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Eine Impfung wirkt nicht ewig

Das Immunsystem ist vergesslich. Deshalb sind regelmäßige Auffrischimpfungen notwendig, um den Krankheitsschutz aufrechtzuerhalten. Davon profitiert man insbesondere im Alter

Die große Impfmüdigkeit der Deutschen ist schuld daran, dass die Masern in Europa noch nicht ausgerottet werden konnten

Eine Auffrischungsimpfung kann grundsätzlich gar nicht zu früh erfolgen. Nur wenige Impfungen schützen lebenslang

Als der achtjährige Gärtnersohn James Phipps am 14. Mai 1796 zum Hausherrn seines Vaters zitiert wurde, ahnte er nicht, dass er gleich zu einer medizinischen Errungenschaft beitragen würde. Mit einer Klinge ritzte der Arzt Edward Jenner dem Jungen in den Arm und bestrich die Wunde mit Flüssigkeit aus den Pusteln einer an Kuhpocken erkrankten Milchmagd. Die Idee: Wenn Phipps bereits mit den für den Menschen ungefährlichen Kuhpocken in Kontakt gekommen war, würde er nicht mehr an den viel bedrohlicheren Menschenpocken erkranken. Der Plan ging auf: Der Junge kam später mehrfach mit Menschenpocken in Kontakt, erkrankte aber nicht. Jenners Impfung löste eine wahre Impfeuphorie in den Herrscherhäusern Europas aus.

Heute gelten die Pocken laut WHO als ausgerottet, und für viele lebensgefährliche Krankheiten stehen Impfungen zur Verfügung. Die Kinderlähmung Polio konnte daher weltweit zurückgedrängt werden und gilt in Europa als nicht mehr existent. Die Masern, die mit schweren Hirnhautentzündungen einhergehen können, wollte die WHO in Europa bis 2010 ebenfalls eliminieren. Das scheiterte an der Impfmüdigkeit der Deutschen. Um das Virus auszurotten, müssten 95 Prozent der Bevölkerung ausreichend geimpft sein - eine Quote, die hierzulande noch nicht erreicht ist. Die Folge: In diesem Jahr infizierten sich bereits über 230 Personen mit Masern. Die ständige Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat daher eine neue Empfehlung:

Auch Erwachsene, die nach 1970 geboren wurden, sollen ihren Impfschutz gegen Masern auffrischen lassen.

Der Impfpass ist offenbar für viele Deutsche ein seltener Anblick. Vor allem bei Tetanus und Diphtherie haben Erwachsene Impflücken. Dies zeigen Daten des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK) und des RKI aus dem Jahr 2003. Nur 62 Prozent der erwachsenen Deutschen gaben bei einer Befragung an, in den vergangenen zehn Jahren eine Auffrischimpfung gegen Tetanus und Diphtherie erhalten zu haben. Dabei nahm der Impfschutz mit steigendem Alter ab. Bei den unter 20-Jährigen waren noch über 80 Prozent der Befragten gegen Tetanus geschützt, bei den über 60-Jährigen dagegen nur noch knapp 50 Prozent. Zwar gab es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland weniger als 15 Tetanus-Erkrankungsfälle pro Jahr. Der Tetanuserreger Clostridium tetani kommt jedoch nahezu überall im Erdreich vor und führt bei nahezu einem Viertel der Erkrankten zum Tod.

Beim Impfen wird ein Kontakt mit dem Krankheitserreger nachgeahmt - mit stark geschwächten Erregern oder auch nur Teilen von ihm. Das Immunsystem reagiert wie bei einem echten Angriff, bildet Antikörper und Gedächtniszellen, die dann im Körper jahrzehntelang erhalten bleiben. Ein ausreichender Grundschutz wird je nach Erreger meist mit zwei bis vier Teildosen erreicht. Wenn danach der Körper mit dem echten Erreger in Kontakt kommt, erkrankt er nicht. Bei manchen Impfungen - wie der Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln - hält der Schutz nach erfolgreicher Grundimmunisierung lebenslang.

