gehört haben, wie er „Allahu Akbar“ (Gott ist groß) gerufen habe, doch eine weitere Bestätigung dafür gibt es nicht. Andere Zeugen berichteten von ausländerfeindlichen Sprüchen des Mannes. Die Ermittler sehen in ihm aber eher einen Täter, dessen ausschließliches Ziel es war, möglichst viele Menschen umzubringen. Einer, der spektakulär aus dem Leben scheiden wollte.

Die ersten Befürchtungen, wonach es sich bei der Schießerei von München um einen islamistischen Terrorakt handeln könnte, bewahrheiteten sich nicht.

„Eine nicht unerhebliche psychische Störung“

In der Wohnung des Mannes in der Münchner Maxvorstadt wurden keine entsprechenden Hinweise wie etwa eine IS-Flagge gefunden. Stattdessen entdeckten die Ermittler haufenweise Material zu Amokläufen.

Doch was weckte in dem jungen Mann diesen Hass, diese Todessehnsucht? Warum wurde der in München geborene Sohn iranischer Einwanderer zum Mörder? Erste Hinweise auf sein Motiv lieferte der Täter am Freitag selbst, als er in einem Wortgefecht mit einem Anwohner erklärte, in stationärer Behandlung gewesen zu sein.

Facebook-Einladung besonders „perfide“

Der Amokläufer von München soll per Facebook-Einladung noch mehr Opfer an den späteren Tatort gelockt haben. Diese Art der Tatbegehung nennt Innenminister de Maizière besonders perfide.

Quelle: Die Welt

Die jüngsten Ermittlungen bestätigen, dass er wegen Depressionen in ambulanter und stationärer Behandlung war. Auch sind laut Polizei entsprechende Medikamente in seinem Zimmer gefunden worden.

Das weckt Erinnerungen an den Fall Andreas Lubitz, der im März vorigen Jahres eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf absichtlich in die französischen Alpen gesteuert und 149 Passagiere mit in den Tod gerissen hatte. Wie später bekannt wurde, litt Lubitz unter Depressionen und Psychosen. Ein seelisch gestörter Pilot als Massenmörder? Das hatte sich bis dahin kaum jemand vorstellen können.

Der Attentäter hatte nach Angaben der Ermittler den Amoklauf seit einem Jahr geplant. Intensiv hatte sich David S. mit Zeitungsberichten über Amokläufe beschäftigt und sich sogar ein Buch mit dem Titel „Amok im Kopf: Warum Schüler töten“ beschafft.

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Es wurde ein halbes Jahr nach dem Amoklauf von Winnenden veröffentlicht, bei dem der 17-Jährige Tim K. 15 Menschen und sich selbst getötet hatte. Er hatte – wie David S. – schulische Probleme. David S. besuchte auch die Tatorte von Winnenden. Fotos davon wurden auf seiner Digitalkamera gefunden.

Ist der Jahrestag des Breivik-Attentats ein Zufall?

Die Frage war nur, wann. Er hat sich den 22. Juli 2016 ausgesucht. Dieses Datum nährt einen Verdacht. Es ist der fünfte Jahrestag des Anschlags von Oslo. Hat sich David S. dieses Datum bewusst ausgesucht, an dem der rechtsextremistische Anders Breivik 77 Menschen erschoss?

Jedenfalls soll er sich nach ersten Erkenntnissen mit Breiviks Anschlag, bei dem vor allem Teilnehmer eines Zeltlagers der sozialdemokratischen Jugendorganisation ums Leben kamen, beschäftigt haben.

Der Computer des Deutsch-Iraners muss erst noch komplett ausgewertet werden. Er wurde gestern in der Wohnung sichergestellt. Nach ersten Erkenntnissen hat David S. selbst ein „Manifest“ verfasst.

Möglicherweise wird dort auch ein Abschiedsbrief entdeckt, der bislang noch nicht gefunden wurde. Die Eltern des Amokläufers waren bisher nicht in der Lage, vernommen zu werden.

Sie lebten mit ihren zwei Söhnen unter einem Dach. Die Wohnung wurde noch in der Nacht zum Sonnabend von einem Spezialeinsatzkommando gestürmt – es kam mit gepanzerten Fahrzeugen, Hunden und Nachtsichtgeräten.

„Der Täter hatte Munition für über 300 Schüsse“

Der Amokläufer schoss mit einer vermutlich illegalen Waffe auf seine Opfer. Laut Polizei war die Seriennummer ausgefeilt. Insgesamt trug er Munition für über 300 Schüsse mit sich.

Quelle: Die Welt

Der Vater, ein erfolgreicher Taxiunternehmer, wurde mit auf das Polizeipräsidium genommen. Die Mutter des Täters arbeitet als Verkäuferin. Das Ehepaar war in den 90er-Jahren nach Deutschland gekommen.

