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Weltgeschehen BAB 555

Die erste Autobahn hat nichts mit Hitler zu tun

Leiter des Unternehmensarchivs von Axel Springer
Die Legende hält sich hartnäckig und besagt, dass Adolf Hitler die erste deutsche Autobahn gebaut hat. In Wahrheit ist ein ganz anderer für die „Straße der Zukunft“ verantwortlich.

Viele Innovationen kommen zuerst unscheinbar und klein daher. "So werden die Straßen der Zukunft aussehen", verkündet Kölns Oberbürgermeister, und hörbar klingt Stolz in diesem Satz mit. Die Zukunft ist eine fast 20 Kilometer lange, ganz neuartige Fahrbahn von Köln nach Bonn, die das Stadtoberhaupt an jenem 6. August 1932 eröffnet: vierspurig, schnurgerade und kreuzungsfrei - die erste deutsche Autobahn. Der Name des begeisterten Bürgermeisters: Konrad Adenauer.

Bis heute wird der Autobahnbau in Deutschland häufig mit dem Namen Hitler in Verbindung gebracht. Doch das Bild von den "Straßen des Führers" ist eine Legende. Erste Überlegungen für getrennte, mehrstreifige Fahrbahnen, die nur Autos vorbehalten sind, beginnen viel früher. Grund ist eine rasante Entwicklung des Verkehrs in den 20er-Jahren - mit all den Folgen, die verstopfte Straßen so mit sich bringen. In den verwinkelten Ortschaften kommt es zu Staus, gestresste Fahrer schlängeln sich immer rücksichtsloser an Fuhrwerken wie Fußgängern vorbei, Raser überschätzen sich mit ihren immer schneller werdenden Fahrzeugen. So werden 1929 bereits 5867 Verkehrstote auf deutschen Straßen gezählt.

Politik und Öffentlichkeit waren gegen die Autobahn

Zwischen Köln und Bonn herrscht der dichteste Verkehr in ganz Deutschland. Die preußische Rheinprovinz ist stark besiedelt und verfügt mit dem Ruhrgebiet über die größte Industriekonzentration. Der Jurist Konrad Adenauer, Oberbürgermeister von Köln seit 1917, sieht die Lösung für das Verkehrsproblem längst in einer "Nur-Automobilstraße", getrennt vom Nahverkehr und abseits der Ortschaften. 1926 beginnen die ersten Planungen.

Doch Adenauer, zugleich Vorsitzender des Rheinischen Provinzialausschusses für Autostraßen, wird mit einer Haltung konfrontiert, die auch die Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau" (Stufa) und der ebenfalls neu gegründete Verein zum Bau einer "Schnellverkehrsstrecke" von Hamburg über Frankfurt nach Basel erfahren, kurz HaFraBa genannt. Vereinschef Robert Otzen sollte 1929 den Begriff "Autobahn" prägen - in Analogie zur Eisenbahn. Zum Leidwesen dieser Initiativen privater Autofreunde und ihrer Förderer finden sie keine Unterstützung in der Politik und der Öffentlichkeit. Deutschland sei zu arm für solche "Luxusstraßen", sagt Reichsverkehrsminister Theodor von Guérard.

„Deutschland ist zu arm für ‚Luxusstraßen‘“

Ähnlich äußert sich der Soziologe und Philosoph Werner Sombart. Autobahnen könnten "höchstens einer Steigerung der Bequemlichkeit oder der Befriedigung eines Luxusbedürfnisses dienen". Am öffentlichen Boykott beteiligen sich auch die Nationalsozialisten. Überlegungen für eine rein privatwirtschaftlich finanzierte Autobahn macht die Reichsregierung früh einen Strich durch die Rechnung und verbietet per Gesetz 1927 grundsätzlich das Erheben von Straßengebühren. Wenigstens der Bau der "Luxusstraße" von Köln nach Bonn gelingt.

