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Städtereisen Fès

Ein Streifzug durch Marokkos älteste Königsstadt

Die mittelalterliche Medina von Fès gilt als größte Nordafrikas. Wer die Orientierung in der marokkanischen Stadt nicht verlieren möchte, lässt sich von einem Guide durch die Altstadt führen.

Im ersten Moment weiß man gar nicht wohin mit Augen, Nase und Ohren: Auf den Ständen links und rechts türmen sich Bananen, Feigen und Datteln zu waghalsigen, farbenfrohen Pyramiden, eine Melange exotischer Gewürze, und die Luft vibriert von den aufgeregten Stimmen der Händler.

Die Tala’A Kbira, die Hauptachse der Altstadt, der sogenannten Medina, füllt sich gegen Mittag mit Menschen. Das Viertel verwandelt sich in einen riesigen Marktplatz.

Die Medina von Fès gilt als die größte Nordafrikas. Ihre Gesamtfläche umfasst rund 2,8 Quadratkilometer (280 Hektar), was in etwa der Fläche von 400 Fußballfeldern entspricht. Seit 20 Jahren steht die Medina als Weltkulturerbe unter dem Schutz der Unesco .

Lastesel transportieren Felle durch die Gassen, hysterisch gackernde Hühner wechseln die Besitzer, noch immer stellen Metzger abgetrennte Kamelköpfen zur Schau. Wären da nicht die Vorliebe der Marokkaner für das mobile Telefonieren und die Mopeds, die sich elegant durch das Gedränge schlängeln, man fühlte sich ein gutes Jahrtausend zurückversetzt. So weit reichen die Wurzeln von Fès, der einstigen Hauptstadt Marokkos, zurück.

Dabei gilt die älteste der vier marokkanischen Königsstädte noch heute als geistiges, kulturelles und wissenschaftliches Zentrum des Landes – fast so, als hätte das französische Protektorat, dem die Stadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterstand, nie existiert; als hätten die Franzosen nicht Rabat zur neuen Hauptstadt gemacht, als hätte es die Auseinandersetzungen, die erst mit der Unabhängigkeit Marokkos 1956 endeten, nie gegeben.

Und auch an die außerhalb der Stadtmauern entstandene „Ville Nouvelle“ mit ihren prachtvollen Boulevards und beruhigend rechtwinkligen Straßenzügen erinnert hier in der Medina nichts. Sie ist noch immer ein Labyrinth voll Seitengassen, versteckter Plätze und schmaler Pfade.

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Auf Erkundungstour mit Guide

Vergleichsweise neu sind die vielen Guides im Viertel – Männer, die im Gedränge auf Kundenfang gehen. Sie kennen den kürzesten Weg, das günstigste Hotel, den besten Schmuckladen.

Bis zu 20 verschiedene Geschäfte stehen auf ihrer Liste. Ob es sich dann wirklich um einen Geheimtipp oder um eine Touristenfalle handelt, ist häufig Glückssache – aber trotzdem empfehlenswert, um sich nicht in der Medina zu verlaufen. Meist zahlt der Tourist ein wenig drauf, wenn er in ihrer Begleitung einen Laden betritt.

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Doch der Job ist auch streng reguliert. Bis zu zwei Tage Gefängnis drohen Stadtführern, die ohne Lizenz erwischt werden. Die Maßnahme ist Teil eines umfassenden Tourismusprogramms, mit dem König Mohammed VI. das Land für ausländische Besucher sicherer und attraktiver machen will. Khalid ist solch ein Allroundtalent.

Lässig sitzt er vor seinem Getränkestand, betrachtet den vorbeiziehenden Menschenstrom und verkündet sein Angebot: Getränke und Snacks, Führungen durch die Altstadt, Übersetzungsarbeiten, Ledertaschen. Bleibt man länger stehen, auch Haschisch. Erst wenn man ablehnt und trotzdem bleibt, entspinnt sich ein persönliches Gespräch.

„Jeder kennt hier jeden, und jede Hand wäscht die des Nachbarn“, sagt der 45-Jährige mit der leicht verbogenen Brille. Khalid ist in der Medina groß geworden, lebte hier, bis ihn die Aussicht auf schnelles Geld nach Europa lockte. 25 Jahre arbeitete er als Barkeeper in Spanien und Deutschland. Dann wurde das Heimweh übermächtig, und er kehrte zurück in dieses Viertel, das er bestens kennt: „Die Medina erschließt sich einem nicht auf den ersten Blick. An vielem würde der Tourist vorbeigehen.“

Da sind zum Beispiel die über 60 öffentlichen, meist in verwinkelten Gassen gelegenen Brunnen; da sind die winzigen Hauseingänge, in denen alte Männer auf dem Boden hockend Kaftane nähen; da sind die Bauwerke, die sich in das Straßenbild fügen: die einstige Koranschule Medersa Bou Inania mit ihrem aufwendig restaurierten Innenhof, der zum Museum umgewandelte Fondouk Nejjarine mit seinen filigranen Holzschnitzereien.

