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Rote Kühe sollen den Tempelberg zurückerobern

Um die heilige Kuh zu züchten, wurden eingefrorene Embryos von Red Angus Kühen aus den USA in israelische Kühe implantiert Um die heilige Kuh zu züchten, wurden eingefrorene Embryos von Red Angus Kühen aus den USA in israelische Kühe implantiert
Um die heilige Kuh zu züchten, wurden eingefrorene Embryos von Red Angus Kühen aus den USA in israelische Kühe implantiert
Quelle: Getty Images/Flickr Open
Muslime fürchten, Juden könnten die Al-Aksa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg zerstören, um einen Tempel zu errichten. Ein Projekt gießt nun Öl ins heilige Feuer: Es geht um eine besondere Kuh.

Wenn Rabbiner Chaim Richman recht hat, dann beginnt die Erlösung der Menschheit bald in einem abgelegenen Kuhstall in Israels Negevwüste. Der internationale Direktor des Jerusalemer Tempelinstituts hat hier ein Projekt gestartet, um ein ganz besonderes Tier heranzuzüchten: eine koschere rote Kuh, die im Judentum eine derart wichtige und mystische Rolle erfüllt, dass jedes Einhorn neidisch auf sie werden müsste.

Ihre Präsenz ist eine „notwendige Vorbedingung für die Errichtung eines jüdischen Tempels“, erklärt Richman der „Welt“. Richmans Unterfangen könnte von höchster politischer Bedeutung sein, so esoterisch es säkularen und ultraorthodoxen Israelis gleichermaßen klingt. Es nährt die ohnehin an Paranoia grenzende Überzeugung vieler Muslime, dass Israel sich aktiv darauf vorbereitet, auf den Trümmern der Al-Aksa-Moschee einen Tempel zu errichten.

Was im Prinzip das Vorhaben des Tempelinstituts ist. Auch wenn viele Juden glauben, dass eines Tages wieder ein jüdischer Tempel auf dem Moriah-Berg in Jerusalem stehen wird, begnügten sie sich seit der Zerstörung des zweiten Tempels im Jahr 70 n. Chr. damit, passiv darauf zu warten. In religiösen Kreisen herrscht die Überzeugung, der Tempel werde mit dem Messias vom Himmel herunterfahren. Bis dahin toleriert man die Existenz der drittheiligsten Moschee des Islams. Die meisten Rabbiner haben ohnehin das Betreten des Areals verboten: Sie fürchten, dass es spirituell verunreinigt werden könnte.

Blick Richtung Tempelberg: Gläubige Israelis warten darauf, dass anstelle der Al-Aksa-Moschee irgendwann wieder ein jüdischer Tempel steht
Blick Richtung Tempelberg: Gläubige Israelis warten darauf, dass anstelle der Al-Aksa-Moschee irgendwann wieder ein jüdischer Tempel steht
Quelle: picture alliance / landov

Schon vor zweitausend Jahren „beschäftigte sich das jüdische Denken intensiv mit Fragen spiritueller Reinheit“, sagt der Archäologe Schimon Gibson. In Leviticus finden sich zu diesem Thema langatmige Ausführungen. Wer etwa mit seiner Frau geschlafen hatte oder wer mit einer Frau während ihrer Periode, oder sogar Dingen, die sie angefasst hatte, in Berührung gekommen war – in all diesen und vielen anderen Fällen musste man sich spirituell reinigen, bevor man wieder mit anderen Juden in Kontakt trat oder auf dem Tempelberg betete. Dafür musste man in einer Mikwe, einem rituellen Bad, untertauchen. Nicht umsonst findet sich in Ausgrabungen aus dieser Zeit in fast jedem Jerusalemer Wohnhaus eine Mikwe.

Eine spirituelle Verunreinigung galt jedoch als besonders schlimm: Tumat Hamet – die Verunreinigung der Toten. Sie ereilt einen, wenn man eine Leiche berührt, einen Friedhof besucht oder jemanden berührt, der auf einem Friedhof war. Wer mit ihr behaftet ist, darf den Tempelberg keinesfalls betreten, sonst muss seine „Seele aus Israel ausgerottet werden“, sagt das vierte Buch Mose. Es gibt nur ein Antidot zu Tumat Hamet: ein rituelles Bad, in das die Asche einer koscheren roten Kuh gesprenkelt wurde. Warum ausgerechnet eine rote Kuh? Das weiß niemand: „Unsere besten Gelehrten, ja selbst König Salomon, bezeichnen dieses Gebot als vollkommen rätselhaft, unerklärbar“, sagt Richman: „Es ist einfach ein Gesetz, und wir sind befohlen, es einzuhalten, ohne es zu verstehen.“

Posaunen aus Silber, Leuchter von der Nasa

Dabei will sein Institut den Tempel verstehen, um die Errichtung eines neuen Heiligtums vorzubereiten. Es beschäftigt sich mit Fragen, die die meisten Rabbiner ignorieren, weil sie entweder als irrelevant oder zu heikel gelten: „Es ist Unsinn anzunehmen, der Tempel wird vom Himmel runterkommen. Das Judentum ist eine Religion, die dazu anhält, die Welt aktiv zu bessern“, wettert Richman. Und so fertigte man im Tempelinstitut Posaunen aus purem Silber an, damit Leviten die Opfergaben musikalisch begleiten können.

