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ICONIST Der „Chantal-Style“

Der Ausschnitt zu tief, die Hotpants zu kurz

Chantal aus „Fack ju Göhte II“ ist Deutschlands beliebteste Leinwandheldin. Ihr Style: Irgendwie prollig – und erstaunlich kompliziert. Kostümbildnerin Regina Tiedeken erklärt, wie sie ihn entwickelt hat.

Chantal reimt sich auf überall: Wer sich auch nur ein bisschen für Jugendkultur interessiert, kommt gerade an der Schülerin aus „Fack ju Göhte II“ nicht vorbei. Über vier Millionen Zuschauer haben seit dem Kinostart den zweiten Teil der Schülerklamotte gesehen. Und vielleicht ist manchen aufgefallen, dass die Zehntklässlerin noch aufregender angezogen ist als in Teil I. Das liegt natürlich an deren Stylistin, äh, Kostümbildnerin Regina Tiedeken. Die 42-Jährige ist eine studierte Designerin, lebt in Berlin und betreibt mit ihrem Mann Thomas Keller das Label „Tiedeken“. Und erklärt hier nun, wie sie die Schauspielerin Jella Haase in eine Proll-Prinzessin verwandelte.

Chantals Film-Style zu entwickeln war gar nicht so einfach, erzählt Kostümbildnerin Regina Tiedeken
Chantals Film-Style zu entwickeln war gar nicht so einfach, erzählt Kostümbildnerin Regina Tiedeken
Quelle: Regina Tiedeken

ICON: Beschreiben Sie doch bitte mal den Chantal-Style für uns.

Regina Tiedeken: Neonpink ist auf jeden Fall ihre Lieblingsfarbe. Und sie ist immer ein bisschen drüber: Die Hotpants zu kurz, der Ausschnitt zu tief, die Brüste gepusht. Leggins sind ihr Ding, sie mag es eigentlich gemütlich. Aber sie will auch geil aussehen, und die Mode ist dann manchmal nicht bequem, wie etwa die hohen schwarz-weißen Adidas-Wedges von Jeremy Scott, die sie trägt. Ein wichtiges Stilelement ist natürlich außerdem ihre Chantal-Namenskette, die wir extra für sie anfertigen ließen. Kann man online bestellen, dauert drei Wochen.

ICON: Klingt wie ein Look, der im Nu fertig ist.

Tiedeken: Haben wir auch gedacht, als wir das Drehbuch gelesen haben. Aber wir haben vor „Fack ju I“ fünf, sechs Anproben gebraucht, das heißt fünf, sechs Tage à bis zu fünf Stunden, um überhaupt ihren Stil zu finden. Nur das zu tiefe Dekolleté war von Anfang an klar.

ICON: Was war denn so schwer?

Tiedeken: Die erste Anprobe war frustrierend, alles was wir total prollig - also eigentlich gut - fanden, sah irgendwie langweilig aus. Dann haben wir sie in High-Fashion-Teile gesteckt und plötzlich war sie so eine Stylobraut. Ich hab Bora (dem Regisseur Bora Dagtekin, Anm. d. Red) die Fotos davon geschickt mit der Bemerkung: „Sorry, da war jetzt echt nichts dabei.“ Im Gespräch fanden wir dann aber heraus, dass man den Stylo-Look nur mit ein paar prolligen Accessoires brechen muss, wie diese riesigen Kreolen-Ohrringe und der blaue Lidschatten, den die Maskenbildnerin Nadine Scherer beisteuerte. Und fertig ist Chantal.

„Fack ju Göhte 2“ kommt in die Kinos

Über sieben Millionen Zuschauer haben ihn gesehen, den Film über einen Bankräuber, der aufgrund eines Missverständnisses Aushilfslehrer wird. Und nun gibt es eine Fortsetzung.

Quelle: N24

ICON: Welches Magazin liest man, um sich für den Chantal-Style zu inspirieren?