Und er wird schließlich sogar vom Staat mitfinanziert: Die Bauarbeiten werden als Notstandsarbeit deklariert und so 5500 Arbeitslose beschäftigt. Um sie sinnvoll einzusetzen, ist den Firmen der Einsatz von Baggern untersagt. Am Ende werden auf diese Weise rund 45 Prozent der Kosten aus der Erwerbslosenfürsorge bestritten, den Rest der insgesamt knapp neun Millionen Reichsmark decken Anleihen auf dem Kapitalmarkt und der Provinzialhaushalt.

Bis der Bau 1929 beginnen kann, müssen rund 650 Kaufverträge für Flächen geschlossen werden, nur in 13 Fällen sind Enteignungen notwendig. Pech hat unter anderem der Golf- und Land-Club Köln, der einen Teil seines 18-Loch-Platzes verliert, weil die Autobahn durchs Clubgelände führt.

Tempolimit: 120 Stundenkilometer auf der ersten Autobahn

Am 6. August 1932 wird sie offiziell eingeweiht. Dazu reisen 2000 Autofahrer aus ganz Europa in einer "Sternfahrt" an und müssen fünf Reichsmark Teilnahmegebühr bezahlen. Der Eindruck von der Strecke ist das Geld wert. Zwei Tage später ist sie für den Verkehr frei. Die Standards ähneln den heutiger Autobahnen: geringe Steigungen, ausreichend Sichtweiten, große Kurvenradien, griffige Beläge. Selbst an Standstreifen, Leitplanken und eine Beleuchtung für Nachtfahrten wird gedacht. Eine Mittelleitplanke fehlt allerdings. Die Planer fürchten schwere Unfälle, falls ein Kraftwagen "abirrt" und an den Bordstein stößt. Das werden später ungeduldige Fahrer nutzen, um auf der Gegenspur voranzukommen.

Für das Benutzen der neuen Straße gibt die Polizei am 2. August 1932 eigens eine Verordnung heraus. Danach ist Halten, Parken und Wenden ebenso tabu wie das "Treiben und Führen von Tieren". Dafür dürfen die Fahrer richtig Gas geben: Obwohl die Autos im Schnitt nur 60 Stundenkilometer schaffen, sind 120 Stundenkilometer erlaubt.

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Die Strecke bleibt - bis Hitler Anfang 1933 an die Macht kommt - Deutschlands einzige Autobahn. Der Diktator hat jedoch längst erkannt, dass er den Autobahnbau als Beleg für die Tatkraft der "neuen Bewegung" propagandistisch ausschlachten kann. Und er greift einfach auf die bereits vorhandenen Planungen zurück. Auch die Beschäftigung von Arbeitslosen übernimmt er von der ihm so verhassten Weimarer Republik.

Spitzname: „Diplomatenrennbahn“

Bereits auf der Berliner Automobilausstellung am 11. Februar 1933 kündigt Hitler einen großzügigen Straßenbauplan an, im September eröffnet er in Frankfurt am Main den Bau der ersten neuen Ausbaustrecke nach Darmstadt mit dem Spatenstich. Zuvor hat er die "Adenauer-Autobahn" zur "Landstraße" herabgestuft, damit er den Ruhm, die "erste Autobahn" gebaut zu haben, für sich verbuchen kann.

Auch nach 1945 bleibt Adenauers Straße, 1958 endgültig als "Autobahn" eingestuft, etwas Besonderes. Die A 555 wird von den Bonner Regierungsbeamten, die in Köln wohnen, als schneller Arbeitsweg geschätzt. Schnell hat die Strecke auch ihren Spitznamen weg: "Diplomatenrennbahn". In den Neunzigerjahren werden hier die ersten Tests mit der Lkw-Maut durchgeführt. Adenauer hat also Recht behalten mit seiner Einschätzung vor 80 Jahren: "So werden die Straßen der Zukunft aussehen." Ein weiterer Wunsch des späteren Bundeskanzlers: "Ich hoffe, dass die nunmehr erzielte Zeitverkürzung und Fahrbequemlichkeit dem Rhein und den Schönheiten seiner Landschaft neue Freunde aus dem In- und Ausland zuführen möge."

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