Doch das gilt nicht für alle Impfungen. Gerade bei Impfstoffen, die nur Teile des Erregers oder wie bei Tetanus nur deren Gift enthalten, baut sich der Schutz langsam ab. Wie der Rest des Körpers altert auch das Immunsystem: Antikörper im Blut werden abgebaut, und die Zellen der zellulären Abwehr reagieren schlechter. Die Folge: Der Impfschutz reicht nicht mehr aus, und die jeweilige Erkrankung kann wieder ausbrechen.

Eine Auffrischimpfung reaktiviert die Gedächtniszellen und löst eine erneute Immunantwort aus. Die Zahl der Antikörper steigt, und die Immunabwehr kann wieder besser reagieren. Auch wer zwischenzeitlich mit dem Erreger, gegen den er zuvor geimpft wurde, in Kontakt kam und diesen unbemerkt erfolgreich abwehrte, erhält quasi eine "natürliche" Auffrischung. "Man sollte sich nicht auf deren Wirksamkeit verlassen, selbst wenn man meint, mit dem Erreger in Kontakt gekommen zu sein", sagt Michael Pfleiderer, Leiter des Fachgebiets für Virale Impfstoffe am Paul-Ehrlich-Institut, "eine Auffrischimpfung ist auf jeden Fall ratsam." Wie schnell die Reaktion des Immunsystems nachlässt und wie viele Antikörper sich nach einer bestimmten Zeit noch im Blut befinden, ist von Mensch zu Mensch verschieden. "Die Halbwertszeiten für die Abnahme von Antikörpern sind recht konstant, jedoch können Menschen nach der Grundimmunisierung mit unterschiedlich vielen starten", erklärt Ruprecht Schmidt-Ott, Experte beim Impfstoffhersteller GlaxoSmithKline, "das führt dann dazu, dass nach beispielsweise zehn Jahren die eine Person mehr Antikörper im Blut übrig hat als die andere."

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Wie gut ein einzelner Mensch auf eine Impfung reagiert, lässt sich nicht vorhersagen. "Hier spielen genetische Faktoren eine Rolle, die sich bei jedem Menschen unterscheiden", erklärt Pfleiderer. Doch gerade für Menschen, die bei der Grundimmunisierung weniger gut reagierten, könne eine Auffrischung von Vorteil sein, meint der Mediziner. "Manche reagieren auf eine Auffrischung besser als auf die Grundimmunisierung."

Einen Zeitpunkt für die Auffrischung zu bestimmen, der für alle gilt, ist bei den vielfältigen Reaktionen der einzelnen Menschen nicht einfach. "Da nicht jeder Mensch einzeln getestet werden kann, wählen Impfhersteller eine für die gesamte Population repräsentative Gruppe aus, an der der Impferfolg über einen definierten Zeitraum hinweg genau beobachtet wird", erklärt Pfleiderer. So werde sichergestellt, dass Menschen auf den Impfstoff reagieren und der Schutz jahrelang erhalten bleibt.

Wann genau eine Auffrischung erforderlich ist, lässt sich vom Hersteller erst bestimmten wenn der Impfstoff schon zugelassen ist. "In einer langen Nachbeobachtungsphase werden die Geimpften regelmäßig getestet, um den Zeitpunkt für eine Auffrischung möglichst genau zu bestimmen", erklärt Pfleiderer. Dies sei etwa bei der Hepatitis-B-Impfung von Säuglingen von Bedeutung. Auch wenn die geimpften Kinder frühestens im jungen Erwachsenenalter beim Geschlechtsverkehr mit den Viren in Kontakt kommen, empfiehlt die WHO, bereits Säuglinge gegen den Erreger der Lebererkrankung zu impfen. Denn Jugendliche wissen oft nicht, dass eine Hepatitisimpfung wichtig ist.

