WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Literatur
  4. Fortschritt: Die Deutschen sind zu wissenschaftsgläubig

Literatur Fortschritt

Die Deutschen sind zu wissenschaftsgläubig

Für Konrad Adam der Prototyp des Lobbyisten: Der Physiker Wernher von Braun Für Konrad Adam der Prototyp des Lobbyisten: Der Physiker Wernher von Braun
Für Konrad Adam der Prototyp des Lobbyisten: Der Physiker Wernher von Braun
Quelle: picture alliance / Everett Colle
Missionen zum Mars, Gen- und Atomforschung – für den Publizisten Konrad Adam nichts als Teufelswerk. Wie ein konservativer Ur-Grüner will er zurück zur Natur, auch wenn er weiß, dass das nicht geht.

Streben nach Wahrheit, faustischer Ehrgeiz, Neugier, Ausdauer – das sind die Tugenden, die üblicherweise in Festreden über Wissenschaftler geltend gemacht werden. Eins, so Konrad Adam, fehle dabei regelmäßig: der Wille zur Macht. Die Unterwerfung durch das Herrschaftswissen, das Natur beherrschbar macht. Der Experte ist der „Mann an der Spitze“, auf den heute mehr als je zuvor gehört wird, etwa von Seiten der Politiker, die wenig aus eigener Hand wissen, sondern auf die Zuflüsterungen der Gutachter angewiesen sind.

So sei vor allem in den Biowissenschaften ein neuer, höchst agiler Wissenschaftler-Typus entstanden: eine „Personalunion von Forscher, Berater, Geschäftsführer und Spekulant“. Jedes Institut hat heute seine Pressestelle, Wissenschaft ist im Kampf um die Gelder zum großen Teil Öffentlichkeitsarbeit geworden – etwas anderes als Veröffentlichungsarbeit.

Das ökologische Desaster

Mit einem an Nietzsche geschulten bösen Blick nimmt der Publizist den Forschungsbetrieb ins Visier. Grimmig führt er die toten Äste der wissenschaftlich-technischen Evolution vor: die friedliche Nutzung der Kernenergie und den Behaviorismus, den Transrapid und die Rassenhygiene, die verheerenden ökologischen Desaster im real experimentierenden Sozialismus und die ebenso sinnlose wie sündteure Weltraumfahrerei, die bisher nur bewiesen habe, was man schon vorher wusste: dass der Mensch für das Leben im All nicht geschaffen sei.

Ausgiebig beschäftigt er sich mit dem moralischen Versagen der Physiker beim Bau der Atombombe. Nicht Auschwitz, sondern Hiroshima sei die paradigmatische Untat des 20. Jahrhunderts. Und nicht der Massenmordbürokrat und fanatische Scherge, sondern der Techniker, der saubere Arbeit abliefert, gilt ihm als Figur des Verhängnisses, sowohl bei der Entwicklung der Bombe wie ihrem sachdienlichen Einsatz.

Wissenschaftler als begnadete Lobbyisten

Das ist eine alte Debatte, und es gab es schon viele Essays, Dramen und philosophische Entwürfe, die das Thema Moral und Wissenschaft an diesem Extrembeispiel erörtert haben. Auch den Teufelspakt des Wernher von Braun lässt sich Adam nicht entgehen. Er begreift den Raketenbaumeister als Prototyp des neuen Wissenschaftlers, der als begnadeter Lobbyist Politik und Öffentlichkeit für seine Sache einzunehmen weiss.

„Man muss nur warten, um im Fortschritt von gestern den Unfug von heute zu erkennen.“ Das gilt allerdings für die meisten menschlichen Bestrebungen, etwa die Künste – da erscheint vieles bald schon sehr überholt. Ganze Epochen versinken. Warum sollte es in der Wissenschaft anders sein? Adams Antwort wäre wohl: Weil die Konsequenzen für Mensch und Natur immens sind.

Irregeleiteter Fortschritt

Vergessene Romane tun niemandem weh, höchstens dem Autor. Der irrgegangene Fortschritt dagegen verschandelt Landschaften auf lange Zeit oder trägt zukünftigen Generationen immense Spätlasten ein. So hat Wissenschaft heute immer mehr damit zu tun, die Folgen von Wissenschaft einzudämmen.

Adam höhnt über Projekte wie den Aufbau eines erdumfassenden Alarmsystems, womit künftige Raumfahrer vor dem Weltraumschrott geschützt werden sollen, den die bisherigen hinterlassen haben. Oder Klimawandelrückwandlung. Die Wissenschaft ist zu einem Rennen der Ehrgeizigen und Getriebenen geworden, die sich Sachzwängen unterwerfen, die sie selbst in die Welt gesetzt haben.