Wenn beide vernehmungsfähig sind, erhoffen sich die Ermittler auch Aufschluss darüber, woher ihr Sohn die 9-Millimeter-Pistole, eine Glock 17, und die viele Munition hatte. Die Waffe verfügt über eine Munitionskammer für 17 Schuss standardmäßig, kann aber bis zu 33 Schuss aufgerüstet werden.

David S. hatte in seinem Rucksack weitere 300 Patronen. Die Glock 17 besitzt eine hohe Durchschlagskraft. Der Amokläufer Robert S. hatte im April 2002 an einem Erfurter Gymnasium 17 Menschen mit einer Waffe dieses Modells erschossen.

Der Münchner Attentäter besaß die Pistole nach Ermittlerangaben illegal. Die Waffennummer war ausgefeilt. Allerdings war er zuvor der Polizei nicht als Täter bekannt gewesen. Zu ihm gibt es nur zwei Eintragungen als Geschädigter aus den Jahren 2010 und 2012. Einmal soll er von anderen Jugendlichen verprügelt worden sein. Ein anderes Mal wurde er bestohlen.

„Er sagte, er würde uns töten“

David S. scheint bis zu seinem mörderischen Amoklauf vor allem ein Opfer gewesen zu sein. In den sozialen Netzwerken gibt es Hinweise darauf, dass er gemobbt wurde. So schrieb im Juni 2014 ein User, er vergewaltige seinen Bruder. Er nennt ihn Ali. Ein anderer behauptete nach der Tat, ihn zu kennen und zu wissen, dass er gemobbt worden sei: „Er sagte uns immer wieder, dass er uns töten werde.“

Waren Demütigungen, waren Rückschläge im Leben der Grund für sein Handeln? In dem Wortgefecht mit einem Anwohner ließ er dies durchblicken. „Wegen euch wurde ich gemobbt, sieben Jahre lang.“ Er sprach davon, in einer Hartz-IV-Gegend gelebt zu haben. Aus seinen Worten klangen Rachegefühle. Und großer Hass. „Ich gehe jetzt eine Waffe kaufen“, schrie der verwirrte Täter.

Dann schoss er mehrmals in die Luft. Zu diesem Zeitpunkt war ihm die Polizei schon sehr nahe. Doch die Kugeln von Zivilpolizisten verfehlten ihn offenbar. Laut Staatsanwaltschaft wurde bei der Obduktion seiner Leiche nur eine einzige Schussverletzung festgestellt. Und die hatte sich der linkshändige Attentäter, wie der Schusskanal zeigte, ganz offensichtlich selbst beigebracht.

#offenetür – Münchner zeigen in der Tatnacht Herz

Recherchen der „Welt am Sonntag“ ergaben, dass die Familie früher ganz in der Nähe des Tatorts gewohnt hatte. Vermutlich wählte David S. darum das Olympia-Einkaufszentrum als Ort eines Amoklaufs. Er wusste, dass das OEZ mit seinen 130 Geschäften um diese Zeit stark besucht war. Und dass sich dort viele junge Leute aufhielten.

Lob und Dank für Hilfsbereitschaft in München

Wer gestrandet war während des Amoklaufs in München, konnte in den sozialen Medien eine Unterkunft und Trost finden. Anwohner baten Wildfremden eine offene Tür an. Dafür gab es viel Lob.

Quelle: Die Welt

Eines seiner Opfer war erst 13 Jahre alt. Die anderen starben ebenfalls sehr jung. Drei waren 14 und 15, einer 17, einer 19 und einer 20 Jahre alt. Das älteste Opfer ist eine 45-jährige Frau. Sie alle stammen aus München und Umgebung. Von den 27 Verletzten wurde nur wenige von Schüssen getroffen. Die meisten zogen sich wegen der Panik ihre Verletzungen zu.

Vor dem Einkaufszentrum spielten sich am Samstag anrührende Szenen ab. Angehörige kamen mit Fotos der Opfer zum Tatort, legten Blumen nieder und trauerten. Viele Münchner standen ihnen bei.

Bereits in der Nacht hatten sie Herz gezeigt, als Wohnungen, Geschäfte und Hotels für Gestrandete geöffnet wurden, denn der Nahverkehr war stillgelegt. Die Münchner Polizei zeigte sich tief beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Bürger. Aus aller Welt kamen Beileidsbekundungen.

Dabei hätte die Tragödie vielleicht durch einen Zufall in letzter Minute verhindert werden können. Auf die über Facebook verbreitete Einladung, zu McDonald’s zu kommen, antworteten noch vor der Tat mehrere User und machten sich über den späteren Täter lustig.

Einer warnte: „Das hier ist ein Fake Account“, von David S. Und: „Macht euch mal keine Hoffnungen ... Der Kerl ist psychisch gestört und will nur aufmerksamkeit. falls jemand schon da ist kann er es ja gerne bestätigen dass dort keine Selina ist.“ Selina war der Name des gefälschten Accounts.

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