Tiedeken: „Bravo“ und „InStyle“ zum Beispiel, all diese Heftchen, die Kids lesen. Und da sieht man deren Vorbilder: Rita Ora, Miley Cyrus, Cara Delevingne, Rihanna. Und die tragen natürlich Highend-Mode von Moschino über Just Cavalli, Gucci und Louis Vuitton, was die Kids dann kopieren. Chantal ist auch so eine. Sie hat natürlich kein Geld, um sich Jeremy-Scott-Latschen zu kaufen. Aber wir wollten ihr Streetcredibility geben und sie gleichzeitig stilmäßig überhöhen. Im Film trägt sie deshalb trotzdem das eine oder andere teure Teil.

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ICON: Was denn zum Beispiel?

Tiedeken: In einer Bootsszene zieht sie sich irgendwann ein weißes T-Shirt über, auf dem zwei knutschende Girls zu sehen sind. Das ist von Moschino. Wir haben aber wirklich überall nach Kleidung für sie gesucht, auch in Secondhandläden und in Kaufhäusern. Bei P&C haben wir dieses Basecap gefunden, auf dem groß „Rich“ steht und klein „as fuck“.

ICON: Hat sich Chantal von Teil I zu Teil II verändert?

Tiedeken: „Fack ju 1“ war geil. Und wir wollten, dass „Fack ju 2“ noch geiler wird. Chantal sieht deshalb noch mehr nach Chantal aus, ihr Look ist noch extremer. Bora hatte die Vision, dass seine Helden auch zu Plakathelden werden, die sich die Kids sich an die Wand hängen.

ICON: Im Film wird ja dauernd Pimkie erwähnt. Was genau von dem Label trägt sie denn?

Tiedeken: Lustigerweise nichts. Pimkie ist einfach nicht mehr das, was es mal vor zehn Jahren war. Das sieht sieht jetzt aus wie Mango und der Rest. Ist also für Chantal nicht prollig oder krass genug.

ICON: Chantal und Ihre Schüler beweisen sehr viel Mut zur Farbe. Warum ist „Fack ju Göhte“ so bunt?

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Tiedeken: Bora mag das Wort bunt nicht besonders, aber es stimmt. Unsere Schüler sehen ganz anders aus als normale Schulklassen. Das sind oft Massen aus Grau-Weiß-Blau. Dass da jemand mal Farbe trägt, kommt selten vor. Unsere Schüler aber sollen spannender aussehen, sie sind sozusagen die Creme der Realität.

ICON: Wie unterscheiden sich die anderen Protagonisten von Chantal?

Tiedeken: Sie ist natürlich die einzige, die Pink trägt. Ihre Freundin Zeynep steht eher auf Schwarz und Gold. Lehrer Zeki Müller wiederum darf als Ex-Knasti nicht so aussehen, als wäre er gerade shoppen gewesen. Jeder hat seinen eigenen Charakter. Wenn man den Film einfach so wegsieht, kann es einem vorkommen, als hätten die einfach alle ein paar T-Shirts an und ein paar Höschen. Aber insgesamt hatten wir 400 Outfits für die Schauspieler, „Fack ju Göhte“ ist eigentlich ein Kostümfilm.

ICON: Welches Outfit hat Ihnen den besonders Spaß gemacht?

Tiedeken: Mein Mann und ich haben auch Sachen für sie speziell angefertigt. Zu meinen Lieblingsteilen gehören die Friend-Shirts, die Zeynep und Chantal tragen und die jeweils ein halbes Gesicht einer Comic-Blondine zeigen. Bora hatte uns gebeten, so etwas in der Art zu entwerfen, nachdem er ein Spongebop-Shirt von Moschino gesehen hat.

In „Fack ju Göhte 2“ geht es nach Thailand

Habe nun, ach: In „Fack ju Göhte 2“ fährt Zeki Müller mit seinen Problemschülern auf Klassenfahrt, und zwar nach Thailand. Kinostart am 10. September

Quelle: Constantin Film

ICON: Wie viel redet denn der Regisseur bei den Kleidern mit?

