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„Extremer Gestank“ setzt Berliner Busfahrern zu

Soll eigentlich den BVG-Fuhrpark aufwerten: der Niederflurbus vom Typ Citea LLE des niederländischen Herstellers Van der Leegte (VDL) Soll eigentlich den BVG-Fuhrpark aufwerten: der Niederflurbus vom Typ Citea LLE des niederländischen Herstellers Van der Leegte (VDL)
Soll eigentlich den BVG-Fuhrpark aufwerten: der Niederflurbus vom Typ Citea LLE des niederländischen Herstellers Van der Leegte (VDL)
Quelle: picture alliance / dpa
BVG-Fahrer klagen über Katzenurin-Gerüche in den neuen Hauptstadt-Bussen. Gutachter warnen deswegen vor „Aggressivität, Nervosität und Fluchtinstinkt“. Und eine Tochterfirma erhöht den Druck weiter.

Es ist ein kühler Vormittag, am Busbahnhof Rudow öffnet der gelbe Bus der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) seine Türen. Den Fahrgästen, die beim Einsteigen hastig ihr Ticket aus der Tasche kramen, schlägt nicht nur warme Luft aus dem Innenraum des Busses entgegen.

Sondern auch ein unangenehmer Geruch, süßlich-aasig-stinkend, ein bisschen wie Katzenurin. Wer sich gleich vorne hinter den Fahrer setzt, der atmet bald durch den Mund, reibt sich die Augen und sucht einen Sitzplatz weiter hinten. „Riechst du das?“, fragt Waldemar Schmidt. Der Busfahrer, der in Wirklichkeit anders heißt, hat heute frei und fährt als Passagier mit. „Und jetzt stell dir das mal neun Stunden am Tag vor.“

So witzig nimmt sich die BVG auf die Schippe

Wenn Unternehmen mit coolen Videos Werbung machen wollen, dann ernten sie meist Spott. Die Berliner Verkehrsbetriebe schert das wenig. Sie sagen: „Geht nicht viral - ist uns egal“.

Quelle: Die Welt

Es geht den Fahrern der Busse vom Typ Citea LLE nicht nur um Geruchsbelästigung. 120 Wagen des niederländischen Herstellers VDL sind im Berliner Straßenverkehr im Einsatz. Die Busfahrer sorgen sich um ihre Gesundheit – und die ihrer Fahrgäste. Er habe schon wieder Halsschmerzen bekommen, sagt Schmidts Kollege, der in Rudow am Steuer sitzt.

Erst vor ein paar Tagen sei ein Fahrer aus der Schicht heraus ins Krankenhaus gebracht worden: Hoher Blutdruck, brennende Augen, Probleme beim Atmen – es bestand sogar der Verdacht auf Herzinfarkt. Für Schmidt ist klar, dass die Ursache für die Beschwerden die niederländischen Busse sind.

VDL ist preiswerter als Mercedes Benz oder MAN

„Das waren die gängigen Symptome, wenn du in diesen Bussen sitzt“, sagt Schmidt, „nur eben extremer.“ Sein Kollege am Steuer hat das Fenster neben sich aufgeschoben und die Heizung so weit es geht heruntergedreht – gegen den Gestank. „Aber was machst du, wenn es draußen Minusgrade hat?“

Neue Busse lösen ein warmes Gefühl aus
Sigrid Evelyn Nikutta, BVG-Chefin

Dass Projekte der öffentlichen Hand nicht immer zum Vorteil der Bürger enden, wissen die Berliner nicht erst seit dem Bau des neuen Flughafens. Nun sind die stinkenden Busse zweifellos kein Fall wie der BER, doch aus einem vermeintlich simplen Kauf neuer Fahrzeuge durch die öffentlich-rechtliche BVG ist eine Angelegenheit geworden, die Wissenschaftler, Abgeordnete und sogar einen Staatssekretär beschäftigt. Und die ausgetragen wird auf dem Rücken der Berliner Busfahrer – oder besser: auf ihren Nasen.

Dabei waren BVG-Chefin Sigrid Evelyn Nikutta und der damalige Omnibuschef Martin Koller noch ganz stolz, als sie vor einem Jahr die ersten VDL-Busse in Berlin vorstellten. „Neue Busse lösen ein warmes Gefühl aus“, sagte Nikutta damals. „Boah, sind die schön!“

Und nicht nur das: 20 Prozent Diesel könne mit den holländischen Modellen gespart werden, umweltfreundlicher seien sie auch, erklärte die BVG seinerzeit. Bis 2019 wolle man insgesamt 236 solcher Busse durch Berlin fahren lassen. Gesamtkosten: 60,8 Millionen Euro. Preiswerter also als die Produkte größerer Hersteller wie Mercedes Benz oder MAN.

Niederrheinische Verkehrsbetriebe reklamierten

In der Branche genießen die günstigen Holländer einen guten Ruf, die spritsparende Leichtbauweise stößt bei den Kunden auf Gegenliebe. „VDL gehört zu den namhaften Busherstellern in Europa“, urteilt Andreas Heise vom Fachmagazin „Busfahrer“. Knapp sieben Prozent beträgt der Marktanteil des Herstellers in Westeuropa.

