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Ausland Kliniken in den USA

Leichenabtransport per Gabelstapler – „Krankenhäuser lügen ihre Arbeiter an“

„Es ist eine Frage von Leben und Tod“

Der Ernst der Lage ist im Weißen Haus angekommen. Die US-Regierung rechnet damit, dass bis zu 240.000 Amerikaner an den Folgen des Coronavirus sterben werden.

Quelle: WELT

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Schon jetzt arbeiten US-Krankenhäuser in der Coronakrise am Limit. Viele Ärzte können sich kaum noch selbst vor dem Virus schützen. Zum Kampf gegen die Krankheit kommt für einige der Kampf gegen den eigenen Arbeitgeber.

Bis zu 240.000 Leben, befürchtet die US-Regierung, könnte der Corona-Ausbruch die Vereinigten Staaten kosten – und in den Kliniken von New York bis Kalifornien liegen schon vor dem mutmaßlichen Höhepunkt der Krankheitswelle die Nerven blank.

Der New Yorker Arzt Shamit Patel befürchtet ein Szenario wie in manchen Regionen Norditaliens, wo Ärzte wegen der überwältigenden Zahl an Patienten entscheiden müssen, wer behandelt wird und wer sterben muss. Wahrscheinlich müsse die Zahl der Patienten pro Arzt „verdoppelt oder verdreifacht“ werden, sagte der 46-Jährige der Nachrichtenagentur AFP. Dies könne jedoch nicht bis ins Unendliche fortgesetzt werden, weil dann keine wirksame Behandlung mehr möglich sei.

Krankenhäuser drohen derweil mit der Entlassung von Mitarbeitern, die über ihre Arbeitsbedingungen während der Coronavirus-Pandemie berichten – und haben das in einigen Fällen auch schon in die Tat umgesetzt.

Auch dem texanischen Arzt Henry Nikicicz wurde von der Universitätsklinik El Paso angedroht, entlassen zu werden. Nikicicz hatte sich laut „New York Times“ dagegen gewehrt, außerhalb der Behandlungsräume seine Schutzmaske abzunehmen. Da er Asthma habe, sei der Schutz für ihn essenziell. Viele Kliniken bestehen laut dem Bericht allerdings darauf, dass die Masken in den öffentlichen Gängen abgenommen werden, um dem Eindruck einer hohen Virenbelastung auf dem Krankenhausgelände entgegenzuwirken.

Im US-Staat New York sind mittlerweile mehr als 1000 Menschen nach einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus gestorben. Allein in der Metropole New York City wurden bis Sonntagabend 776 Todesfälle durch die Lungenkrankheit Covid-19 bestätigt. In anderen Teilen von New York starben mindestens 250 Menschen, wie aus einer Zählung der Nachrichtenagentur AP hervorgeht. Eine offizielle Bestätigung der neuen Opferzahlen durch die New Yorker Behörden wurde erst am Montag erwartet. Fotos und Videos zeigten zu Beginn der Woche, wie Arbeiter mit Gabelstaplern abgedeckte Leichen vor dem Brooklyn Hospital Center in Fort Greene abtransportieren.

Im New Yorker Stadtteil Brooklyn werden Leichen verladen
Im New Yorker Stadtteil Brooklyn werden Leichen verladen
Quelle: REUTERS

Es fehlt nicht nur an Behandlungsbetten, sondern auch an Platz für die Leichen. Immer wieder richtete der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, in den vergangenen Tagen verzweifelte Hilfsappelle an die Bundesregierung. Die Katastrophenschutzbehörde Fema schickte unter anderem 85 Kühllaster.

An einigen Krankenhäusern wie etwa der Klinik Lenox Hill in Manhattan parken die Kühllaster an Straßen und vor Wohnhäusern. Menschen fahren in Autos und Bussen vorbei, während die Leichen hineingeladen werden. Die New Yorker Gerichtsmedizin richtete ebenfalls eine behelfsmäßige Leichenhalle ein, so wie sie das zuletzt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 getan hatte, um die Leichen unterzubringen.

Kamini Doobay, Notärztin in New York, sagt: „Ich habe mich in meinem Leben noch nie so körperlich und emotional belastet gefühlt, ich habe mich noch nie so traurig und verzweifelt gefühlt.“

Der Kampf gegen das Coronavirus wird für viele Ärzte auch zum Kampf gegen den eigenen Arbeitgeber. Ming Lin, ein Notarzt im Bundesstaat Washington, sagte laut der Nachrichtenagentur Bloomberg, er habe am Freitag erfahren, dass er gefeuert wurde, weil er einer Zeitung ein Interview zu einem Facebook-Beitrag gegeben habe. In diesem hatte er detailliert über seiner Meinung nach unzureichende Schutzausrüstung und Tests geschrieben. In Chicago wurde eine Krankenschwester entlassen, nachdem sie Kollegen per E-Mail mitgeteilt hatte, dass sie im Dienst eine bessere Schutzmaske tragen möchte. In New York hat das NYU Langone Health System Mitarbeiter gewarnt, dass sie gekündigt werden könnten, wenn sie ohne Genehmigung mit den Medien sprechen.