Zumutungen der Wissenschaft

Die technischen Anwendungen sind das eine, die Grundlagenforschung etwas anderes. Aber auch da bringt Adam nicht viel Respekt auf. Höhnend zitiert er die Urknalltheoretiker und ihre Szenarien des Weltanfangs: für ihn eine Kauderwelschprosa der allerletzten Dinge, die das Unvorstellbare kein bisschen anschaulicher macht, voller Tautologien und Leerformeln.

Anzeige

Dann doch lieber gleich der beherzte Sprung in die Metaphysik, als das Geraune von „Spontaneitäten“, „Emergenzen“ oder „Fulgurationen“. Er spottet über die Entschlüsselung der Genome, bei der man bloß feststelle, dass „es zwischen Mensch und Maus keine allzu großen Unterschiede gibt, auch nicht zum Fadenwurm und nicht einmal zur Bäckerhefe.“ Immerhin war das doch mal eine Einsicht.

Maus mit menschlichem Ohr

Wer die Zumutungen des Fortschritts beklagt, neigt dazu, im Gegenzug die alten Zeiten zu verklären. Nur: wann waren die, und welche? Adam weiß, dass der Schlachtruf „Zurück zur Natur!“ immer schon trügerisch war. Trotzdem empfiehlt er das antike Ideal „naturgemäßen Lebens“ und die anschauende Naturbetrachtung im Sinn Goethes. Nichts gegen Kontemplation, aber das ist, aufs Ganze gesehen, ebenso vage wie der Vorschlag eines „Forschungsmoratoriums“. Schönheit der Natur empfinden statt zergliedern und analysieren – das kann auch der Laborforscher am Feierabend.

Etwas zu schlicht sind manche Einwände geraten: „Eine Statistik kennt nur aggregierte Größen, keine Menschen.“ Und wenn Adam die Maus mit dem menschlichen Ohr auf dem Rücken als Sinnbild wissenschaftlicher Hybris bemüht, dann sollte er eigentlich wissen, dass das eine medienwirksame Fälschung war. Um Aufmerksamkeit für seine Knorpelforschung zur Wiederherstellung zerstörter Nasen oder Ohren zu wecken, hatte ein Wissenschaftlicher die künstliche Knorpelmasse auf dem Mausrücken in menschlicher Ohrform gestaltet.

Die neue Wissenschaftsreligion

Man reibt sich die Augen, wenn Adam als ersten Gewährsmann den Ur-Grünen Ludwig Klages anführt. Der kalte Verstand als Hochverräter am Leben, der „Geist als Widersacher der Seele“ – das war die Klages-Klageformel, die um 1930 Furore machte; auch der Anti-Intellektualismus der Nazis rüpelte in dieser Spur. Den Evolutionsbiologen Richard Dawkins dagegen diskreditiert Adam als „Prediger einer neuen Wissenschaftsreligion, die auf alles eine Antwort geben kann, weil sie Fragen, auf die sie keine weiß, als sinnlos aussortiert.“

Aber auch das Aussortieren der unbeantwortbaren Fragen ist keine Erfindung von Dawkins, sondern kann sich auf eine ehrwürdige philosophische Tradition berufen, auf Kant, auf Ludwig Wittgenstein, auf Nietzsche, der bereits von den falschen Fragen der Metaphysik sprach. Und unterwirft sich das Publikum wirklich so leicht dem Glaubensanspruch der Wissenschaftler? Wer frönt denn heutzutage noch dem „eindimensionalen Fortschrittsdenken“? Gibt es in Deutschland wirklich zu wenig Wissenschaftsskepsis? Biotechnologie und genetisch veränderte Lebensmittel zum Beispiel sind für viele des Teufels – als wären nicht seit Jahrhunderten alle Nutzpflanzen und Nutztiere genetisch verändert durch Züchtung.

Ungeachtet der Übertreibungen ist diese Polemik jedoch lesenswert. Adam schreibt zwar wütend, aber geschliffen, oft aphoristisch zugespitzt: „Experten sind nicht unempfänglich für die Stimme der Moral; sie wissen nur nichts mit ihr anzufangen.“ Oder: „Tatsächlich gibt es für den Fachmann ja nur ein Desaster: dass das, was er entworfen hat, nicht funktioniert.“ Das Buch macht skeptisch gegen die Floskeln der Wissenschaftsmanager und Festredner, und es zerstört manche Illusion über den Forschungsbetrieb: ein Stück Aufklärung der Aufklärung.

Der Publizist und Journalist Konrad Adam auf der Frankfurter Buchmesse. Foto: M. C. Hurek
Der Publizist und Journalist Konrad Adam auf der Frankfurter Buchmesse. Foto: M. C. Hurek
Quelle: picture alliance / Markus C. Hur/mch rf

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema