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Die schwierige Jagd nach dem gefälschten Viagra

Zollbeamte fahren am 18.03.2016 im Hafen von Hamburg Kisten mit einem Kokainfund an Bord eines Einsatzbootes des Schiffes "Borkum" zu einer Präsentation des Rauschgiftfundes. Rund 115 Kilogramm Kokain - versteckt in Baumaschinen - hat der Zoll im Februar 2016 auf einem Schiff aus Brasilien entdeckt. Am Freitag wurde der Fund in Hamburg präsentiert. Foto: Christian Charisius/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Zollbeamte fahren am 18.03.2016 im Hafen von Hamburg Kisten mit einem Kokainfund an Bord eines Einsatzbootes des Schiffes "Borkum" zu einer Präsentation des Rauschgiftfundes. Rund 115 Kilogramm Kokain - versteckt in Baumaschinen - hat der Zoll im Februar 2016 auf einem Schiff aus Brasilien entdeckt. Am Freitag wurde der Fund in Hamburg präsentiert. Foto: Christian Charisius/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Zollbeamte im Hafen von Hamburg
Quelle: dpa
Der Zoll hat in Deutschland 2015 viermal mehr illegale Medikamente aus dem Verkehr gezogen als im Vorjahr. Ein Renner waren gefälschte Potenzpillen: Viagra, zusammengepanscht aus Straßendreck.

Der illegale Handel mit gefälschten Arzneimitteln boomt. Ob Potenzmittel, Schlankmacher oder Anabolika – gefragt ist alles, was attraktiv und sexuell leistungsfähig macht. „Macht schön, macht braun, macht viele Haare, macht muskulös und macht potent“, beschreibt Kirstin Smolka vom Zollkriminalamt Köln die Nachfrage. Doch viele Verbraucher erleben beim Bestellen von vermeintlichen Wunderpillen eine böse Überraschung. Wenn sie Glück haben, enthalten die angeblichen Wundermittel Straßendreck. Wenn sie Pech haben, lebensgefährliche Inhaltsstoffe.

Quelle: Infografik Die Welt

Nach der am Montag in Berlin vorgelegten Zollstatistik für 2015 zogen Fahnder im vergangenen Jahr weit mehr illegale und gefälschte Arzneimittel aus dem Verkehr als in den Vorjahren. 2015 seien 3,9 Millionen Stück Tabletten sichergestellt worden – annähernd viermal mehr als im Jahr 2014.

Während die Zahl der eingeleiteten Verfahren zurückgegangen sei, gebe es „sehr viel mehr Beschuldigte“. Die Zahl der Personen, gegen die der Zoll ermittelt habe, sei gegenüber 2014 von 3100 auf 4100 gestiegen. Der überwiegende Teil der Wirkstoffe und Fertigprodukte kommt aus China, vieles aber auch aus Indien und Thailand.

Nach den Erkenntnissen der Fahnder lassen ausgerechnet die deutschen Verbraucher bei Onlinebestellungen von Arzneimitteln jede Vorsicht missen. Bei der Risikofreudigkeit von Internetbestellungen liege Deutschland nach einer britischen Studie „erstaunlicherweise“ auf Platz eins. 38 Prozent der Deutschen seien bereit, risikobehaftete Produkte im Internet zu bestellen.

Geiz finden viele Deutschen gemäß eines bekannten Werbeslogans offenbar auch bei der Bestellung von Arzneimitteln geil. Nur können die Folgen in diesem Fall fatal sein. „Ich empfehle jedem, Medikamente online nur aus nachweislich seriösen Quellen zu kaufen“, warnte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei der Bekanntgabe der Jahresstatistik. Die vermeintliche Schnäppchenjägerei könne erhebliche gesundheitliche Folgen haben.

„Diese Apotheke wurde nur geschaffen, Sie zu belügen“

Aufgedeckt würden zunehmend größere kriminelle Strukturen und Verteilerbanden, so der CDU-Politiker. Besonders beliebt seien Lifestyleprodukte. Die Internetseiten illegaler Onlineapotheken seien professionell gestaltet, um Seriosität vorzutäuschen, sagen die Zollexperten. Die Täter verfügten über eine umfangreiche Logistik und ausgefeilte Handelssysteme. Die online bestellte Ware werde in kleineren Mengen nach Deutschland geschmuggelt.

Gefälschte Produkte kommen immer öfter aus Deutschland

Wieder wurde der Schmäh-Preis Plagiarius für die frechsten Fälschungen vergeben. Diese kommen nicht nur aus dem Ausland. Auch in Deutschland wird zunehmend gefälschte Ware produziert.

Quelle: Die Welt

Dass gerade die Deutschen so viele Bestellungen bei windigen Anbietern machten, sei umso unverständlicher, da gerade bei Arzneimitteln verschreibungspflichtige Medikamente überwiegend von den Krankenkassen bezahlt würden. Auch bei angeblichen Medikamenten auf Pflanzenbasis werde bei gefälschten Produkten Verbrauchern häufig etwas vorgegaukelt, hieß es. „Peinlichkeitsbestellungen“ etwa des Potenzmittels Viagra seien unnötig, da diese Produkte ganz legal bezogen werden könnten.

Oft werde bei Bestellungen nicht einmal das Impressum von Onlineapotheken gelesen, kritisieren die Zollexperten. Bei einer von Ermittlern für genehmigte Tests eingerichteten falschen Adresse einer Internetapotheke seien 1400 Bestellungen eingegangen. Und dies, obwohl im Impressum des Onlineangebots ausdrücklich auf Folgendes hingewiesen worden sei: „Diese Apotheke wurde nur geschaffen, Sie zu belügen und zu betrügen ...“

Mit Straßenfarbe gefärbte Pillen

Pharmazeut Harald Schweim von der Universität Bonn warnte, gefälschte Medikamente könnten durchaus lebensgefährlich sein. Die Produkte sähen ähnlich aus wie das jeweilige Original, würden aber „auf die billigste aller möglichen Arten“ produziert. So seien schon Pillen sichergestellt worden, die „mit Straßenfarbe“ gefärbt und mit „Fußbodenwachs aus dem nächsten Supermarkt“ überzogen worden seien.

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Das Geschäft sei lukrativ. Im illegalen Medikamentenhandel lockten vierstellige Gewinnmargen. Letztlich könne hier mehr Geld gemacht werden als im Handel mit Betäubungsmitteln und Drogen.

Bei der Rauschgiftkriminalität vermeldete der Zoll ebenso einen Anstieg. Nach 1,2 Tonnen im Jahr 2014 beschlagnahmte der Zoll im vergangenen Jahr rund 1,7 Tonnen Kokain. Insgesamt wurden 16,7 Tonnen Rauschgift gefunden, drei Tonnen mehr als 2014. Eine deutliche Zunahme registrierten die Zöllner auch beim Schmuggel geschützter Tiere und Pflanzen. Dagegen gab es bei der Marken- und Produktpiraterie keine nennenswerte Veränderung. Die Zahl der beschlagnahmten Schmuggelzigaretten halbierte sich annähernd.

Der Zoll ist auch dafür zuständig, die Einhaltung des seit 1. Januar 2015 geltenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde zu kontrollieren. Seitdem seien Verstöße im vierstelligen Bereich festgestellt worden, sagte der zuständige Abteilungsleiter, Julian Würtenberger. Während im ersten Halbjahr 2015 noch die Aufklärung über die neuen Vorschriften im Mittelpunkt gestanden habe, sei es ab der Jahresmitte verstärkt darum gegangen, Verstöße aufzudecken.

Der Zoll arbeite dabei „risikoorientiert“, lege also den Schwerpunkt auf besonders gefährdete Branchen, so Würtenberger. Es gehe um Wirtschaftszweige, die „besonders nah dran sind an prekären Löhnen“, etwa die Bauwirtschaft und die Gastronomie.

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