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Wissenschaft Psychoanalyse

Unangenehmes wird (un)bewusst verdrängt

Bereits 1914 schrieb Sigmund Freud über die Verdrängungslehre. Doch erst jetzt konnten ihre neurobiologischen Grundlagen empirisch bestätigt werden Bereits 1914 schrieb Sigmund Freud über die Verdrängungslehre. Doch erst jetzt konnten ihre neurobiologischen Grundlagen empirisch bestätigt werden
Bereits 1914 schrieb Sigmund Freud über die Verdrängungslehre. Doch erst jetzt konnten ihre neurobiologischen Grundlagen empirisch bestätigt werden
Quelle: picture alliance / AP Images
Obwohl Sigmund Freuds Prinzip der Verdrängung Basis vieler Psychotherapien ist, gab es über hundert Jahre lang keinen empirischen Nachweis dafür im Gehirn. Forschern ist das nun erstmals gelungen.

Im Jahr 1914, als die Theorie der Psychoanalyse – der Ursprung vieler moderner Psychotherapien – noch keine 30 Jahre alt war, verfasste Freud bereits eine „Schrift zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung“. „Die Verdrängungslehre“, schreibt er dort, „ist der Grundpfeiler, auf dem das Gebäude der Psychoanalyse ruht.“

Verdrängung: Das bedeutet ein Abschieben unangenehmer oder schmerzlicher Erfahrungen ins Unbewusste. Beziehungsweise, in der Sprache der Psychoanalyse: eine Verschiebung vom Ich, dem bewusst zugänglichen Teil des Selbst, zum Es, in dem die Triebe und der Sprache nur schwer zugängliche Informationen gespeichert sind.

Die Verdrängung ist ein ganz fundamentaler Abwehrmechanismus, der dem Menschen das seelische Überleben ermöglicht, denn sie hält bedrohliche oder tabuisierte Vorstellungen und Erfahrungen vom Bewusstsein fern.

Wenig Beweise und viel Streit

Obwohl das kompliziert klingt und der theoretische Unterbau es auch ist – der Begriff der Verdrängung hat sich inzwischen in der Sprache des Alltags fest etabliert. Nach wie vor ist er auch fester Bestandteil aller Psychotherapien, die mit dem Unbewussten arbeiten.

Das ist, in einer Wissenschaftswelt, die von empirischen Nachweisen lebt, ziemlich erstaunlich. Denn ob es die Verdrängung tatsächlich gibt und wie genau sie funktioniert, dazu gibt es auch mehr als 100 Jahre nach der Prägung des Konzeptes viel Streit und relativ wenig experimentelle Untersuchungen.

Verdrängung lässt sich leicht erkennen

Freud schrieb, dass es etwas verdrängt wurde, ließe sich recht einfach im Gespräch erkennen. Man „bekommt einen Widerstand zu spüren, welcher sich der analytischen Arbeit widersetzt und einen Erinnerungsausfall vorschiebt, um sie zu vereiteln“.

Konkret heißt das: Wird eine Frage nur zögerlich, langsam oder gar nicht beantwortet, gibt es einen inneren Widerstand. Kostet die Beantwortung der Frage zudem Kraft und ist von starken emotionalen Reaktionen begleitet, dann wurden Inhalte verdrängt.

Die Logik dahinter ist folgende: Wenn es Unlust bereitet, sich an etwas zu erinnern, dann wurde es einst verdrängt, um eben diese Unlust aus dem Bewusstsein fernzuhalten. Vergessen, so der damals revolutionäre Gedanke, kann also persönlich motiviert und interessengeleitet sein.

Schnelltest für Verdrängtes

Die ersten Untersuchungen dazu stammen von Carl Gustav Jung, der eine Zeitlang, bis 1914, den gleichen theoretischen Weg wie Freud beschritt. Jung entwarf um 1905 die sogenannten „diagnostischen Assoziationsstudien“ – eine Art Schnelltest, um an Verdrängtes heranzukommen.

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Dazu gab er seinen Probanden eine Liste von Wörtern, zu denen diese jeweils blitzschnell ein zweites Wort assoziieren sollten. Dabei maß er die Hautleitfähigkeit – ein Indikator dafür, wie gestresst die Probanden beim Assoziieren waren. Je mehr sie unter Stress standen, desto mehr schwitzten sie, und umso höher war ihre Hautleitfähigkeit.

Jung stellte fest, dass höherer Stress sich immer dann einstellte, wenn Assoziationen schwerer fielen, mehr Mühe kosteten, oder länger dauerten.

Die beiden US-amerikanischen Psychologen George Levinger und James Clark führten diesen Gedanken 1961 weiter. Sie unterteilten ihre Wortliste aber in neutrale Reizworte und emotional negative Reizworte, um Assoziationen zu provozieren, die unangenehme Erinnerungen oder Vorstellungen zum Thema hatten. Zusätzlich maßen sie auch die exakten Reaktionszeiten bis zur Assoziation.

Die Versuchsteilnehmer brauchten nicht nur länger, um auf negative Wörter zu assoziieren, sie erinnerten sich kurz darauf auch nur schwer an ihre eigenen Assoziationen, wenn das Reizwort negativ gewesen war. Das ist insofern ein erstaunlicher Befund, als das Gedächtnis emotional Wichtiges normalerweise weitaus besser speichert als Neutrales. Der naheliegende Schluss: Die negativen Assoziationen waren sofort verdrängt worden.

