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Panorama Kampfhunde

„Chico das Leben zu retten wäre absurd“

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Hund „Chico“ wird vorerst nicht eingeschläfert

„Chico“ hat seinen Halter und dessen Mutter totgebissen. Tierschützer in Hannover demonstrierten gegen ein Einschläfern des Hundes – und sammelten rund 250.000 Unterschriften.

Quelle: WELT

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Wieder starb ein Mensch durch einen Staffordshire-Mischling: In Hessen biss ein Tier einem sieben Monate alten Jungen in den Kopf. Auch die Debatte über den Hund Chico, der ebenfalls tötete, spitzt sich zu.

Der Junge war sieben Monate alt. Ob er auf dem Arm seiner Mutter lag oder im Kinderwagen. Ob er zu laut geschrien hat oder den Hund mit irgendeinem Verhalten provoziert hat: Die Umstände sind noch unklar, unter denen das Tier dem Kind in der elterlichen Wohnung im hessischen Bad König in den Kopf gebissen hat. Am Montagabend ist das Baby gestorben.

Jährlich sterben in Deutschland im Schnitt drei bis vier Menschen an Hundebissen. 64 Todesopfer verzeichnet das Statistische Bundesamt für den Zeitraum von 1998 bis 2015. Für bundesweite Bestürzung und eine Verschärfung der Auflagen für die Besitzer potenziell besonders aggressiver Rassen sorgte im Juni 2000 der Tod des sechsjährigen Volkan aus Hamburg. Er fiel auf einem Schulhof zwei frei laufenden American-Staffordshire-Mischlingen zum Opfer.

Jeder Fall ist schockierend. Der Tod des kleinen Jungen aus Bad König geht besonders nah. Nicht zuletzt deshalb, weil er das dritte Opfer einer tödlichen Hundeattacke innerhalb einer Woche ist.

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Erst am vergangenen Dienstag hat Chico, ebenfalls ein Staffordshire-Mischling, in Hannover seine beiden Besitzer totgebissen: Eine 52 Jahre alte Frau und deren 27-jährigen Sohn. An diesem Montag wurde bekannt, dass die Stadt Hannover schon 2011 über die gesteigerte Aggressivität des Hundes informiert war: Ein Hund, dessen Rasse ohnehin in mehreren Bundesländern nur unter besonderen Auflagen gehalten werden darf. Ein „Listenhund“. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird ein solches Tier als „Kampfhund“ bezeichnet.

Chico war seit 2011 als aggressiv bekannt

Der hannoversche Stadtrat Axel von der Ohe bestätigte am Montag die seit sieben Jahren bekannte Auffälligkeit des Hundes auf einer Pressekonferenz. Zudem musste er einräumen, dass auch die mangelnde Eignung der Hundebesitzer kein Geheimnis war. Warum die bereits damals getroffene Entscheidung, das Tier den Haltern zu entziehen, nicht umgesetzt wurde, sei, so von der Ohe, „kaum erklärlich“. Die rechtlichen Konsequenzen für diese Versäumnisse müssten jetzt geprüft werden.

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Unklar bleibt auch, wie mit dem Tier künftig umgegangen wird. Während Ende der Woche die Stadt Hannover angekündigt hatte, den Hund einschläfern zu lassen, wird jetzt geprüft, ob er in eine Spezialeinrichtung für besonders auffällige Tiere kommt. Damit reagierte die Stadt auf den Protest von Tierschützern, die eine Onlinepetition gegen die Tötung des Hundes gestartet hatten.

„Lasst Chico leben!“ lautet die Forderung, die am Dienstag von mehr als 268.000 Menschen unterzeichnet wurde. Darin wird der tragische Vorfall als ein Unglück bezeichnet, für das nicht der Hund die Verantwortung trage, sondern die Halter. Die Unterzeichner begründen mit rührenden Worten ihren Einsatz für das Leben des Tieres. Chico verdiene eine zweite Chance bei einer hundeerfahrenen Person, heißt es da. Er müsse endlich artgerecht, in liebevoller Umgebung sein Leben „genießen“ können.