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Auch in anderen deutschen Städten sind VDL-Busse im Einsatz. Nach Recherchen der „Welt“ tauchte das Geruchsproblem außer in Berlin bislang nur bei den Niederrheinischen Verkehrsbetrieben auf. Die acht Fahrzeuge habe man zur Nachrüstung in die Niederlande geschickt, wo das Problem behoben worden sei, erklärt das Unternehmen.

Anders in Berlin: Als sich im vergangenen August die Beschwerden der Fahrer häuften, zog die BVG zunächst wissenschaftlichen Rat hinzu. Das Berliner Analyselabor ALAB stellte bei einer Luftprobe fest, dass die freigesetzten Stoffe zwar nicht giftig seien. Man warnte aber dennoch vor den Folgen des Gestanks.

„Unangenehme Gerüche führen zu schlechter Stimmung, Aggressivität, Nervosität oder wecken den Fluchtinstinkt“, heißt es in der Analyse, die der „Welt“ vorliegt. Trotzdem passierte nach dem ersten Gutachten zunächst nichts.

Luftprobe mit offenen Türen und abgeschaltetem Motor

Aus Sicht von Busfahrer Schmidt hat die BVG die Angelegenheit „von Anfang an nicht ernst genommen und verzögert“. Trotz der Beschwerden habe der Aufsichtsrat im Sommer eine zweite Lieferung der VDL-Busse abgesegnet – wenn auch weniger bestellt wurden als ursprünglich geplant. Ein Mitglied des Aufsichtsrats „würde heute das Geschäft mit den VDL-Bussen am liebsten rückgängig machen“. Die Beschwerden der Fahrer seien von der BVG „nicht im notwendigen Maße ernst genommen worden“, gibt der Aufseher zu.

Neben dem Niederflurbus von VDL (rechts) will die BVG auch bald neue Doppeldeckerbusse bestellen. Vielleicht kommt dann das Modell vom Hersteller Scania auf die Berliner Straßen
Neben dem Niederflurbus von VDL (rechts) will die BVG auch bald neue Doppeldeckerbusse bestellen. Vielleicht kommt dann das Modell vom Hersteller Scania auf die Berliner Straßen
Quelle: picture alliance / dpa

Die Affäre um die stinkenden Busse wurde am 18. November 2015 erstmals öffentlich, als der Berliner Abgeordnete der Piraten-Partei, Gerwald Claus-Brunner, in dieser Sache eine kleine Anfrage an den Senat stellte. Der Politiker wollte wissen, ob eine Gesundheitsgefahr für die Fahrer bestehe.

Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) zitierte in seiner Antwort die BVG, die wiederum auf die ALAB-Untersuchung verwies. Diese habe ergeben, „dass alle Richtwerte der Arbeitsstättenverordnung eingehalten werden. Es ist nicht von einer Gesundheitsgefährdung auszugehen.“

Gaebler verschwieg jedoch, dass die Prüfung unter betriebsfernen Bedingungen vorgenommen worden war. In der ALAB-Analyse wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Luftprobe bei einem seit mehreren Stunden stehenden Bus mit offenen Türen und abgeschaltetem Motor stattgefunden habe. Daher könnten „die Untersuchungsergebnisse nicht im Hinblick auf die Anforderungen der Arbeitsstättenrichtlinie bewertet werden“, konstatiert das Analyselabor.

Betriebsärztin der BVG will sich nicht äußern

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Weil weiter nichts passierte, legten die Busfahrer Anfang Januar eine Beschwerdeliste aus. Darin haben sich mehr als 80 von ihnen eingetragen. Neben Symptomen wie Kopfschmerzen, brennenden Augen oder Hautreizungen ist auch von Müdigkeit und Konzentrationsschwäche die Rede.

Auch das BVG-Tochterunternehmen Berlin Transport, bei der ein Teil der Fahrer angestellt ist, erhöhte den Druck. Es wies seine Arbeitnehmer an, bei allen auftretenden Gesundheitsproblemen in den VDL-Bussen einen Betriebsarzt der BVG aufzusuchen. Hinzu kam ein Brief der BVG-Fahrer an die Leitende Betriebsärztin Manuela Huetten am 10. Januar. Darin ist von „erheblichen gesundheitlichen Problemen“ die Rede. „Wir machen uns große Sorgen um unsere Gesundheit“, schreiben die Fahrer. Huetten wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.

Trotzdem fand erst Ende Januar, vier Monate nach dem ersten Gutachten, eine weitergehende Untersuchung in den VDL-Bussen statt. Bei dieser zweiten Bestandsaufnahme, erklärt die BVG, stehe die Suche nach dem Ursprung des „leichten Geruchs“ im Mittelpunkt. Im ersten Gutachten sei bereits festgestellt worden, „dass die ausdünstenden Stoffe nicht toxisch sind“. Auf Nachfrage zu den Problemen in Berlin, verweist auch VDL auf das zweite Gutachten. Es soll kommende Woche vorliegen.

Für Waldemar Schmidt ist die Affäre eine „Schweinerei“. Viel zu lange habe die BVG die Fahrer hingehalten. Sie wollen nun „endlich erfahren, was bei den VDL-Bussen los ist“. Vorerst hofft jeder von ihnen, seine nächste Schicht nicht in einem der holländischen Busse fahren zu müssen.

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