Tiedeken: Viel. Ich arbeite ich ja so gerne mit Bora zusammen, weil ihm da so wahnsinnig wichtig ist. Er sagt, er habe keine Ahnung. Aber wenn ich ihm von einer Anprobe 30 Bilder schicke, kommentiert er jedes einzelne bis zum Schnürsenkel. Ein Teil, das zum Schluss entstanden ist, zeugt von dem Wahnsinn, den Bora treibt. Normalerweise stattest du einen Film aus, irgendwann hast du alles zusammen und dann wird gedreht.

Bei Bora kommen bis zum letzten Tag neue Szenen, neue Ideen dazu. Wir waren gerade vom Sieben-Wochen-Dreh in Thailand zurück und das Material reichte ihm noch immer nicht. Und so drehten wir diese Szene im Autohaus, in der Chantal einen Unfall baut. Dafür musste noch ein neues Kostüm her. Ich hatte alle Kollektionen schon zig mal durchgesehen, da fand ich nichts Lustiges mehr. Und so machten wir über Nacht eben selbst etwas. Wir besorgten uns im Kaufhaus 20 pinke Shirts. Einem davon haben wir die Aufschrift „Ooops!“ verpasst, das sieht man nun im Film.

ICON: Wer kam denn auf die Idee mit dem Chanel N°5-Shirt?

Tiedeken: Die ist nicht von uns. Das hat sich das Label Muschi Kreuzberg ausgedacht, da steht allerdings Chantal N°2 Kreuzberg drauf. Wir wollten natürlich Chantal No5 Paris.

ICON: Das wäre doch ein perfekter Merchandise-Artikel.

Tiedeken: Ich weiß nicht, ob Chanel uns das erlauben würde. Wir haben uns aber auch Gedanken über eine eigene Fack-ju-Kollektion gemacht. Bora hat sich dagegen entschieden, damit der Zuschauer nicht das Gefühl hat, er schaue einen Werbefilm.

ICON: Wie findet eigentlich Chantal-Darstellerin Jella Haase ihr Kostüm?

Tiedeken: Ich habe schon gemerkt, dass es sie bei „Fack ju Göhte II“ Überwindung gekostet hat, wieder in Chantals Garderobe zu schlüpfen. Zuvor hatte sie ziemlich viel Stress, und da stand ich plötzlich wieder mit diesen pink Push-up-BHs. Da musste sie sich einen Ruck geben. Aber dann war sie wieder voll dabei. Und natürlich darf sie auch mitreden bei dem, was sie anzieht. Und obwohl sie privat so ganz anders ist als Chantal, gibt es doch eine Gemeinsamkeit: Auch Jella trägt gerne Leggings.

ICON: Haben Sie eine Erklärung für Chantals Erfolg?

Tiedeken: Das sind zwei Komponenten. Erst mal Jella, die in dieser Rolle so drin ist, dass sie sogar dann überzeugend weiterspielt, wenn sie mal stolpert. Und dann sind es natürlich dies Sprüche, die sie heraushaut, also die Texte, die Bora für sie geschrieben hat. Die sind ganz nah dran am echten Leben. Das haben wir letztens erst wieder bei einer Vorführung gemerkt. Vor uns saßen ein paar Migrantenkids, einer hatte eine Autogrammkarte von Elyas M’Barek ergattert, und sein Kumpel forderte ihn auf: „Ey, mach misch davon auch mal ne Kopierung.“

ICON: Chantals Sprüche kennt inzwischen fast jedes Kind. Können Sie eigentlich schon optisch eine Chantalsisierung der Jugend feststellen?

Tiedeken: Auf jeden Fall interessieren sich die Leute dafür, was sie trägt. Ich bekomme auch immer wieder Pressenfragen. Gerade erst wollte eine Kinobesucherin wissen, woher das Shirt mit Hundemotiv stammt, das Chantal trägt, als sie dem Autisten Ploppi - „elf Prozent Asperger“ - erklärt, sie habe dafür 40 Prozent Wodka.

ICON: Und?

Tiedeken: Schlicht H&M.

P.S. Unser große Liebeserklärung an Chantal lesen Sie hier.

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