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  4. Zehn Jahre nach Lehman Brothers: Es wird längst wieder gezockt

Meinung Angst vor neuer Finanzkrise

Wenn diese Schuldenblase platzt, wird der Schaden immens sein

Chefökonomin
Dieser Tag brachte das Weltfinanzsystem an den Abgrund

Am 15. September jährt sich die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers und damit der Auftakt zur Finanzkrise zum zehnten Mal. Holger Zschäpitz erklärt, was wir daraus gelernt haben – und was nicht.

Quelle: WELT / Dietmar Deffner

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In der Finanzbranche ist längst wieder ein großes Zocken im Gange. Dieses Mal geht es um weit größere Risiken. Jedoch sitzen die Hauptakteure keineswegs in der Privatwirtschaft – es sind vielmehr Zentralbanker und Politiker.

„Maßlose Gier, Zocker, Spekulanten“– die öffentliche Wut auf Banker und Broker kannte keine Grenzen, als vor zehn Jahren die Finanzkrise Deutschland erfasste. Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers ließ weltweit die Börsenkurse abstürzen. Weil sich überall Versicherungen, Banken und Pensionskassen mit vermeintlich hochrentablen, in Wirklichkeit aber toxischen Wertpapieren vollgesogen hatten, gerieten zahlreiche Institute in akute Notlagen.

Das gesamte Weltfinanzsystem drohte zu kollabieren. Hektische Notoperationen verhinderten damals zwar das Schlimmste. Doch trotz Bankenrettung, Konjunkturpaketen und Kurzarbeitergeld erlebte die hiesige Wirtschaft den stärksten Einbruch in der bundesdeutschen Geschichte.

Auch wenn viele Deutsche damals große Summen verloren haben, kam das Land schnell aus der Krise. Die Bürger erlebten, dass ein Wirtschaftscrash ein schmerzhafter Selbstreinigungsprozess, aber kein Weltuntergang ist. Heute gibt es hierzulande mehr Arbeitsplätze als je zuvor, die öffentlichen Kassen melden hohe Überschüsse, Löhne und Renten steigen.

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Die hervorragenden Daten überdecken allerdings, dass längst wieder ein großes Zocken im Gange ist. Dieses Mal geht es um weit größere Risiken. Jedoch sitzen die Hauptakteure keineswegs in der Privatwirtschaft. Es sind vielmehr Zentralbanker und Politiker, die ein gigantisches Schuldenrad drehen.

Die einen haben den Zins abgeschafft. Und die anderen nutzen die Illusion des billigen Geldes, um immer neue Sozialversprechen zulasten künftiger Generationen abzugeben. Und wie vor der Finanzkrise niemand auf warnende Stimmen hören wollte, so gilt auch dieses Mal, dass alle Beteiligten hoffen, dass die Party nie zu Ende geht. Zumindest nicht während ihrer Amtszeit.

Gerade in Deutschland glauben heutzutage viele Menschen, dass der Marktwirtschaft etwas Böses anhafte, während der Staat für das Gute stehe. Es war Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im dramatischen Herbst 2008 die „finanziellen Exzesse“ mancher Banker und Manager beklagt hatte und den Bürgern erklärte: „Der Staat ist Hüter der Ordnung.“ Doch wie sieht denn die Ordnung aus, für die der Staat laut Merkel sorgt?

Die Wurzel der Weltfinanzkrise lag bekanntlich in der Geschäftspraxis der Banken, im großen Stil nicht kreditwürdigen Personen Hauskredite zu gewähren: im Fachjargon waren das „Subprime credits“. Hinzu kam die Niedrigzinspolitik der amerikanischen Notenbank, die den Immobilienboom noch gewaltig anheizte. Bis 2007 die Spekulationsblase schließlich platzte.

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Blickt man sich heute in der EU um, so erkennt man erschreckende Parallelen. So betreibt die Europäische Zentralbank (EZB) seit Jahren eine ultralockere Geldpolitik. Den Zins hat EZB-Chef Mario Draghi auf null gedrückt. Überdies startete der Italiener ein gewaltiges Anleihenkaufprogramm, mit dem die Zentralbank nicht nur Staaten, sondern auch marode Banken und Unternehmen mit billigen Geld versorgt.

