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Ausland Umgang mit Flüchtlingen

Der Faktencheck zum umstrittenen Migrationspakt

Auswärtiges Amt will gegen Stimmungsmache vorgehen

Der UN-Migrationspakt ist in einigen Ländern, wie den USA, oder auch Österreich umstitten. Auch die AfD äußert Kritik und soll „Falschmeldungen“ über den Pakt verbreitet haben. Das Auswärtige Amt will dagegen vorgehen.

Quelle: WELT

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Die Vereinten Nationen wollen erstmals Standards für den Umgang mit Migranten festlegen. Immer mehr Länder verweigern sich, weil der Pakt eine Einladung zum illegalen Grenzübertritt sei. Befürworter sehen ihn als humanitäre Pflicht. Wer hat Recht?

Donald Trump senkte als Erster den Daumen, Ungarns Premier Viktor Orbán, die rechtsliberale Regierung Australiens und nun auch Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz folgten: Sie alle wollen den Migrationspakt der Vereinten Nationen (UN) nicht unterzeichnen. Mancherorts wie in der Schweiz wird bereits seit Längerem heftig über das Dokument debattiert, in Deutschland rückt der Pakt erst durch die Wiener Entscheidung stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Wer hat recht, Gegner oder Befürworter? Ist der globale Migrationspakt ein gutes Instrument – oder gar gefährlich?

Worum geht es?

Der „Globale Pakt für eine sichere, reguläre und geordnete Migration“ ist 34 Seiten lang und listet 23 Ziele auf. Die Unterzeichnerstaaten wollen Mindeststandards für die Rechte von Migranten festlegen und legale Migration fördern. Für Flüchtlinge mit Aussicht auf Schutzstatus wird an einem eigenen Abkommen gearbeitet.

Quelle: Infografik WELT

Die 196 UN-Mitgliedsländer haben seit 2016 an dem Vertrag gearbeitet, der am 10. und 11. Dezember in Marokko unterzeichnet werden soll. Anders als etwa das Klimaabkommen ist der Pakt rechtlich nicht bindend. Es ist eine kollektive Absichtserklärung, Verantwortung zu übernehmen.

Warum ein solcher Pakt?

UN-Generalsekretär António Guterres argumentiert, dass Migration auch wegen des Klimawandels nicht einfach gestoppt werden könne. Sie müsse also gestaltet werden. 2016 beschlossen die UN-Mitglieder bei einem vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama initiierten Gipfel, ein Regelwerk zu entwickeln. „Migration sollte nie ein Akt der Verzweiflung sein“, heißt es darin.

Wie viele Menschen sind betroffen?

2017 lebten bereits 258 Millionen Menschen nicht mehr in ihrer Heimat, nach 173 Millionen zur Jahrtausendwende. Drei Prozent der Weltbevölkerung sind also Migranten – freiwillig oder unfreiwillig. Doch ihre Rechte sind meist ungeklärt, anders als bei Asylsuchenden, wo seit 1954 die Genfer Flüchtlingskonvention greift.

Es gibt für sie auch keine zuständige UN-Organisation wie das UN-Flüchtlingshochkommissariat. Migranten leisten oft enorme Beiträge für ihre Gast- und ihre Herkunftsländer, arbeiten aber unter teils menschenunwürdigen Bedingungen, etwa beim Bau der WM-Fußballstadien in Katar.

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Was konkret ist im Pakt vereinbart?

Migranten sollen einen besseren Zugang zu grundlegenden Sozialleistungen erhalten, weniger Diskriminierung erleben, besser integriert werden und ihre Ausbildung leichter anerkannt bekommen. Die Familienzusammenführung soll erleichtert, legale Migration durch Arbeitsprogramme oder Visaliberalisierungen ausgeweitet werden.

Alle Menschen sollen Ausweispapiere erhalten, der Kampf gegen Schlepper wird verstärkt, Fluchtursachen bekämpft, eine würdevolle, sichere Rückkehr in die Heimatländer gestärkt. Zugleich wird darin aber auch festgelegt, dass jeder Staat selbst und souverän über Zuwanderung entscheidet. Außerdem ist ein koordiniertes Grenzmanagement für sichere Grenzen festgeschrieben.

Was sagen die Gegner?

Die USA, Australien, Ungarn und Österreich bangen um ihre staatliche Souveränität, obwohl der Pakt klar betont, diese unangetastet zu lassen. Die UN wollen jede Form von Migration legalisieren, Illegalen könne man nichts mehr entgegensetzen, heißt es. Australien stört auch, dass „Freiheitsentziehung bei Migranten nur als letztes Mittel“ erlaubt sein soll. Das Land nimmt Ankommende ohne Einreisevisum in Haft und bringt sie in Internierungslagern auf vorgelagerten Inseln unter.

