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Homeoffice? Die Deutschen wollen lieber ins Büro

Wirtschaftsredakteur
Homeoffice am Küchentisch: für eine Mehrheit ist das keine Dauerlösung Homeoffice am Küchentisch: für eine Mehrheit ist das keine Dauerlösung
Homeoffice am Küchentisch: Für eine Mehrheit ist das keine Dauerlösung
Quelle: Getty Images/Westend61
Deutsche Arbeitnehmer verbrachten 2020 mehr Zeit im Büro als Beschäftigte in anderen Ländern, zeigt ein internationaler Vergleich. Das lag nicht immer an den Arbeitgebern: Viele vermissten die Kollegen. Hinzu kommt ein verbreitetes Hindernis, Experten sprechen von „Tortur“.

Das Homeoffice ist für viele Bürger in den vergangenen Monaten zum Alltag geworden. Doch so ganz können sich die Deutschen offenbar nicht damit anfreunden. Einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom zufolge will eine überwiegende Mehrheit wieder im Büro arbeiten, sobald das wieder möglich sein sollte. 85 Prozent der Befragten wünschen sich wieder einen festen Büroarbeitsplatz. Unter den älteren Befragten ist der Anteil sogar noch höher.

Die Deutschen fremdeln offenbar mit der Heimarbeit. Dazu passt eine weitere Untersuchung von Locatee, einem Unternehmen, das Firmen in puncto Arbeitsplatzanalyse berät. Demzufolge war die Bereitschaft, zu Hause zu arbeiten, im vergangenen Jahr nicht besonders stark ausgeprägt, jedenfalls im internationalen Vergleich.

Andere Länder hatten strikte Homeoffice-Pflicht

So seien Büros in Deutschland 2020 zu mehr als 30 Prozent ausgelastet gewesen. In Großbritannien oder den USA hingegen sei die Anwesenheitsquote am Büroarbeitsplatz nie über zehn Prozent gestiegen. Die detaillierten Ergebnisse der Untersuchung liegen WELT vor. Locatee untersuchte anonymisierte Daten aus einer Stichprobe von Arbeitsplätzen in 24 Städten und 15 Ländern.

Fazit: „In den Daten sehen wir große Unterschiede in der Büronutzung, die direkt mit der jeweiligen politischen Verordnung in Reaktion auf die Pandemie zusammenhängen. Singapur und das Vereinigte Königreich setzen eine strenge Homeoffice-Pflicht durch, während Südkorea auf weitreichende Tests vertraut und deshalb starke Schwankungen innerhalb der Auslastungen verzeichnet.“

Auch in Deutschland und in der Schweiz gab es keine harte Verpflichtung, und so hätten viele Büroarbeiter im Sommer 2020 mit den steigenden Temperaturen versucht, eine Rückkehr zur Normalität einzuschlagen. „Viele Unternehmen, aber auch Angestellte, haben nicht die Notwendigkeit gesehen, im Sommer und den darauffolgenden Lockdowns von zu Hause zu arbeiten“, sagt Michael Grotherr, zuständig für Zentral- und Osteuropa beim Personalberatungsunternehmen Cornerstone OnDemand. Andere EU-Staaten seien deutlich rigider vorgegangen als Deutschland, „was die Maßnahmen anging – auch weil sie es angesichts der verheerenden Lage sein mussten“.

Quelle: Infografik WELT

Zudem seien die Deutschen nicht gerade als Homeoffice- und New-Work-Pioniere bekannt. „Sicherlich gibt es auch bei uns Unternehmen, bei denen flexible Arbeitszeiten und Homeoffice schon seit Jahren möglich sind. Aber der Großteil wollte sich vor der Corona-Krise nicht auf Remote-Lösungen einlassen“, so Grotherr weiter.

Dies habe im Ernstfall zur Folge gehabt, dass in den Heimbüros der Mitarbeiter kein ordentlicher Arbeitsplatz eingerichtet gewesen sei. „Für viele war die Arbeit im Frühjahr 2020 daher wirklich eine Tortur.“

Manche Arbeitgeber verweigerten die Erlaubnis

Aber Quoten von mehr als 90 Prozent im Homeoffice – wie in Großbritannien – wären in Deutschland sowieso nicht vorstellbar gewesen. In einer Studie von Locatee und YouGov gaben Ende Januar 27 Prozent der Befragten an, dass Homeoffice für sie nicht möglich war. Neun Prozent sagten, dass es zwar grundsätzlich möglich gewesen, aber nicht vom Arbeitgeber gestattet worden sei.

Zusätzlich gibt es ein deutliches West-Ost-Gefälle. Im Westen der Republik durften 40 Prozent der Befragten das Homeoffice ohne Einschränkungen nutzen. In Ostdeutschland waren es nur 31 Prozent.

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„Doch auch wenn in Ostdeutschland die Möglichkeit auf Homeoffice bestand, hat sich jeder Dritte für die Arbeit aus dem Büro entschieden“, sagt Locatee-Gründer und Vorstand Thomas Kessler. Im Westen seien nur 25 Prozent aller, die im Homeoffice bleiben durften, trotzdem ins Büro gefahren.