Gedächtnis unter Stress

Doch Kritiker bemängelten, dass die Forscher den Gedächtnistest nur einmal und direkt nach dem Versuch gemacht hatten. Denn Stress kann kurzfristig das Gedächtnis daran hindern, Inhalte richtig abzuspeichern – und muss also kein Zeichen von Verdrängung sein. Diese wäre nur dann gegeben, wenn auch einige Zeit später keine Erinnerung an die assoziierten Worte da wäre.

Es folgte eine Reihe von Experimenten mit dem gleichen Versuchsaufbau und zwei Gedächtnistests – einem kurz nach dem Assoziieren und einem weiteren Tage bis Wochen später. Einige Forscher, wie Alan Parkin und Kollegen, fanden dabei heraus, dass die Wörter im Langzeitgedächtnis tatsächlich besser verankert zu sein schienen – also wohl eher nicht verdrängt worden waren.

Andere Wissenschaftler wie Thomas Köhler vom psychologischen Institut der Universität Hamburg fanden dagegen heraus, dass nach vier Wochen das Gedächtnis für die assoziierten Worte nicht besser war als direkt im Anschluss an den Versuch.

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Auch wenn Köhler zusätzlich zeigen konnte, dass Assoziationen, die unter mehr Emotionalität produziert werden, leichter vergessen werden als andere – die Frage danach, ob die Verdrängung wirklich empirisch nachweisbar ist, war für viele Wissenschaftler weiterhin offen.

Bewusste Verdrängung

Bedeutende Schritte gelangen dann erst wieder nach der Jahrtausendwende: Die US-amerikanischen Psychologen Michael Anderson und Collin Green von der University of Oregon veröffentlichten 2001 im Journal „Nature“ eine Studie, die zeigte, dass Menschen bewusst bereits Gespeichertes verdrängen können.

Die beiden Forscher baten Studenten, Wortpaare auswendig zu lernen, die keinen besonderen Bezug zueinander hatten, etwa „Prüfung“ und „Kakerlake“ oder „Kiefer“ und „Gummi“. Das funktionierte. Anschließend forderten die Wissenschaftler die Probanden dazu auf, nur noch an den jeweils ersten Begriff zu denken – und das zweite Wort des Paares wieder zu vergessen.

Auch das funktionierte: Die Versuchspersonen konnten das zweite Wort sogar so effektiv verdrängen, dass sie es später auch nicht mehr hervorholen konnten, wenn die Forscher ihnen überraschend Geld dafür anboten.

„Die Existenz der Verdrängung wird seit mehr als einem Jahrhundert kontrovers diskutiert“, resümiert Anderson. „Unsere Befunde unterstützen einen Verdrängungsmechanismus, der unerwünschte Erinnerungen aus dem Bewusstsein verbannt, so wie von Freud postuliert.“ Marie Banich von der University of Colorado in Boulder konnte zudem in einer weiteren Untersuchung zeigen, dass es Probanden leichter fällt, sehr emotional aufgeladene Wörter zu vergessen als neutrale.

Aktivitäten im Gehirn

In einer weiteren 2004 in „Science“ veröffentlichten Studie legte Anderson seine Probanden bei gleichem Versuchsaufbau in einen funktionalen Magnetresonanztomografen und fand heraus, dass ein Hirnareal im präfrontalen Kortex, das motorische und geistige Prozesse hemmt, sehr aktiv wird, während das Gedächtniszentrum, der Hippocampus, seine Aktivität verringert. Das bewusste Verdängen schient also auch eine neurobiologische Basis zu haben.

Soweit, so gut. Allerdings wurde auch an Andersons Befunden schnell Kritik laut. Freuds Theorie, so etwa John Kihlstrom von der University of California in Berkeley im Fachmagazin „Trends in Cognitive Sciences“, befasse sich ausschließlich mit unbewusstem Verdrängen – Anderson aber untersuche ausschließlich bewusst und mit Anstrengung Vergessenes.

Diesen Mangel sah auch Nicolai Axmacher von der Universität in Bochum. Um zusätzlich sicherzugehen, dass die Probanden nur persönlich relevante Informationen verdrängen, ging er zurück auf Jungs Assoziationsidee. Er ließ seine Probanden allerdings drei Wörter auf ganze Sätze hin assoziieren, die bestimmte Probleme oder problematische Gefühle ansprachen, etwa Scham.

Auch Axmacher fand, dass die assoziierten Wörter schnell vergessen wurden. Auch er untersuchte den Prozess in einem Kernspintomografen. Wie Anderson sah er dabei ein verminderte Aktivierung des Hippocampus. Doch gleichzeitig wurde der sogenannte ACC aktiv, ein Hirnareal, das mit Konfliktverarbeitung in Zusammenhang steht – eher das, was auch Freuds Idee bei der Verdrängung war.

Zwei Arten von Verdrängung

Es scheint also beides zu geben: das unbewusste Verdrängen aufgrund innerer Konflikte, und das bewusste Verdrängen, das eher wie eine „Ich will daran nicht mehr denken“ Entscheidung anmutet.

So uneins sich die Wissenschaftler auch dabei sind, wie genau Verdrängung aussieht, unter welchen Bedingungen und für welche Inhalte das Phänomen auftritt – einig sind sie sich darin, dass die Verdrängung für den Menschen ein lebensnotwendiger – und damit in vielen Fällen äußerst sinnvoller – Abwehrmechanismus der Psyche ist.

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