Polen wird auch nicht beim UN-Migrationspakt dabeisein

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind schwierig, seit die nationalkonservative PiS-Partei 2015 die Regierung stellt. Zuletzt wurden wieder Forderungen nach Reparationszahlungen laut – kein leichter Besuch für die Bundeskanzlerin.

Quelle: WELT/Eybe Ahlers

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Bedenken kommen auch aus Dänemark, Tschechien und Japan. Polens Innenminister Joachim Brudzinski warnt, der Pakt ermuntere zu „weiterer illegaler Migration“. Auch aus Rom sind laute Zweifel zu hören. Denn Ziel 8 („Rettung von Menschenleben“) verlangt jene Rettungseinsätze, die Italien im Mittelmeer blockiert. Einige Schweizer Abgeordnete kritisieren, dass Migration „verherrlicht“ und begünstigt werde, statt sie zu regeln. In Deutschland macht vor allem die AfD Stimmung gegen das Abkommen.

Sind die Vorwürfe berechtigt?

Einige Kritikpunkte sind Falschbehauptungen, so etwa der Vorwurf Österreichs, der Pakt schaffe ein „Menschenrecht auf Migration“. Das tut er nicht. Andere Auslegungen sind strittig, etwa die Frage, ob der unverbindliche Pakt auf Umwegen zum Gewohnheitsrecht werden könnte, wenn sich etwa Gerichte auf seine Inhalte berufen.

Rechtsexperten halten das für möglich, aber höchst unwahrscheinlich, weil dafür eine überwiegende Mehrheit der Staaten die Regelungen als rechtsverbindlich erachten müsste.  Einige Vorwürfe haben aber auch eine berechtigte Grundlage. So ist die Tonalität des Pakts auffällig positiv. Migration wird ausschließlich als „Quelle für Wohlstand, Innovation und nachhaltige Entwicklung“ bezeichnet, nicht auch als Herausforderung, die Ländern schwere Belastungen bescheren kann.

Damit wirkt der Pakt in Strecken wirklichkeitsfremd. Es geht zudem kaum um die Rechte von Staaten, ihre Grenzen zu schützen, oder die Pflichten von Migranten. Besonders problematisch könnte sein, dass womöglich eine Sogwirkung ausgeht vom Pakt. Der Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen warnt, dass Unterzeichnerstaaten „Erwartungen bei Migrationswilligen“ wecken könnten, ohne dafür auf verlässlichen Strukturen aufzubauen.

Was sagt Berlin?

Die Berliner Koalition will den Pakt unterzeichnen und schätzt die „hohe politische Signalwirkung“. Migration sei ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Zusammenlebens. Ihre Vorteile und Chancen können durch internationale Kooperation besser genutzt werden.

Auf eine parlamentarische Anfrage der AfD antwortete die Bundesregierung, es entstünden keinerlei verpflichtende direkte Kosten. Vieles, was der Pakt vorschreibt, ist zudem bereits Standard in Deutschland. Allerdings hat die Bundesregierung bei der Kommunikation versagt. Dem Wunsch der AfD zu einer Bundestagsdebatte wurde nicht entsprochen mit dem Verweis, der Migrationspakt sei kein völkerrechtlicher Vertrag und daher kein Fall fürs Parlament.

Gerade bei dem höchst sensiblen Thema Migration hat die Regierung damit einmal mehr Ignoranz bewiesen. Nun, da die öffentliche Debatte durch Österreich Fahrt aufgenommen hat, will die Regierung eilig „Falschmeldungen bekämpfen“. Eine frühere Informationskampagne wäre der richtige Weg gewesen.

Fazit

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Die von den Gegnern vorhergesagten Folgen sind größtenteils übertrieben und mitunter auch schlicht falsch. Der Pakt ist kein „verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“, wie die AfD behauptet. Manche Migrationsexperten sehen es sogar als größten Schwachpunkt des rechtlich unverbindlichen Pakts an, dass er so zahnlos ist.

Aber mehr war in Zeiten von wachsendem Nationalismus nicht durchsetzbar. Gleichzeitig kann niemand ausschließen, dass der Pakt zusätzliche Migration auslöst. Entscheidend ist, dass sich die Weltgemeinschaft des Themas annimmt und eine Antwort auf die unaufhaltsamen großen Flucht- und Migrationsbewegungen der Erde sucht. Der Pakt ist dafür ein erster Schritt.

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