Auch die EZB hält somit einen wachsenden Bestand an „Subprime Risiken“. Zwei Billionen Euro hat die EZB über ihr Anleiheprogramm in den Markt gepumpt. Das Euro-Schuldenproblem soll mit immer neuen Schulden gelöst werden. Wie der Ausstieg aus dieser hoch riskanten Geldstrategie aussehen könnte, weiß derzeit niemand.

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Klar ist nur, dass Länder wie Italien, Frankreich oder Portugal die von der EZB verschaffte Zeit nicht genutzt haben, um ihre massiven Strukturprobleme in den Griff zu bekommen und wieder wettbewerbsfähig zu werden. Griechenland steht trotz der riesigen Rettungspakete auf schwachen Füßen. Und mit Italien droht nun ein viel größeres Land in die Todeszone zu geraten.

Die Folgen der EZB-Geldschwemme

Die Geldschwemme sorgt aber auch im Norden für bedrohliche Verwerfungen an den Märkten. In Deutschland treibt das billige Geld die Immobilienpreise – und im Nachgang damit auch die Mietpreise – im rasanten Tempo in die Höhen, und mancher Experte sieht darin längst eine gefährliche Blase, von den sozialen Folgen ganz zu schweigen. In jedem Fall ist dies ein großes Fest für Immobilienspekulanten.

Konservative Sparer erleben dagegen eine schleichende Enteignung, weil das Geld, das sie für das Alter oder die Ausbildung ihrer Kinder auf die hohe Kante legen, täglich an Wert verliert. Und mit den Sparkassen und Versicherungen geraten in Folge der Nullzinspolitik jetzt ausgerechnet diejenigen Bereiche der Finanzindustrie in die Bredouille, die noch nie gezockt haben und deshalb selbst nach der Lehman-Pleite solide dastanden.

Der hiesigen Bundesregierung kommt die Nullzins-Politik indes sehr gelegen. Denn der Schuldendienst ist heutzutage so viel günstiger als vor der Finanzkrise. Die schwarze Null, die der Bund in diesem Jahr zum fünften Mal erreicht, ist somit vor allem den eingesparten Zinsausgaben zu verdanken.

Überdies heizt das billige Geld die Konjunktur an, was wiederum die Staatseinnahmen auf immer neue Rekorde treibt. Man könnte diese wirtschaftlich gute Zeit nutzen, um sich für die schwierigen Jahre und Jahrzehnte besser zu rüsten. Denn die Alterung der Gesellschaft wird Deutschland vor enorme Herausforderungen stellen.

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Die große Koalition aber macht genau das Gegenteil. Die Sozialausgaben wachsen trotz sinkender Arbeitslosigkeit seit Jahren stärker als die Gesamtwirtschaft. Schon heute ist laut der Generationenbilanz, die von der Stiftung Marktwirtschaft alljährlich präsentiert wird, die in den Sozialsystemen versteckte Staatsverschuldung doppelt so groß wie die offiziell ausgewiesene.

Eine erdrückende Belastung für die Jungen, die für ihre Elterngeneration so viel mehr zahlen sollen, als dies die heute 60-Jährigen für ihre Eltern tun mussten. Finanzminister Olaf Scholz verweist auf die aktuell prall gefüllten öffentlichen Kassen und will der Bevölkerung weismachen, dass die konjunkturellen Sonderkonditionen mit Nullzins und wachsender Erwerbstätigenzahl auf ewig fortdauerten. Und auf dieser Illusion baut der SPD-Politiker immer kostspieligere Rentenversprechen auf.

Als vor einem Jahrzehnt die Seifenblase geplatzt war, waren die Bürger fassungslos über die Bankgeschäfte, die jedem gesunden Menschenverstand widersprachen. Früher oder später wird die Bevölkerung wieder bass erstaunt sein, dass nach der großen Finanzkrise Politiker und Zentralbanker mit nicht minder obskuren Praktiken eine ganze Zeit lang durchkamen. Wenn diese Blase platzt, wird der Schaden immens sein.

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Scholz: „Werden an solider Haushaltspolitik festhalten“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz sieht Deutschland mit den Haushaltsplänen für das kommende Jahr gut aufgestellt. Zugleich mahnt er mit Blick auf die Erfahrungen der vor zehn Jahren begonnenen Finanzkrise zu solider Haushaltsführung.

Quelle: Reuters

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