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Der irre Tanz um die Öko-Bilanz bei E-Autos

Umstellung auf E-Autos geht in die Milliarden

Die Umstellung auf die Elektromobilität kostet bis zum Jahr 2025 rund 332 Milliarden Euro. Das zeigt eine Studie der Schweizer Großbank UBS.

Quelle: N24/Louisa Lagé

Autoplay
Elektroautos scheinen grundsätzlich gut für die Umwelt. Doch die Berechnungen ihrer Öko-Bilanz sind sehr aufwendig – und teilweise sogar unmöglich. Auch hier steht und fällt alles mit der Batterie.

Mobilität hatte schon immer mit Freiheit zu tun. Jedwede Form ihrer Beschränkung brachte und bringt die Menschen in Rage – besonders wenn sich Sinn und Nutzen mancher Entscheidung nur schwer nachvollziehen lässt. Wie etwa die Favorisierung der Elektromobilität. Dabei scheint die Frage der Reichweite und des Ladens nur eine praktische und lösbar zu sein.

Doch der Disput, ob E-Autos überhaupt einen ökologischen Nutzen haben, ob sie, was ihre Wirkungen auf die Umwelt angeht, nicht viele ungeklärte Fragen aufwerfen, raubt manchem die Contenance. Wenn Einschränkungen schon hingenommen werden, sollte ein gutes Gewissen wenigstens inklusive sein.

Selbst die Experten streiten sich

„Öko-Bilanz von E-Autos: Umweltlüge Elektroauto? Von wegen!“ titelte die „Wirtschaftswoche“ vor kurzem, worauf die Redaktion von „Spiegel online“ in der Woche darauf konterte: „Öko-Bilanz: Der große Schwindel mit den Elektroautos“.

Und nun? Fake News? Und wenn ja: Welche Behauptung von beiden? Wie immer ist die Wahrheit deutlich komplexer und macht die Frage nach Sinn und Unsinn der Elektromobilität keineswegs einfacher: Beide Thesen sind richtig. Denn bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen steckt der Umweltteufel mindestens ebenso im Detail wie beim Diesel die Frage nach Oberwerten für Feinstaub und Stickstoffoxiden.

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Quelle: N24/Kevin Knauer

Die erste Hürde, die bezüglich der Öko-Bilanz von E-Autos überwunden werden muss, ist die Frage nach dem CO2-Ausstoß. „Erstmals sind die CO2-Emissionen von neuzugelassenen Pkw in Deutschland wieder gestiegen“, heißt es zur Gesamtsituation in einer entsprechenden Studie des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach.

„Im wichtigsten EU-Markt erhöhen sich die CO2-Emissionen im Gesamtjahr 2017 um 0,4 Prozent auf 127,9 g/km (2015: 127,4 g/km). Die Erreichung der EU-Klimaziele der Automobilhersteller von 95g CO2/km rückt in immer weitere Ferne.“

Beim CO2 haben E-Autos erst mal die Nase vorn

Betrachtet man ausschließlich diese Bilanz, haben die E-Autos die Nase deutlich vorn. Der Renault Zoe, mit 30.670 Stück in Europa das meistverkaufte E-Auto 2017, verbraucht nach Herstellerangaben 13,3 Kilowattstunden pro 100 Kilometer (kWh/100 km). 2016 entstanden nach Berechnungen des Bundesumweltamtes 527 Gramm Kohlendioxid bei der Produktion einer Kilowattstunde.

Ein Kleinwagen wie der Zoe, der auf der Basis des Renault Clio entwickelt wurde, emittiert pro Kilometer somit indirekt 70,1 g CO2. Der Clio 0,9 TCe verbraucht hingegen laut Renault 4,7 Liter Benzin und stößt dabei mittels CO2-Rechner der Dekra 111,4 g CO2 pro Kilometer aus. Der Clio als 1.5 dCi kommt mit 3,3 l Diesel immer noch auf 87,4 g CO2/km.

Das Beispiel lässt sich auch am beliebtesten Verbrenner Europas durchspielen, auf den 483.105 Neuzulassungen 2017 fielen. In seiner E-Version verbraucht der Golf laut VW 12,7 kWh/100 km, ist also im Fahrbetrieb für 66,9 g CO2/km verantwortlich. Der Golf 1.0 TSI kommt dank 4,8 l/100 km Sprit auf 113,8 g CO2/km und mit dem Diesel 1.6 TDI und einem offiziellen Verbrauch von 4,1 l auf 108,6 g CO2/km.

Der überflüssige Strom reicht für Millionen E-Autos

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Was den CO2-Ausstoß – unabhängig ob direkt oder indirekt – beim Fahren angeht, sind die E-Autos den Verbrennern also deutlich überlegen. Doch was nützt die ganze Überlegenheit, so der Einwand vieler Kritiker, wenn das Stromnetz eine weitgehende Elektrifizierung des Verkehrs gar nicht verkraften würde?

Diese Sorge ist berechtigt – allerdings nur, was die Verteilung des Stroms von Nord nach Süd angeht. Grundsätzlich ist genug davon in unseren Breiten jedenfalls vorhanden.

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Im Jahr 2016 hatte Deutschland einen Stromverbrauch von insgesamt 593 Terawattstunden (TWh). Es wurde jedoch so viel produziert, dass ein Handelsüberschuss an Strom von 51 TWh entstand, der hierzulande nicht verbraucht wurde und ins Ausland exportiert werden konnte.

