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Schäubles schauderhafte Nachtlektüre

Politischer Korrespondent
Wie der Innenminister gegen Tabus in der Debatte um die Aufrüstung des Rechtsstaats kämpft

Berlin - Es dürfte nicht besonders häufig vorkommen, dass ein Abgeordneter der Grünen einer Literaturempfehlung des Innenministers nachkommt. Wolfgang Wieland aber beherzigte den Ratschlag von Wolfgang Schäuble (CDU), ein Buch des Kölner Verfassungsrechtlers Otto Depenheuer zur Hand zu nehmen. Das Ergebnis seiner Lektüre trug Wieland am Donnerstag im Bundestag vor. "Selbstbehauptung des Rechtsstaats", so der Titel des schmalen Bändchens, sei eine "schauderhafte Kampfschrift des Konservatismus". Wieland versuchte, Schäuble in die Nähe "des geistigen Wegbereiters des Nationalsozialismus", des Staatsrechtlers Carl Schmitt, zu rücken, der in dem Buch mehrfach zitiert wird.

In der Tat ist Depenheuers Buch eine Provokation, allerdings eine sehr bewusste. Geschrieben hat es der streitbare Professor, weil er sich über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz geärgert hat, das dem Staat den Abschuss eines von Terroristen entführten, mit unschuldigen Bürgern besetzten Flugzeugs verbietet. Depenheuer dagegen hält es für gerechtfertigt, wenn der Staat von den entführten Bürgern ihr Leben als "Opfer" verlange. Außerdem räsoniert er über die Kategorisierung von Terroristen als "Feinde", die man "verfassungstheoretisch" durchaus rechtlos nach Guantánamo stecken könne, bis die von ihnen ausgehende Gefahr gebannt sei. Depenheuer will einen starken Staat anstelle von Karlsruhes "Verfassungsautismus".

Im Bundestag ging Schäuble nicht auf Wielands Vorwürfe ein. Am Abend, bei einem Vortrag auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema "Globale Gefahren und innere Sicherheit", wurde der Minister konkreter. Auch Schäuble will einen angesichts der Bedrohungen des internationalen Terrorismus wehrhaften Staat, und er teilt die Kritik am Urteil des Verfassungsgerichts. Aber er setzte sich gleichzeitig deutlich von Depenheuers Radikalideen ab. "Der Rechtsstaat hat Grenzen, die er unter keinen Umständen überschreiten darf", sagte Schäuble. Man dürfe sich nicht auf die gleiche Stufe mit Rechtsbrechern begeben, deshalb bekenne er sich zum Beispiel ausdrücklich zum Folterverbot: "Da gibt es kein Augenzwinkern, unter keinen Umständen, niemals." Auch in Sachen Guantánamo habe er die Amerikaner "immer und früher als die meisten anderen" gefragt, was die Rechtsgrundlage für das Gefangenenlager auf Kuba sei: "Ich habe keine Antwort bekommen."

Aber seine Gesprächspartner hätten zurückgefragt: "Mensch, was soll man damit machen, habt ihr eine Idee?" Deshalb sei es eben grundfalsch, eine "Vogel-Strauß-Politik" zu betreiben und nicht über die Herausforderungen durch die neuen Bedrohungen zu reden. Die "Tabusetzung nach den neuen Regeln von politischer Korrektheit" in Deutschland sei geradezu "demokratiewidrig". Das ist wohl auch die Antwort darauf, warum er Depenheuers Buch öffentlich empfohlen hat: Schäuble will die Sicherheitsprobleme nicht totschweigen, sondern darüber diskutieren, wenn nötig provokant.

Dahinter steckt nichts weniger als die Sorge um die Akzeptanz des Rechtsstaates insgesamt. Der Staat müsse seinen Bürgern im Fall eines schweren Anschlags das Gefühl geben, alles Menschenmögliche zur Prävention getan zu haben. Sonst werde er statt einer gelassenen Reaktion der Bevölkerung "Zweifel an der Schutzfähigkeit" des freiheitlichen Staates ernten. Wer das nicht wolle, könne nicht nur Lichterketten zünden, sondern müsse seinen Beitrag zur Wehrhaftigkeit leisten. "So viel sollten wir aus der deutschen Geschichte gelernt haben", sagte Schäuble: "Der freiheitliche Verfassungsstaat darf keine Schönwettereinrichtung bleiben." Da ist er wieder ganz bei Depenheuer.

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