Zutritt verboten für Nichtmuslime

Oder die Kairaouine-Moschee, das zweitgrößte Gotteshaus des Landes – gewaltig zwar, aber in dem Trubel man sie fast übersieht. Als Nichtmuslim bleibt einem der Zutritt zu dem 20.000 Menschen fassenden Gebäude verwehrt. Ein verstohlener Blick durch eines der 14 Tore ist aber gestattet – auf die hohen Wände, die flauschigen Teppiche, auf die sich ins Unendliche windenden Kachelmuster, die bei längerer Betrachtung Schwindel verursachen.

Das Gefühl ist beabsichtigt: Die Abbildung von Mensch und Tier gilt in der islamischen Kunst als Nachahmung des göttlichen Schöpfungsprozesses, als Blasphemie.

Daher die waghalsigen Kachelmuster, die hypnotisierenden Schnitzereien und meditativen Kalligrafien. Sie sollen den Betrachter herauslösen aus dieser Welt und hineinkatapultieren in eine andere, spirituelle Sphäre – als ob das sinnesraubende Gewirr der Medina nicht auch so dafür sorgen würde.

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Obwohl: Nach und nach formt sich ein festes Bild, erschließt sich der Aufbau von Fès el-bali. Und der ist weniger chaotisch, als es zunächst scheint: In 20 einzelne Quartiere ist die Medina gegliedert – jedes mit eigener Moschee, Koranschule, Hamam, Bäckerei und Markt.

Die einzelnen Märkte, die Souks, wiederum sind verschiedenen Richtungen zugeordnet. Käufer können sich am Souk el Attarine mit Gewürzen eindecken, im Souk Boujloud frisches Obst und Gemüse erstehen oder in der Kissaria feine Stoffe und Schmuck erwerben.

Auch die Handwerker haben eigene kleine Viertel: An der Place es-Seffarine zum Beispiel fertigen Messingschmiede riesige Teekessel und Pfannen; am Souk an-Nejjarine werkeln Schreiner an gold- und silberverzierten Hochzeitsmöbeln, auf denen die Braut an ihrem großen Tag durch die Gassen getragen wird. Angesehene Geschäfte und Handwerk waren von Anbeginn zentral angesiedelt, andere an die Peripherie verbannt.

Die Ledergerber von Chuwwara, im Nordosten der Medina, gehören eindeutig zur zweiten Kategorie. Beim Aufstieg zur Aussichtsplattform des meistfotografierten Viertels wird einem extra ein Blatt Minze gegen den Geruch gereicht.

Oben angekommen, weiß man warum. In den riesigen, farbenfroh leuchtenden Steinbottichen, auf die man nun schaut, wird Schaf-, Ziegen-, Kuh- und Kamelleder seit Jahrhunderten auf die gleiche Weise gegerbt – mit Taubenkot. Noch immer wird der Beruf des Gerbers vom Vater an den Sohn weitergegeben.

Das fèssche Leder – neben der blau-weißen Keramik traditionelles Markenzeichen der Stadt – stapelt sich zu Taschen, Sitzkissen und Schuhen verarbeitet in den riesigen Verkaufsräumen der Gerberei und an den unzähligen Ständen der Stadt, wo es zum Verkauf angeboten wird.

Und das zu speziellen Freundschaftspreisen, schließlich ist man der erste Kunde des Tages. Oder der letzte. Argumente gibt es viele; das Verkaufen und Handeln ist nicht nur eine Kunst für sich, sondern auch elementarer Bestandteil arabischer Lebensart.

Dickes Geschäft mit Sonnenbrillen

Bestes Beispiel ist Mohammed. Der verlangt selbst nach einem ausgedehnt freundschaftlichen Gespräch noch 60 Dirham, umgerechnet 6 Euro, für ein altes Brillenetui. Der 40-Jährige mit dem sauber gestutzten Backenbart kommt extra aus Melilla, jener spanischen Exklave in Marokkos Norden, zum allmonatlichen Großeinkauf nach Fès.

Mehrere Kartons Sonnenbrillen erwirbt er dann, um sie auf dem spanischen Festland zu verkaufen. Das rechnet sich, trotz der Entfernung. Allerdings muss er das Spritgeld berücksichtigen, auch die Familie will ernährt werden.

Beim Gegenangebot 20 Dirham zieht er daher gekränkt die Brauen hoch.Erst bei der Wende zum Gehen ruft er einem die erwarteten 40 Dirham hinterher. Ein Drittel des vom Verkäufer genannten Erstpreises gilt als Einstiegsgebot. Von da an geht das Feilschen los. Zahlt man am Ende 60 Prozent des ursprünglichen Preises, hat man ein gutes Geschäft gemacht. 40 Dirham für das Etui gehen also in Ordnung.

Allerdings fragt man sich, warum es eigentlich Mohammed war, der das Etui verkauft hat. War er nicht eben noch selbst ein Käufer? Aber das gehört wohl zu den unlösbaren Geheimnissen des Marktes von Fès, dessen soziale Strukturen für den Außenstehenden ebenso schwer zu durchschauen sind wie die gesamte Stadt, deren Kern sich in Jahrhunderten kaum verändert hat.

Wären da nicht die Handys, die Mopeds, die vielen Satellitenschüsseln auf den schiefen Häusern – man wäre irgendwo anders, aber sicher nicht im 21. Jahrhundert. Und so bleibt sie auch nach Tagen noch geheimnisvoll, diese Stadt, die ein wenig wie aus der Zeit gefallen wirkt.

Hier finden Sie ausführliche Reisetipps für Marokko .

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