Die deutschen Sicherheitsbehörden haben im vergangenen Jahr 5,76 Millionen Straftaten registriert - die niedrigste Zahl seit 1992. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ist die erfasste Kriminalitätsrate sogar niedriger als in den vergangenen 30 Jahren, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2017 in Berlin betonte. „Deutschland ist sicherer geworden“, sagte er. Einen Anlass zur Entwarnung könne er aber nicht geben. „Absolute Sicherheit“, sagte Seehofer, „kann Ihnen niemand versprechen.“
Im Vergleich zu 2016 gab es bei den Straftaten einen Rückgang von 9,6 Prozent. Allerdings sank auch die Aufklärungsquote um 8,2 Prozent. In etwa jeder dritte Tatverdächtige besaß keine deutsche Staatsangehörigkeit. Im Vorjahr waren es noch 40,4 Prozent.
Gewalttaten
Die Zahl der Gewalttaten ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2016 um 2,4 Prozent gesunken. Erfasst wurden insgesamt 188.946 Fälle. Dazu zählen Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raubdelikte sowie Körperverletzung. Zugenommen haben indes Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen. 2017 waren es 11.282 Fälle gegenüber einer Zahl von 7919 im Jahr zuvor.
Bei Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen gab es nur einen leichten Rückgang von 1,6 Prozent. Das entspricht einer Gesamtzahl von 2379 Delikten für 2017. Deutlicher gingen die Raubdelikte zurück: Von 43.009 auf 38.849 Taten. Körperverletzungsdelikte sanken um 2,1 Prozent.
Jede vierte Gewalttat wurde unter Alkoholeinfluss verübt, das entspricht in etwa dem Verhältnis des Vorjahres. Weiter zurück geht die Verwendung von Schusswaffen: Hier beträgt das Minus knapp fünf Prozent.
Linke Gewalt
Die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten ist 2017 deutlich gestiegen. Es handelte sich um 1967 registrierte Fälle. Im Vergleich zu 2016 ist das ein Plus von 15,6 Prozent. Dabei geht es vor allem um Angriffe auf Polizisten: Ihre Zahl stieg binnen Jahresfrist sogar um mehr als ein Drittel auf 1318 Delikte.
Als Hauptgrund für die Zunahme linker Gewalt nannte Seehofer die Ausschreitungen am Rande des G-20-Gipfels in Hamburg im vergangenen Juli. Allein 959 Delikte seien in diesem Zusammenhang von links motivierten Tätern verübt worden. Das Aggressionsniveau und die Bereitschaft, Leib und Leben von Polizeibeamten zu gefährden, habe „eine neue Dimension“ erreicht, sagte Seehofer. Er wünsche sich ein entschlosseneres Vorgehen auch der Länder und Kommunen gegen linksautonome Zentren.
„Für linke Gewalttäter darf es keine rechtsfreien Rückzugsräume und keine öffentliche Förderung geben“, sagte Seehofer weiter. Bei den Ausschreitungen rund um das zwölfte Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer wurden zahlreiche Beamte verletzt. Die Polizei sprach von mehr als 450 Verletzten und Schwerverletzten.
Rechte Gewalt
Die Zahl rechts motivierter Gewalttaten ist deutlich rückläufig. Im vorigen Jahr wurden insgesamt 1043 Delikte erfasst, das bedeutet ein Minus von 16,9 Prozent. Die durch Rechtsextremisten verübten Angriffe auf Polizeibeamte sind sogar um 58,8 Prozent gesunken. Gewalttaten gegen Linke gingen in ähnlichem Maße zurück.
Dennoch machen rechte Straftaten noch immer den Großteil aller politisch motivierten Delikte aus: Im vergangenen Jahr wurden von der Gesamtzahl von 39.505 Straftaten 20.520 Fälle Rechtsextremisten zugeordnet. Linke sind demzufolge für 9752 Taten verantwortlich. Der Rest entfällt auf Ausländerkriminalität, „religiöse Ideologie“ und Taten, die sich nicht zuordnen lassen.