Auch wenn es um die zukünftige Büronutzung geht, unterscheiden sich die Meinungen zwischen Ost und West: Auf die Frage, ob das klassische Büro bald wieder so wie in früheren Jahren genutzt werden würde, stimmten in Ostdeutschland 37 Prozent zu, im Westen nur 28 Prozent.

„Laut unserer Umfrage gehen circa 30 Prozent aller Befragten davon aus, dass Arbeitgeber und Büros zum Normalstatus vor der Pandemie zurückkehren werden“, so Kessler. „Das wird natürlich mit der Bereitschaft, der Unternehmensführung und den Erfahrungen innerhalb der Unternehmen zusammenhängen.“

Sicherheit spielt eine Rolle

Große Unterschiede beobachtet Kessler auch zwischen verschiedenen Branchen. Da würden vor allem die Themen Sicherheit und Privatsphäre für teils gravierende Unterschiede sorgen. Öffentliche Verwaltungen, Finanzberater, Rechtsanwaltskanzleien oder Versicherungen täten sich mit einer Umsetzung von Homeoffice deutlich schwerer als zum Beispiel Start-ups.

Dass sich an der ablehnenden Haltung zum Homeoffice etwas ändert, hält Kessler für unwahrscheinlich: „Unternehmen reagieren derzeit eher gezwungen als gewollt auf die Realität des Homeoffice. In erster Linie wird es veranlasst, um auf die gesundheitlichen und hygienischen Bedenken von Mitarbeitern zu reagieren.“ Aber nur 55 Prozent der Unternehmen würden sich laut Umfrage ernsthaft um die Sicherheit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kümmern und entsprechende Regeln durchsetzen.

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„Viele Studien besagen, dass die Produktivität im Homeoffice nicht schlechter abschneidet als im Büro“, sagt dagegen Grotherr. Wenn sich das auch langfristig bewahrheite, würden auch Arbeitgeber am Modell Gefallen finden. „Auch weil sie gewisse Kosten auf die Arbeitnehmer abwälzen können.“ Für pendelnde Mitarbeiter könne es natürlich attraktiv sein, sich zwei Fahrten zu sparen. Im Homeoffice sei es außerdem leichter, das Familien-Management zu bewerkstelligen.

Quelle: Infografik WELT

Grotherr: „Für die Work-Life-Balance bestehen also klare Vorteile. Auf der anderen Seite vermissen viele Arbeitnehmer die Interaktion mit den Kollegen.“ Die Nachfrage nach Büroflächen werde sich nicht schlagartig ändern, wenn ein Teil der Unternehmen mit dem Homeoffice weitermacht, sagt Kessler. Schon vor der Pandemie habe die durchschnittliche Büroauslastung nur bei 60 bis 70 Prozent gelegen.

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Kessler und sein Co-Gründer Benedikt Köppel haben für eine Schweizer Großbank in einem modernen Bürogebäude ohne festen Arbeitsplatz gearbeitet. Da hätten sie erkannt, dass „die Analyse vorhandener Datenquellen wertvollere und genauere Informationen über die Flächennutzung liefert“. Diese Erkenntnis führte zur Gründung ihres Unternehmens.

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Eine Büroauslastung von nur 60 Prozent mache die übrigen 40 Prozent nicht überflüssig, aber sie zeige deutlich, dass die Büroflächen nicht ideal genutzt werden. „Die Möglichkeit, die genutzten Ressourcen zu reduzieren, wird durch Homeoffice erhöht und hängt davon ab, inwieweit diese Flexibilität von den Mitarbeitern zugelassen und in Anspruch genommen wird“, so Kessler.

Das werde sich zwar „nicht sofort in einem Leerstand von Gebäuden niederschlagen, da die Mietverträge noch laufen“. Doch Vermieter sollten sich umstellen. Sie müssten ihre Portfolios überprüfen, um zu vermeiden, dass sie später leer stehende Büroflächen haben.

„Nicht jeder Arbeitnehmer ist begeistert“

„Ich bin überzeugt, dass viele Unternehmen in den nächsten Jahren individuelle Hybridmodelle nutzen werden. Nicht jeder Arbeitnehmer ist schließlich per se begeistert vom Homeoffice“, sagt HR-Experte Grotherr.

Viele würden Kollegen und den täglichen Austausch vermissen. Und der informelle und soziale Teil des gemeinsamen Arbeitens an einem Raum werde derzeit unterschätzt.„Ich glaube daher, dass Unternehmen zwar Homeoffice als Option bieten werden, das klassische Büro aber längst nicht tot ist.“

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln fragte 1300 Unternehmen in Deutschland nach ihren konkreten Plänen für mobiles Arbeiten und Büroflächenabbau im Jahr 2021. Das Ergebnis: Ein Drittel möchte mehr mobiles Arbeiten zulassen, aber nur „6,4 Prozent der Unternehmen wollen Büroflächen abbauen“, sagt IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer.

„Das klingt wenig, aber ich denke, die Firmen müssen sich erst noch sortieren. Bei vielen Unternehmen geht es erst einmal darum, die neuen Abstandsregeln einzuhalten. Außerdem werden erst noch Bedarfe abgefragt und geplant. Ich denke schon, dass in den nächsten Jahren noch mehr Unternehmen den Anteil mobilen Arbeitens ausweiten.“ Und vielleicht freunden sich die Deutschen dann doch noch mit ihrem Heimarbeitsplatz an.

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