Immerhin 24.000 Euro. Zwar kein Vermögen, aber doch viel Geld hat das Armeemuseum Brüssel 2012 für einen Uniformrock bezahlt, der einem prominenten Kriegsverbrecher aus Hitlers engster Umgebung gehört haben soll: dem SS-Gruppenführer Hermann Fegelein. Es ist schon äußerst zweifelhaft, ob man so viel Geld (2012 deutlich mehr als ein durchschnittliches Jahreseinkommen in Belgien) für so einen Plunder bezahlen sollte. Doch im Frühjahr 2021 stellte sich heraus: Mit größter Wahrscheinlichkeit ist die Zuschreibung zu Fegelein ein Fake.
Das berichtet die belgische Tageszeitung „De Morgen“. Zwar findet sich im Kragen das Etikett eines Schneiders, der Firma Petersen & Co. aus der Gabelsbergerstraße 1 in Münchens Innenstadt. Darauf steht mit Hand geschrieben der Name „Hermann Fegelein“, die Nummer „9885“ und die Monatsbezeichnung „VI 1944“. Doch gerade dieser vermeintliche Beleg dürfte die Fälscher überführen.
Wer war Hermann Fegelein? Geboren 1906 in Ansbach, scheiterte der begeisterte Reiter nacheinander erst mit dem Berufsziel Kavallerieoffizier bei der Reichswehr und dann als Offiziersanwärter bei der gleichfalls militärisch organisierten bayerischen Landespolizei. Auf der Suche nach Aufstiegsmöglichkeiten wandte sich Fegelein dem Nationalsozialismus zu, trat 1931 der SS sowie im folgenden Jahr der NSDAP bei und machte ab 1933 eine steile Karriere.
Das Reitergut seiner Eltern wurde „SS-Hauptreitschule“ und Hermann Fegelein ihr Kommandeur, verantwortlich allein SS-Chef Heinrich Himmler. Eine Beförderung folgte der nächsten: Mit 29 Jahren wurde er Anfang 1936 SS-Sturmbannführer, also vergleichbar einem Major der Wehrmacht, ein Jahr später Obersturmbannführer (Oberstleutnant) und nicht einmal sechs Monate darauf schon Standartenführer (Oberst).
Im Feldzug gegen Polen hatte Fegelein im September 1939 mit der SS-Reiterstaffel seinen einzigen echten Fronteinsatz; er wurde angeschossen. Danach bildete er auf Himmlers direkten Befehl eine SS-Reiterstandarte, die vor allem Partisanen bekämpfen sollte, in Wirklichkeit aber Massenmorde an der Zivilbevölkerung beging.
Laut Fegeleins eigenem Bericht tötete sein Verband bei zwei eigenen Toten und 14 Verwundeten mindestens 13.788 vermeintliche Partisanen. Laut Martin Cüppers, Experte für NS-Verbrechen, befahl Fegelein den Schwadronen des 2. SS-Reiterregiments: „Sämtliche Juden müssen erschossen werden. Judenweiber in die Sümpfe treiben.“
Insgesamt war Fegelein für den Mord an mindestens 40.000 Menschen verantwortlich – und bekam dafür 1942 das Ritterkreuz. Von Scharfschützen verwundet, wurde er weiter befördert, nämlich zum SS-Brigadeführer. Mit 37 Jahren war er nun so etwas wie ein General.
Die Historikerin Heike B. Görtemaker beschreibt Hermann Fegelein als „Draufgänger und notorischen Frauenhelden“, zugleich aber als einen der „brutalsten SS-Schergen Himmlers, dessen Protegé er war“. Die Befehle des Reichsführers SS seien ihm „heilig“, schrieb Fegelein im Oktober 1943 an Himmler, kurz bevor er dessen Verbindungsoffizier im Führerhauptquartier wurde.
Nun Teil von Hitlers „Hofstaat“, seiner „Ersatzfamilie“ (Görtemaker) bandelte Fegelein mit Margarete („Gretl“) Braun an, der jüngeren Schwester von Hitlers rätselhafter Gefährtin Eva Braun. Schon am 3. Juni 1944 heirateten die beiden – und Hitler richtete auf dem Berghof die Feier aus.
