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Deutschland Eltern von Amri-Opfer

Deutsche Behörden waren „unsensibel, abwesend, inkompetent“

„40 Behörden haben Fehleinschätzung begangen“

Es sind noch viele Fragen offen im Fall Amri. Daran konnte auch die Sitzung des Innenausschusses des Bundestages nichts ändern. Möglicherweise soll nun ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden.

Quelle: N24/Erdmann Hummel

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Vor Kummer wurden sie „fast verrückt“ - und die deutschen Behörden schwiegen nur. Die italienische Familie des Berliner Terroropfers Fabrizia Di Lorenzo erhebt eine ganze Reihe von Vorwürfen gegen Deutschland.

Die Familie der bei dem Anschlag vor der Gedächtniskirche getöteten Italienerin Fabrizia Di Lorenzo erhebt schwere Vorwürfe gegen die deutschen Behörden. Sie hätten sich „unsensibel, abwesend, schlecht organisiert, inkompetent“ verhalten, sagten die Eltern und der Bruder des Terroropfers der italienischen Zeitung „Corriere della Serra“ - und stählen sich nun aus der Verantwortung.

„Keinen Respekt aus Deutschland“ hätten sie erfahren und seien viel zu lange im Ungewissen über das Schicksal ihrer Tochter gelassen worden, erzählt die Familie dem Blatt. Sie hätten erst am 22. Dezember - drei Tage nach der Tat - die Bestätigung bekommen, dass die Tochter unter den Opfern sei. Am 19. Dezember war der tunesische Attentäter Anis Amri mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gerast und hatte insgesamt zwölf Menschen getötet.

Die Angehörigen glauben, dass die Behörden Fabrizia schon am 20. Dezember hätten identifizieren können, als ihr Arbeitgeber ein Foto der 31-Jährigen zur Verfügung stellte. Di Lorenzo hatte für das Logistikunternehmen 4flow in Berlin gearbeitet. Sie war am späten Nachmittag des 19. Dezember auf dem Breitscheidplatz unterwegs, um Weihnachtsgeschenke für ihre Lieben im heimatlichen Sulmona zu kaufen.

Warum die Identifizierung so lange dauerte

Allerdings warteten die deutschen Behörden die DNA-Überprüfung ab. Visuelle Identifizierungen werden bei Katastrophen nur bedingt eingesetzt, schreibt das Bundeskriminalamts (BKA) in einem Dokument für „Vermissende und Hinterbliebene von Opfern einer Katastrophe“. Erst die Untersuchung von Fingerabdrücken, Zahnschemata oder der DNA ermöglichten eine zweifelsfreie Identifizierung. Zudem verzögerte sich der Prozess, weil die Berliner Polizei auf Hunderte Nachfragen zu Vermissten zu reagieren hatte, die alle aufgenommen, in einen Fragenkatalog von Interpol eingetragen und dann mit der Rechtsmedizin abgeglichen werden mussten.

Die Familie hatte am Abend des Anschlags versucht, Fabrizia per Telefon zu erreichen. Doch statt ihrer Tochter antwortete Mutter Giovanna ein Fremder auf Englisch. Sie habe das Telefon daraufhin ihrem Sohn gegeben, erzählt die Frau der „Corriere della Sera“. Der Sohn verstand: Der Unbekannte hatte das Telefon auf dem Weihnachtsmarkt gefunden und wollte es bei der Polizei abgeben. Als die Familie wenig später vom Anschlag hörte, hätten Mutter und Sohn sofort das Außenministerium alarmiert und das nächste Flugzeug nach Berlin genommen. Nur der Vater blieb in Sulmona zurück.

In Berlin seien Mutter und Sohn von Mitarbeitern der italienischen Botschaft unterstützt worden. Es folgten „drei endlose Tage, ohne psychologische Hilfe, während denen wir vor Kummer bald verrückt wurden,“ erzählen sie. Abgesehen von einer Polizistin, die wortlos eine DNA-Probe abgenommen habe, hätten sie keinen Kontakt seitens der deutschen Regierung gehabt, ihnen sei kein Dolmetscher zur Seite gestellt worden. „Sie ließen uns allein“. Auch den anderen Opferfamilien sei es so gegangen, „auch den deutschen“.

Die Rechnung von der Gerichtsmedizin kam zuerst

Bundespräsident Gauck und Innenminister de Maizière haben sich mit Hinterbliebenen des Attentats vom Breitscheidplatz getroffen. Auslöser war die Debatte über Hilfen sowie eklatante Kommunikationsfehler.

Quelle: N24

Die Spitze des Eisbergs sei die Unsicherheit über die finanzielle Unterstützung. Das Opferentschädigungsgesetz griff zunächst nur für die Familie des polnischen Lkw-Fahrers, der vom Attentäter erschossen worden war. Denn das Gesetz gilt eigentlich nicht für Taten, die mit Kraftfahrzeugen verübt werden.

Ende Januar hatten sich Sozialministerin Andrea Nahles und Justizminister Heiko Maas (beide SPD) jedoch darauf geeinigt, dass das Opferentschädigungsgesetz in diesem Fall ausnahmsweise trotzdem greifen solle, und baten die Hinterbliebenen öffentlich, Anträge bei den Behörden zu stellen. Ob diese Information bei der Familie di Lorenzo in Italien angekommen ist, scheint fraglich.

„Keine Summe der Welt könnte uns unsere Tochter zurückgeben, aber eine Entschädigung würde für uns zumindest bedeuten, dass Deutschland die Verantwortung dafür übernimmt“, so die Familie. Schließlich habe die Bundesrepublik einen „seit Jahren bekannten Kriminellen nicht gestoppt“ und Barrieren am Weihnachtsmarkt erst nachträglich errichtet.

„Wir wollen Gerechtigkeit“

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Der Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen hatte auch in Deutschland für Kritik gesorgt. Einige streben eine Klage gegen die Behörden an, weil diese trotz des Lkw-Anschlags von Nizza keine Barrieren errichtet hatten. Zudem hatte die Berliner Charité den Angehörigen noch vor Weihnachten die Rechnung für die Leichenschau zugeschickt mit der Bitte um unverzügliche Zahlung - sonst werde ein Inkassounternehmen das Geld eintreiben. Die Charité hat sich inzwischen dafür entschuldigt und die Forderung zurückgenommen. Der Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) verschickte erst zwei Monate nach der Tat Kondolenzbriefe.

Lob hat Familie Di Lorenzo hingegen für die italienischen Behörden übrig. Nur mit ihrer Hilfe sei es möglich gewesen, Fabrizias Leiche noch an Heiligabend nach Italien zu überstellen. Staatspräsident Sergio Matarella habe am Begräbnis teilgenommen, schon am 29. Dezember habe Premierminister Paolo Gentiloni der Familie einen Privatbesuch abgestattet.

Was sich die Di Lorenzos jetzt von Deutschland wünschen? „Dass die Deutschen öffentlich zu ihrer Verantwortung stehen, in einem Wort, Gerechtigkeit.“

Moscheeverein "Fussilet 33" in Berlin verboten

Der Berliner Innensenator hat den Moscheeverein "Fussilet 33" in Berlin-Moabit verboten. Dieser galt schon lange als Anlaufstelle für islamistische Terroristen. Auch der Attentäter vom Breitscheidplatz ging dort hin.

Quelle: N24/ Stephanie Rahn

mit kj

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