Experten der Nasa halfen einen neuen siebenarmigen Leuchter aus Gold anzufertigen, indem sie „die Gewichtsverteilung genau ausrechneten“. Geologen und Gemmologen berieten bei der Herstellung der Brustplatte des Hohepriesters. Die abwartende Haltung der Rabbiner sei nichts anderes als ein „schlechter Weg, mit einer Situation umzugehen, die scheinbar keine Lösung hat, wie die Präsenz der Al-Aksa-Moschee” – oder das Fehlen einer roten Kuh. Für deren Geburt soll nun die moderne Biologie Pate stehen.

Das Tempelinstitut hat in den USA eingefrorene Embryos von Red Angus Kühen erstanden, die nun in israelische Kühe implantiert wurden. Das ist aber nur ein erster Schritt: „Rote Kühe gibt es viele. Aber eine koschere Färse muss viele strenge Bedingungen erfüllen“, erklärt Richman. Zum Beispiel darf sie nicht mehr als zwei andersfarbige Haare haben. Sein Institut entwickelte bereits ein Verfahren, um das Fell mit Lupen minutiös zu untersuchen. Die Kuh muss makellos sein. Sie darf nicht von außen gekennzeichnet und muss besonders geimpft werden.

Rote Kühe in der Negev-Wüste: Zwei Jahre lang müssen sie thoragerecht gehalten werden, erst dann werden sie heilig
Rote Kühe in der Negev-Wüste: Zwei Jahre lang müssen sie thoragerecht gehalten werden, erst dann werden sie heilig
Quelle: Temple Institute

Videoüberwachung des Kuhstalls soll sicherstellen, dass die Färse zwei Jahre lang thoragerecht gehalten wird – also keine Lasten trägt und gut behandelt wird. Erst dann wird sie heilig. Die Auflagen sind so stringent, dass laut biblischer Überlieferung in den 2000 Jahren von den Lebzeiten Moses bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels nur neun rote Kühe gefunden wurden. Die Entdeckung einer zehnten, so die Kommentatoren einhellig, läute deswegen den Beginn des messianischen Zeitalters ein.

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Doch selbst dann sind nicht alle Hürden genommen: Die Kuh müsste eigentlich auf dem Skopusberg in Jerusalem als Opfergabe dargebracht werden. Nur steht an der vermutlichen historischen Opferstelle heute die Dominus Flevit Kirche. Die Opferzeremonie ist ein weiteres Problem: Die Bibel besagt, dass nur ein Priester, der sich zuvor mit der Asche einer roten Kuh gereinigt hat, eine neue Kuh opfern darf.

Am Toten Meer wird nach biblischer Asche gesucht

Und so sucht eine noch kleinere Splittergruppe von Tempeltreuen in der Umgebung des Toten Meeres nach Überresten der Asche der biblischen roten Kühe, in der Überzeugung, die Juden der damaligen Zeit hätten diese dort versteckt, um sie für den Tag der Erlösung aufzubewahren. Doch Richman hält das für eine Fehlinterpretation und die Suchenden für Scharlatane, die es auf das Geld naiver Spender abgesehen haben. Stattdessen hat sein Institut im Internet eine „Züchte eine rote Färse“-Spendenkampagne gestartet. Gut ein Fünftel der benötigten 125.000 US-Dollar kamen bereits zusammen.

Von mir aus können dann auch Muslime darin zu Gott beten
Rabbiner Chaim Richman, über den ersehnten neuen Tempel

Auf palästinensischer Seite bestätigen die Aktivitäten des Tempelinstituts alte Ängste. Erst vergangenes Wochenende eskalierten die Spannungen, als muslimische Jugendliche einen Hinterhalt für Juden vorbereiteten, die den Tempelberg am Gedenktag der Zerstörung der Tempel besuchen wollten. Gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei zogen harte Reaktionen aus der gesamten arabischen Welt nach sich. Seit Jahren finanzieren die Golfstaaten die „Murabitun“, junge muslimische Männer und Frauen, die für Stipendien von monatlich rund 400 Euro auf dem Berg beten und jüdische Besucher bedrängen.

Radikale wie der Scheich Raed Salah, der Israels Existenzrecht nicht anerkennt und zu Gewalt aufruft, profilieren sich mit Kampagnen für den Schutz der „bedrohten Al-Aksa-Moschee“. Richman hat indes keine Angst, dass seine Bemühungen zu einer weiteren Eskalation der ohnehin heiklen Lage führen könnten: „Ein neuer Tempel wird eine unvergleichbare Zeit des Friedens und Harmonie einleiten“, versichert er voller Überzeugung. Und was werde aus der Al-Aksa-Moschee, wenn das jüdische Gotteshaus errichtet werde? „Von mir aus können dann auch Muslime darin zu Gott beten“, meint er, und glaubt, es klinge versöhnlich.

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