Die Ehe war kurz: Ende April 1945 gehörte Fegelein als Verbindungsoffizier zur Entourage Hitlers im Berliner Führerbunker. Doch er entfernte sich unerlaubt, wurde – angeblich im Bett mit einer Geliebten und viel Geld – festgenommen und zurückgebracht. Hitler ließ ihn exekutieren, obwohl Fegelein nach der Heirat des „Führers“ mit Evan Braun in der Nacht zum 29. April 1945 formal sein Schwager war.
Die Uniform, die vom belgischen Militärmuseum gekauft wurde, wurde vom fragwürdige Münchner Militaria-Auktionshaus Hermann Historica angeboten. Es handelt sich um die Jacke eines SS-Gruppenführers – diesen Rang erhielt Fegelein nach der Hochzeit mit „Gretl“ (auf dem Foto mit Hitler nach der Trauung ist sein Rang noch SS-Brigadeführer).
Die Story, die 2012 mit diesem Angebot verbunden war, lautete: Fegelein habe nach seiner Beförderung Anfang Juni 1944 diesen Uniformrock in Auftrag gegeben – deshalb offenbar die Monatsangabe „VI 1944“.
Zweifel an dieser Story gab es schon 2012: Sie passte einfach „zu gut“. Immer wieder hat das Auktionshaus Hermann Historica, das auf einen gerichtsbekannten Hochstapler namens Erich Hübner zurückgeht, ähnliche angebliche NS-Devotionalien angeboten und für oft hohe Summen verkauft. Zuletzt unter anderem einen Hitler zugeschriebenen Zylinder und eine Herrenunterhose aus Seide, die Hermann Göring getragen haben soll, außerdem zahlreiche vermeintliche „Hitler“-Gemälde, von denen wahrscheinlich kein einziges echt ist.
Hübner trat nach dem Zweiten Weltkrieg als „Graf Klenau von Klenova, Baron von Janowitz“ auf; der letzte nachweislich echte Träger dieses Namens allerdings, Karl von Klenau, Baron von Janowitz, war schon am 12. August 1846 ohne männliche Erben gestorben, womit die Adelslinie erloschen sein dürfte. Bei so einer Firmengeschichte sollte größte Skepsis gegenüber allen Angeboten geboten sein.
Im Falle der angeblichen Fegelein-Uniform ist der Betrug jetzt sogar nachweisbar. Denn ein Nachfahre der Inhaber von Petersen & Co hat noch die Geschäftsbücher der Firma. Ihnen zufolge wurde unter der Kundenummer 9885 im Dezember 1946 ein Zivilanzug (und keine Uniform) angefertigt – anderthalb Jahre nach Fegeleins Erschießung am 29. April 1945. Ein angesehener Herrenschneider vergibt dieselbe Nummer nicht zweimal an verschiedene Kunden, und ohnehin wurden als letzte Kundennummern im Zweiten Weltkrieg im Frühjahr 1945 Zahlen um 9500 vergeben. Auch hatte Fegelein keinen Eintrag im Kundenregister von Petersen & Co.
„Es ist völliger Wahnsinn, einen ,historischen‘ Gegenstand zu kaufen, der keine nachvollziehbare Provenienz hat“, sagt der NS-Fälschungsexperte Bart FM Droog: „Um so mehr, wenn Mitarbeiter eines staatlichen Museums das bei einer Firma wie Hermann Historica tun.“
Wie meistens wird auch in diesem Fall nicht nachweisbar sein, wer genau die angebliche Fegelein-Uniform gefälscht hat. Vermutlich wurde das echte Etikett herausgetrennt und durch ein in alter Technik neu beschriftetes Blanko-Originaletikett ersetzt. Bei Kritik argumentieren Anbieter meist, die Angaben der – oft im Ausland, z. B. in Russland – ansässigen „Einlieferer“ nicht überprüfen zu können.
Allerdings könnte der Markt für derartige, fast immer gefälschte Nazi-Devotionalien relativ leicht ausgetrocknet werden: Einerseits durch Aufklärung potenzieller Käufer, dass sie nahezu immer betrogen werden; andererseits indem durchgesetzt wird, dass Anbieter haften müssen für Angaben, die sie in ihren Katalogen machen, und sich nicht mit vagen Formulierungen herausreden können.
Doch bisher stellen Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren gegen Firmen wie Hermann Historica oder das ähnlich agierende Auktionshaus Weidler in Nürnberg regelmäßig ein. Solange daher bei geringem Risiko hohe Gewinne möglich scheinen, wird das Geschäft mit dem Nazi-Schund also weitergehen.
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