Diese 51 Milliarden Kilowattstunden hätten gereicht, um 27,4 Millionen Renault Zoe bei einer Fahrleistung von 14.000 Kilometer ein Jahr lang zu betreiben. Bei den E-Golf wären es sogar 28,7 Millionen Fahrzeuge gewesen, für die die überschüssige Stromerzeugung in Deutschland gelangt hätte.

Angesichts der laut Kraftfahrtbundesamt zum 1.1.2018 zugelassenen 46,5 Millionen Fahrzeuge hätte also mehr als die Hälfte davon elektrifiziert und mit hiesigem Strom laufen können. Auch in diesem Punkt wären mehr E-Fahrzeuge verkraftbar fürs Stromnetz und wegen des Zusammenhangs von CO2 mit der Erderwärmung durchaus sinnvoll.

„Daumenwerte“ statt exakter Berechnungen

Doch der Punkt, der jeden Öko-Bilanzierer an die Grenze des Wahnsinns treiben kann, ist die Batterieherstellung und deren Entsorgung. Laut einer aktuellen schwedischen Studie werden, was die Speicherkapazität eines Akkus angeht, pro Kilowattstunde etwa 150 bis 200 Kilogramm CO2 in der Produktion emittiert.

Schon die Unschärfe bei dieser Angabe deutet die Schwere der Berechnung an. Warum? Weil fast unendlich viele Faktoren einfließen müssen, um allein den Energieaufwand korrekt berechnen zu können.

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„Das Thema ist so komplex, dass auch wir uns teils mit ‚Daumenwerten‘ behelfen müssen“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des CAM. „Mit deutschem Strommix muss man aus CO2-Aspekten heraus an die 100.000 Kilometer fahren, um in eine positive CO2-Bilanz zu kommen.“ Und wenn man während der Nutzungsdauer nur regenerative Quellen tanke, müsse man über den Daumen immer noch rund 30.000 Kilometer hinter sich bringen, um eine positive Bilanz zu erzielen, „weil die Vorstufe zur Batteriezellproduktion sehr CO2-intensiv ist“, so der Hochschulprofessor.

Daumenwerte, wie Bratzel sie nennt, sind deshalb erforderlich, weil die energetische Berechnung der gesamten Kette bei der Batterieherstellung für elektrisch betriebene Autos quasi unmöglich ist. Ein wenig verhält es sich hier wie mit der Herstellung von Lebensmitteln.

Wir können uns zwar mit den Hinweisen an Obststand und Fleischtheke zufrieden geben, die Tomaten kämen aus Spanien und das Rindersteak aus Argentinien. Wollte man jedoch hierfür eine Öko-Bilanz erstellen, kämen Aspekte wie Bewässerung von Feldern und Weiden, Transportkosten etc. pp. hinzu. Dazu wären ohnehin noch zuverlässige Daten aus Spanien oder Argentinien die Voraussetzung.

Batterieherstellung wirft jede Rechnung über den Haufen

Übersetzt für die Elektromobilität heißt das: Unter welchen Bedingungen wurden die Rohstoffe geschürft? Welche Rohstoffe werden überhaupt benötigt? Welche Art von Energie bei der Produktion der Batteriezellen verwandt? „Bei den meisten Batterien aus China ist die CO2-Erzeugung ziemlich hoch“, sagt Bratzel. Man müsse ganz genau hinsehen und erst mal die Batteriezellproduktion des jeweiligen Herstellers in den Blick nehmen.

„Aber die wenigsten in Asien machen das mit regenerativen Energien.“ Sein Kollege Peter Kasten vom Öko-Institut weist gegenüber der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaften“ auf eine zusätzliche lokale Besonderheit hin, die die Berechnung der CO2-Emission erschwert: „Es hängt auch in China vom genauen Standort der Fabrik ab: Im Südosten stammt etwa ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Energien, im Norden vor allem aus Kohlekraftwerken.“

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Eine weitere Hürde für die Bilanz ist der Aufbau der Akkus für E-Autos. Eine „Lithium-Ionen-Batterie“ ist nur der Begriff für eine Technologie. Die darin befindliche Chemie kann sehr unterschiedlich sein. Wird kobalthaltiges Material in der Katode eingesetzt oder Lithium-Eisen-Phosphat? Daraus resultieren völlig unterschiedliche Bewertungen. Auch solche Aspekte müssen bei der Analyse beachtet werden.

„Und dann kommt ja noch hinzu, wenn man wirklich eine vernünftige Öko-Bilanz machen will, dass man auch den Abbau der Materialien in den Blick nehmen muss“, sagt Bratzel. „Es wird sicher künftig noch Diskussionen darüber geben, dass wir hier zwar ökologisch sauber auf deutschen Straßen fahren, uns aber nicht darum kümmern, wie der Kobalt im Kongo abgebaut wird.“

Kobalt ist ein Nebenprodukt bei der Kupfer- und Nickelförderung. Schwierig ist der Umstand, dass etwa die Hälfte des Kobalts im politisch wie sozial unruhigen Kongo gewonnen wird. Damit wir also ruhigen Gewissens mit E-Autos fahren können, reicht es längst nicht, nur regenerativen Strom zu tanken.

Bis wir also wissen, unter welchen Bedingungen die Batterien der E-Autos hergestellt werden, ist es mit der E-Mobilität wie mit dem richtigen Leben: Wir glauben, was wir glauben wollen.

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