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Wirtschaft Euro-Krise

"Die Italiener stecken jeden Deutschen in den Sack"

Italiener protestiert gegen Sparmaßnahmen Italiener protestiert gegen Sparmaßnahmen
Wütender Italiener: "Erst sollen alle anderen bluten, bevor ich einen Cent auf den Tisch lege"
Quelle: picture alliance / dpa
Anton Börner kennt die Italiener wie kaum ein anderer deutscher Unternehmer. In der Krise lachen sie über uns, sagt der BGA-Chef.

Freunden darf man auch Unangenehmes ins Gesicht sagen, daran hält sich Anton Börner. Der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA kennt jede Kirche und jede Piazza auf dem Fußweg durch seine Wahlheimat Rom. Seine Frau Anna ist Italienerin, sein jüngster Sohn besucht eine italienische Schule.

Welt am Sonntag: Uns Bayern gehen das gerollte R und die unaspirierten Konsonanten des Italienischen noch recht leicht von der Zunge. Wie lange haben Sie gebraucht, bis Sie die Sprache perfekt konnten?

Anton Börner: Ich leide immer noch, weil ich Italienisch nicht so kann, wie ich es können möchte. Ich finde mich zurecht, kann alles lesen, kann mich über alles unterhalten. Aber so differenziert, wie ich möchte, kann ich mich nur auf Deutsch ausdrücken.

Welt am Sonntag: Mal undifferenziert gefragt: Was ist gerade los mit den Italienern?

Börner: Nichts, was wir nicht schon wüssten: Die Italiener verstehen die Deutschen nicht und umgekehrt. In der Euro-Schuldenkrise prallen jahrhundertealte Kulturen aufeinander, die nicht kompatibel sind. Italien definiert sich seit jeher über die Verbindung zu einem Menschen. Nicht die Struktur steht im Vordergrund, sondern die persönliche Beziehung.

Welt am Sonntag: Das öffnet jedem Herz und Geldbeutel, der bei Giancarlo oder Luigi Stammgast ist.

Börner: Aber wenn die persönliche Beziehung nicht mehr auf einem Wertesystem fußt, wird sie korrumpierbar. Das wird hier seit 2000 Jahren gelebt: Oben gibt es einen Patron, der für seine Leute sorgt.

Welt am Sonntag: Sie sind Unternehmer. Verstehen Sie sich nicht als Patron?

Börner: Ich sage Ihnen, was ich nicht verstehe. Wir haben vor Jahren unsere Wohnung in Rom umgebaut. Ich sollte eine Duschstange aus Deutschland mitbringen. In München habe ich sie mit ins Handgepäck genommen, in Mailand beim Umsteigen hieß es: ab ins Sperrgepäck. Als ich das dem Architekten erzählt habe, hat der sich furchtbar aufgeregt: „Warum haben Sie mich nicht angerufen? Ich hätte den Innenminister angerufen, der hätte den Polizisten angerufen, dann hätten Sie mal gesehen, wie schnell Sie mit der Stange im Flieger gewesen wären.“

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Welt am Sonntag: Mario Monti hat versprochen, Italien zu verändern. Glauben Sie daran?

Börner: Fundamental ändert sich da nichts ohne Druck. Ich habe mit den Gewerkschaftsspitzen Gespräche geführt. Die haben mir gesagt, ich soll Frau Merkel ausrichten: Sie soll brutal hart bleiben.

Welt am Sonntag:  Das sagen Ihnen die Gewerkschaften?

Börner: Italien ist ein sozial zutiefst ungerechtes, ein kastenmäßig organisiertes Land, das seine Eliten fest in der Hand haben.

Welt am Sonntag: Wenn das Problem dort wurzelt und nicht in der Verschuldung, warum ist es Europas Problem?

Börner: Italien könnte sich sanieren, wenn es wollte. Tut es aber nicht. Und wir könnten diesen Prozess erst einmal einfach laufen lassen, tun es aber nicht. Die Italiener lachen über uns, das erlebe ich jedes Mal wieder. Wenn ich mit den Unternehmern, mit der Elite dieses Landes spreche, sagen die: Ihr zahlt sowieso. Warum? Weil ihr so viel Angst habt.

Welt am Sonntag: Darauf kann man wenig sagen, oder?

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Börner: Höchstens: Täuscht euch nicht. Ich habe mal gesagt, es gibt für uns ein Leben nach dem Euro. Das hat aber mehr die Engländer interessiert als die Italiener.

Welt am Sonntag: Weil die gelesen haben, dass Frau Merkel sagt: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“

Börner: Wir geben jetzt Garantien raus und irgendwann müssen wir Steuern erhöhen. Aber vor der Solidarität muss die Subsidiarität kommen. Warum sagen wir nicht den Italienern: Erst einmal müsst ihr euer eigenes Geld auf den Tisch legen?

Welt am Sonntag: Weil die halbe Welt sich über die Deutschen empören würde, die sich ein paar Milliarden für die armen Brüder in Europa ruhig leisten könnten.

Börner: Ich bin enttäuscht, dass die deutsche Politik einfach nicht richtig mit den Italienern umgehen kann. Deshalb befürchte ich, dass sie am Ende mit ihrer Masche durchkommen, auf unsere Kosten.

Welt am Sonntag: Monti hat Reformen angekündigt. Jetzt will er Gegenleistungen haben. Ist das die italienische Masche?

Börner: Die Italiener haben ein Nettogeldvermögen von 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das Land hat eine Verschuldung von 120 Prozent vom BIP. Das ergibt eine Überdeckung der Schulden durch privates Vermögen von 55 Prozent. In Deutschland liegen wir bei gut der Hälfte. Die Italiener sind viel reicher als die Deutschen. Und die besitzende Schicht in Italien denkt: Erst sollen alle anderen bluten, bevor ich einen Cent auf den Tisch lege. Die Elite hier ist bestens ausgebildet, zu Hause in ihrer Geschichte, in ihrer Philosophie und ihrem Recht.

Welt am Sonntag: Italiener verhandeln gut, meinen Sie?

Börner: Die stecken jeden Deutschen locker in den Sack. Es ist doch das Einfachste, erst einmal alle Fähigkeiten des Verhandelns einzusetzen, bevor ich einen Euro aus meinem Geldbeutel bezahle. In dieser Phase bewegen wir uns gerade.

Welt am Sonntag: Sind Sie amüsiert?

Börner: Mehr noch ärgere ich mich über uns Deutsche, dass wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen.

Welt am Sonntag: Deutschland hat ein Interesse daran, dass der Euro überlebt. Die Angst ist groß, dass Athen Insolvenz anmeldet. Ist Griechenland noch zu retten?

Börner: Ich fürchte, Griechenland wird man abschreiben müssen. Selbst wenn sie den Griechen 100 Prozent ihrer Schulden schenken, sind die in zehn Jahren wieder da, wo sie heute stehen. Die griechische Wirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig, wenn sie den Euro behält. Deswegen glaube ich, dass es für die Griechen besser wäre, aus dem Euro rauszugehen. Es ist ein Irrsinn für sie, drin zu bleiben.

Welt am Sonntag:  Zu welcher Verhandlungstaktik mit Mario Monti würden Sie der Bundeskanzlerin denn raten?

Börner: Sie sollte klar sagen: Wir stehen zur Verfügung, aber erst müsst ihr eure Probleme lösen. Und sie müsste den deutlichen Hinweis geben: Italienische Unternehmer müssen erst einmal investieren. Ich würde fiskalisch Druck machen. Wer nicht investiert, wird brutal hoch besteuert, wer investiert, bekommt Erleichterungen.

Welt am Sonntag: Mal angenommen, Sie wären in Italien Unternehmer. Was würden Sie zu so einem Vorstoß sagen?

Börner: Wäre ich, Anton Börner, Italiener, dann würde ich so denken: Ich habe eine schöne Firma, in der zwei meiner erwachsenen Kinder arbeiten. Uns geht es gut, würde ich sagen, wir hätten ein schönes Haus am Meer und eins im Gebirge. Und ein bisschen Geld in der Schweiz. Warum sollte ich investieren?

Welt am Sonntag: Sie würden sich über die Gängelung beklagen.