In diesen gekühlten Trucks in New York können Leichen vorübergehend gelagert werden
In diesen gekühlten Trucks in New York können Leichen vorübergehend gelagert werden
Quelle: REUTERS
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„Krankenhäuser machen Krankenschwestern und andere Angestellte im Gesundheitswesen mundtot, um ihr Image zu bewahren“, sagte Ruth Schubert, eine Sprecherin der Washington State Nurses Association, einer Krankenpflegerorganisation. „Das ist ungeheuerlich.“

„Die Krankenschwestern werden krank und sterben“

Krankenhäuser hatten schon immer strenge Medienrichtlinien zum Schutz der Privatsphäre von Patienten und haben Mitarbeiter aufgefordert, nur über offizielle PR-Büros mit Journalisten zu sprechen. Aber die Pandemie habe eine neue Ära eingeläutet, sagte Schubert.

Beschäftigte im Gesundheitswesen „müssen in der Lage sein, der Öffentlichkeit zu sagen, was in den Einrichtungen, in denen sie Covid-19-Patienten betreuen, wirklich vor sich geht“, sagte sie.

Ein Grund besteht darin, andere Krankenschwestern und Ärzte auf den drohenden Ansturm von Fällen vorzubereiten und Spenden für dringend benötigte Ausrüstung einzuwerben, insbesondere für die persönliche Schutzausrüstung (PPE), die sie vor einer Infektion schützt und gleichzeitig auch ihre Patienten sowie ihre Familien, wenn sie nach Hause gehen.

„Es ist gut und angemessen für Beschäftigte im Gesundheitswesen, ihre eigenen Ängste und Bedenken zum Ausdruck bringen zu können, insbesondere wenn dies dazu führt, dass sie womöglich einen besseren Schutz erhalten“, sagte Glenn Cohen, Fakultätsleiter des Bioethikzentrums der Harvard Law School. Es ist wahrscheinlich, dass Krankenhäuser versuchen, den Reputationsschaden zu begrenzen, denn „wenn Mitarbeiter des Gesundheitswesens sagen, dass sie nicht geschützt sind, ist die Öffentlichkeit über das Krankenhaussystem sehr verärgert“.

Kamini Doobay, Notärztin in New York, ist verzweifelt
Kamini Doobay, Notärztin in New York, ist verzweifelt
Quelle: AP/John Minchillo

Lauri Mazurkiewicz, die Krankenschwester aus Chicago, die vom Northwestern Memorial Hospital entlassen wurde, nachdem sie ihre Kollegen aufgefordert hatte, mehr Schutzausrüstung zu tragen, hat eine Klage wegen rechtswidriger Kündigung eingereicht.

„Viele Krankenhäuser lügen ihre Arbeiter an und sagen, dass einfache Masken ausreichen, und die Krankenschwestern werden krank und sterben“, sagte sie.

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Mazurkiewicz, 46, hat Asthma und kümmert sich um ihren Vater, der an einer Atemwegserkrankung leidet. Mit 75 Jahren gehört er zu den am stärksten gefährdeten Gruppen. „Ich wollte mich nicht anstecken, weil ich nicht die richtige Maske trage und sie dann an meine Patienten und meine Familie weitergebe“, sagte sie.

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Gouverneur von New York

Ein Sprecher des Northwestern Memorial Hospital lehnte eine Stellungnahme unter Berufung auf die Klage ab. Das Krankenhaus sagte in einer per E-Mail gesendeten Erklärung, dass es „der Sicherheit unserer Mitarbeiter verpflichtet“ sei.

Charles Prosper, Geschäftsführer des Northwest-Netzwerks des PeaceHealth St. Joseph Medical Center, in dem Lin in Bellingham arbeitete, sagte in einer E-Mail, Lin habe sich „öffentlich kritisch“ gegenüber der Bereitschaft des Krankenhauses geäußert, Patienten zu behandeln.

„Unser Eid fordert, keinen Schaden anzurichten“, sagte Lin. „Ich habe mich für die Sicherheit der Patienten ausgesprochen und wurde deshalb gefeuert.“

AFP/Bloomberg/AP/lep

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