Eine frühere Impfauffrischung schadet laut Robert-Koch-Institut generell nicht. Die Stiko empfiehlt sogar, sich im Zweifelsfall immer auffrischen zu lassen, selbst wenn der reguläre Zeitpunkt für die nächste Auffrischung noch nicht erreicht ist. Auch wer einen Termin schon lange überschritten hat, sollte sich nicht abschrecken lassen. Die Grundimmunisierung braucht nicht von vorn begonnen zu werden. "Jede Impfung zählt", sagt Schmidt-Ott. "Die Gedächtniszellen des Immunsystems bleiben oft lebenslang erhalten und können auch nach Jahrzehnten noch durch eine einzige Injektion reaktiviert werden."

Wie viel Schutz gegen einen bestimmten Erreger Jahre nach der Impfung noch vorhanden ist, lässt sich nicht leicht beantworten. Zwar können Ärzte etwa bei der Hepatitis-B-Impfung den Erfolg überprüfen, indem sie die Zahl der noch vorhandenen Antikörper durch einen Bluttest ermitteln. Jedoch geben Antikörper nicht immer eine verlässliche Aussage über den Immunschutz. "Antikörper sind nur eine von vielen Komponenten, die mit dem Schutz gegen Krankheiten zusammenhängen", erklärt Schmidt-Ott. "Wir verwenden sie als Indikator für Schutz, da andere Mechanismen des Immunsystems nur schwer messbar sind. Sie sind jedoch nicht bei allen Krankheiten aussagekräftig." So sei zwar ab einer bestimmten Antikörpermenge von einem sicheren Schutz vor Hepatitis B auszugehen. Besitzt ein Mensch umgekehrt gar keine Antikörper gegen den Erreger, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er völlig ungeschützt ist. "Andere Teile des Immunsystems können für Schutz sorgen", sagt der Mediziner. Wer regelmäßig auffrischt, hält nicht nur den Immunschutz aufrecht, er trainiert auch seine Immunabwehr für das Alter. "Menschen ab 60 Jahren zeigen eine schwächere Reaktion auf Auffrischimpfungen gegen Tetanus, FSME, Keuchhusten und Diphtherie - auch wenn sie vollkommen gesund sind", sagt Birgit Weinberger von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. "Außerdem hält der Schutz der Impfung bei ihnen weniger lang an."

Die Forscherin untersucht, wie der alternde Körper auf Auffrischimpfungen anspricht. Ihr Fazit: Wer im Lauf des Lebens regelmäßig seine Impfungen auffrischen lässt, hat im Alter bessere Karten. Dies hatte zuvor Maria Kaml, eine Kollegin Weinbergers, festgestellt. Sie untersuchte 2007 den Impferfolg einer Kombinationsimpfung aus Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Polio an über 250 gesunden Menschen zwischen 60 und 90 Jahren. Sie stellte fest, wie viele Antikörper die Probanden vor und nach der Impfung im Blut aufwiesen und vermerkte ob und wie viele Auffrischimpfungen die Personen zuvor wahrgenommen hatten. Das Ergebnis: Diejenigen, die sich vor der Impfung regelmäßig hatten auffrischen lassen und somit von vorneherein mehr Antikörper im Blut besaßen, zeigten eine viel bessere Reaktion auf die Erreger von Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten als jene, bei denen die letzte Impfung lange zurücklag. "Um im Alter gut auf Impfungen reagieren zu können, sollte ein Schutz früh im Leben angelegt werden, der durch Auffrischimpfungen aufrechterhalten wird", fasst Kaml die Ergebnisse zusammen. "Außerdem ist es für alle über 60 Jahren sinnvoll, sich häufiger auffrischen zu lassen." In Österreich, wo Kaml und Weinberger arbeiten, wird diese Empfehlung bereits umgesetzt. Dort wird Menschen über 60 Jahren empfohlen, sich alle fünf statt alle zehn Jahre gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten impfen zu lassen. Hierzulande ist eine solche Anpassung laut RKI derzeit nicht vorgesehen.

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