Börner: Der Ingolstädter Unternehmer Börner denkt aber anders. Wie schaffe ich es, dass mein Unternehmen wettbewerbsfähiger wird? Welche Marktchancen kann ich ergreifen, damit wir wachsen, damit meine Mitarbeiter kreativ und zufrieden sind und dass wir 2012 noch besser werden als 2011. Alles, was wir verdienen, stecken wir in diese Firma.

Welt am Sonntag: Aber ein bisschen was bleibt übrig?

Börner: Es bleibt auch was übrig, das reicht für uns und unser Leben. So etwas versteht aber der Italiener nicht. Deswegen sind die ganzen Reformansätze von Monti gut, werden das Problem aber nicht lösen, weil die Unternehmer nicht mitziehen.

Welt am Sonntag: Gerade in diesen Tagen legen die Taxifahrer- und Transportgewerkschaften das Land wieder einmal lahm. Wie verhandelt man mit denen?

Börner: Die Situation ist ja so verfahren, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht miteinander reden. Wenn die Gewerkschaften sich nicht auf die Hinterbeine stellen, wird es so laufen: Italien liberalisiert das Arbeitsrecht – und die Unternehmer lehnen sich zurück. Die Herrschenden, „la casta“, sie tun nichts, sie verzichten auf keinen einzigen Besitzstand, auf den sie vermeintlich Anrecht haben. Und das Reformpaket sieht nebenbei vor, dass die kleinen Renten von 800, 900 Euro nicht einmal Inflationsausgleich bekommen.

Welt am Sonntag: Herr Börner, Sie sind ja ein Klassenkämpfer! Hat das mit Ihrem Engagement in der Kirche zu tun?

Börner: Ich habe überhaupt kein Amt und bin ganz extern. Aber die Frage interessiert mich: Kann man das, was die Kirche tradiert, nicht in eine moderne Sprache übersetzen? Verstaubt die Lehre in alten Gemäuern oder ist es überlebensfähig? Daran arbeite ich mit.

Welt am Sonntag: Sie beraten das vatikanische Gremium, das die Botschaft der Kirche neu nach Europa tragen soll. Ist Ihr Engagement Ausdruck kulturellen Interesses oder eigener Gläubigkeit?

Börner: Beides. Für mich ist Glauben auch Verstandessache. Und ich kann die Botschaft gut nachvollziehen.

Welt am Sonntag: Kann man den Menschen heute noch das Evangelium präsentieren?

Börner: Absolut. Das wird Europas Wettbewerbsvorteil gegen das aufstrebende China sein. Chinesen haben mir oft gesagt, dass sie wissen wollen: Wer erzählt uns eine Geschichte über uns und die Welt? Gibt es einen anderen Sinn als Geld?

Welt am Sonntag: Macht das denn jemand?

Börner: Eben nicht. Dazu will ich einen Beitrag leisten. Gibt es für die Botschaft der Kirche einen Kunden, einen Markt? Oder haben wir da ein Produkt, das keiner will? Wissen Sie was? Die Kirche müsste hier in Italien aufstehen und diese Missstände anprangern. Aber Schweigen im Walde.

Welt am Sonntag: Ihr jüngster Sohn wächst dennoch in Rom auf und geht auf. Warum?

Börner: Wir haben in Berlin keinen Kindergartenplatz für ihn bekommen. Ich habe meiner Frau vorgeschlagen, ich gehe zum Bürgermeister, der kann uns bestimmt weiterhelfen. Aber das wollte sie nicht. Was machen wir dann, habe ich gefragt. Wir gehen nach Rom, sagte sie. So haben wir’s gemacht.

Welt am Sonntag: Was tun Sie, damit er nicht ein italienisches Schlitzohr wird?

Börner: Er geht auf eine wunderbare Schule hier, die Kinder sind ganz selbstverständlich zu Hause in der Geschichte Roms. Das gönne ich ihm. Aber er lernt auch Dinge wie Guten Morgen und Danke, und dass man sich ordentlich hinstellt, wenn man mit jemandem spricht. Und: Wenn ich daheim bin, wird deutsch gesprochen.

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