Antisemitismus
Die Zahl der Anzeigen wegen antisemitischer Straftaten ist im vergangenen Jahr leicht gestiegen. Bei der Polizei wurden der Statistik zufolge 1504 Fälle registriert, das bedeutet eine Steigerung um 2,5 Prozent.
Laut der Kriminalstatistik seien 95 Prozent der Taten politisch rechts motiviert, sagte Seehofer. Neue Formen des Antisemitismus würden aber nicht ausreichend abgebildet werden, räumte der Bundesinnenminister ein. Viele Betroffene hätten Angst, zur Polizei zu gehen. „Ich werde mich auch innerhalb der Bundesregierung dafür einsetzen, dass antisemitische Vorfälle, die nicht strafbar sind, aber das interreligiöse und interkulturelle Zusammenleben gefährden, künftig dokumentiert und analysiert werden“, sagte der Ressortchef.
Allerdings sei in diesem Bereich nicht vorrangig die Polizei, sondern Schulen und Bildungsbehörden gefordert. Das fordert auch der neue Beauftragte der Bundsregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Felix Klein. Dieser habe in der ersten Woche seiner Amtszeit „kräftige und richtige Akzente“ gesetzt, lobte Seehofer, in dessen Ministerium die Stelle von Klein angesiedelt ist.
Um die Abbildung von Judenhass in der Kriminalstatistik hatte es in den vergangenen Wochen eine breite Debatte gegeben. Experten wiesen auf verschiedene verzerrende Faktoren hin. So werden Vorfälle, bei denen das Motiv unklar ist, automatisch dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet. Die PKS weicht erheblich von der Erfahrung vieler Juden ab, wie etwa eine Studie der Frankfurter Soziologin Julia Bernstein zeigt. Demzufolge gaben rund 80 Prozent aller jüdischen Gewaltopfer Muslime als Täter an.
Kinderpornografie
Einen drastischen Anstieg verzeichnet die Kriminalstatistik im Bereich der Kinderpornografie. Für die Verbreitung, den Erwerb, den Besitz und die Herstellung von kinderpornografischen Schriften werden 6500 Fälle ausgewiesen – 14,5 Prozent mehr als 2016. Die Verbreitung jugendpornografischer Schriften stieg um fast ein Viertel auf 1300 Fälle.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zeigte sich angesichts der Zahlen erschüttert. Der Fall des neunjährigen Jungen aus Staufen, der jahrelang von seiner Mutter und ihrem Partner missbraucht und auch anderen Tätern im Internet angeboten wurde, sei leider kein Einzelfall, stellte Rörig fest. „Immer öfter werden Missbrauchstaten gefilmt und im Darknet verbreitet und getauscht. Besonders erschreckend sind der Anstieg härtester, auch sadistischer Gewaltszenen sowie die zunehmende Zahl von Missbrauchsabbildungen von Kleinkindern und Babys.“
Rörig verwies dazu auch auf den Jahresbericht 2017 der Internet Watch Foundation (IWF). Demnach ist die Zahl kinderpornografischer Websites binnen Jahresfrist um 35 Prozent auf rund 80.000 gestiegen. Nach Angaben der IWF zeigen 35 Prozent der Websites Vergewaltigungen oder sexualisierte Folter von Kindern, 55 Prozent der abgebildeten Kinder sind unter zehn Jahre alt und zwei Prozent sogar jünger als zwei.
Bei den Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs weist die Polizeiliche Kriminalstatistik zwar einen leichten Rückgang um 3,9 Prozent auf 11.547 Übergriffe aus. Über die vergangenen Jahre hinweg gesehen seien die Zahlen aber weitgehend unverändert, so Rörig: „Das Dunkelfeld ist um ein Vielfaches größer. Wir müssen deshalb davon ausgehen, dass sich der Missbrauch Tausender Kinder unerkannt fortsetzt.“