Für die Hundetrainerin Sabine Busch aus dem hessischen Biedenkopf steht hinter Vorstellungen wie diesen eine große Naivität. „Der Hype von Tierschützern, die Chico unbedingt das Leben retten wollen, ist absurd“, sagt die 53-jährige Betreiberin der Mobilen Hundeschule Hinterland. „Jeder, der Ahnung von solchen Hunden hat, würde von diesem Vorhaben abraten.“

Sabine Busch ist Expertin für auffällige Hunde. Sie bereitet regelmäßig als aggressiv eingestufte Tiere auf die von den Behörden angeordneten Wesensprüfungen vor. Sie weiß, wie unberechenbar und gefährlich Hunde sein können. Die Vorstellung, dass ein Hund wie Chico lediglich eine liebevolle Umgebung brauche und sich zu einem friedlichen Tier entwickele, hält sie für fahrlässig.

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„Es ist nicht bekannt, warum Chico zwei Menschen getötet hat“, sagt sie. „Das wird man auch nicht herausfinden. Aber niemand kann ausschließen, dass er es wieder tut, wenn er wieder mit dem auslösenden Reiz, den wir nicht kennen, konfrontiert wird.“

Die Deutschen und ihre fragwürdige Tierliebe

Sabine Busch sieht in Sachen Tierliebe einen generell fragwürdigen Trend. Unzählige Hunde aus Süd- und Osteuropa würden nach Deutschland eingeflogen, Hunde, die dort auf Straßen und Müllkippen ihr Dasein fristen und die hier ein angeblich besseres Leben erwartet. Doch auch diese Tiere seien ein Risiko.

Schließlich handele es sich um Hunde, die, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, in Freiheit gelebt haben. Jetzt sollen sie plötzlich an der Leine gehen, werden womöglich in einem Hochhaus gehalten, leiden unter begrenzten Auslaufmöglichkeiten.

Diese Tiere seien oft überängstlich und könnten sich unberechenbar verhalten. „Ein Hund, der von klein auf an gut sozialisiert und liebevoll erzogen wird, entwickelt sich anders als ein Tier, das auf der Straße ums Überleben kämpfen musste.“ Sabine Busch plädiert stattdessen dafür, die Tiere in ihrer Heimat zu kastrieren und ihnen Futterplätze einzurichten.

Oft sind es Kinder, die von Hundeattacken betroffen sind. Sabine Busch ist trotzdem weit davon entfernt, Familien von Hunden abzuraten. Sie rät aber dringend, Hunde nicht als Spielzeug oder Beschäftigung für Kinder anzuschaffen, sondern als Wesen, die Respekt brauchen. „Dass Hunde häufig Kinder beißen, ist auch das Ergebnis einer fehlenden Erziehung des Nachwuchses“, sagt sie. Kinder würden sich zu ihnen ins Körbchen legen, sie anfassen, wann es ihnen gefällt oder ihnen zu lange in die Augen starren.

Das könne für einen Hund zur Provokation werden, auf die er reagiert. „Die Hunde kommen nicht mehr zur Ruhe, werden unter Umständen aggressiv. Hunde und Kinder brauchen Regeln und Grenzen, dann kann das eine tolle Kombination werden.“

Nie ein Baby dem Hund vor die Schnauze halten!

Familien mit Babys sollten besondere Regeln befolgen. Sabine Busch rät dringend davon ab, dem Hund den Säugling vor die Schnauze zu halten. Sie würden ein hohes Risiko eingehen, dass das Tier zuschnappt.

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Warum der sieben Monate alte Junge im hessischen Bad König tödlich verletzt wurde, müssen die Obduktion und Ermittlungen klären. Der 23 Jahre alte Vater soll sofort die Rettungskräfte verständigt haben, die den Jungen in eine Klinik brachten. Nach einem anfänglich stabilen Zustand erlag er schließlich doch den Verletzungen. Der Vater und die 27 Jahre alte Mutter des Kindes stünden unter Schock.

Bei dem Hund soll es sich nach ersten Vermutungen und dem Aussehen nach um einen Staffordshire-Mix handeln. Der Hund wurde in ein Tierheim gebracht. Wie die Polizei sagte, sei er als aggressiv beschrieben worden. Als gefährlicher „Listenhund“ war er nach Angaben des Bürgermeisters nicht in der Gemeinde registriert.

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