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Deutschland BAMF-Auswertung

Bildungsniveau der Zuwanderer in Integrationskursen sinkt

Redakteurin Innenpolitik
Studie zeigt Erfolge bei Integrationskursen, aber auch große Probleme

Das BAMF hat die Erfolge von Integrationskursen geprüft und dabei zwar Erfolge registriert, aber auch große Probleme. Und auch die Lehrkräfte benötigen hier Hilfe.

Quelle: WELT/ Eybe Ahlers

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Nach Angaben des BAMF fängt mehr als jeder fünfte Teilnehmer eines Integrationskurses ohne Lese- und Schreibkenntnisse an. Für die Lehrkräfte wird der Unterricht deshalb oft zur „Knochenarbeit“. Das Innenministerium sieht dennoch eine positive Entwicklung.

Um Deutsch zu lernen und das hiesige Rechts- und Wertesystem kennenzulernen, besuchen die meisten Zuwanderer Integrationskurse. In der Vergangenheit stand das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) immer wieder in der Kritik: Die Qualität des Unterrichts werde nicht ausreichend kontrolliert, und die Behörde weise zu geringe Erfolgsquoten der Teilnehmer auf.

So erreichte im vergangenen Jahr in allen Kursarten insgesamt nur knapp mehr als die Hälfte der Teilnehmer das erforderliche Sprachniveau B1, das als Voraussetzung für den Arbeitsmarkt gilt und erklärtes Ziel der Integrationskurse ist. Von diesem Ziel ausgenommen sind die sogenannten Alphabetisierungskurse, die das niedrigere Niveau A2 anstreben.

Eine Evaluation des BAMF-Forschungszentrums hat es sich deswegen zur Aufgabe gemacht, Abhilfe zu schaffen: Die Wirksamkeit der Kurse soll bis 2022 überprüft werden. Eine erste Zwischenbilanz zu der 2018 gestarteten Überprüfung wurde am Dienstag in Berlin vorgestellt.

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Zu Beginn der Vorstellung sagte die Referentin des Innenministeriums: „Wir sind sehr zufrieden.“ Die Mehrzahl der geflüchteten Zuwanderer sei bei den Integrationskursen erfolgreich. Die Befunde bestätigten, dass „der richtige Weg eingeschlagen worden ist“. Als Beleg wurde unter anderem eine Befragung unter den Migranten selbst zitiert, wie erfolgreich sie ihre Kursteilnahme einschätzten.

Aus der Gruppe der Flüchtlinge unter den Teilnehmern hatten demnach 61 Prozent angegeben, nach dem Kurs gute oder sehr gute Deutschkenntnisse zu haben; bei den Befragten ohne Unterricht lag dieser Wert bei 17 Prozent. An den Kursen nehmen vor allem Flüchtlinge teil, unter anderem aber auch Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive, Geduldete und Zuwanderer aus europäischen Ländern.

Vages, aber positives Fazit

Die im Jahr 2005 eingeführten Integrationskurse bestehen aus einem Deutschkurs sowie einem Orientierungskurs zur Rechts- und Gesellschaftsordnung. Der Sprachkurs – ob ein allgemeiner oder ein Alphabetisierungskurs – umfasst 600 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten. Der Statistik zufolge liegt die Anzahl der geflüchteten Zuwanderer, die im allgemeinen Kurs das Sprachniveau B1 oder A2 erreichen, seit Jahren unverändert bei über 90 Prozent; jedoch erreichte zuletzt nur knapp mehr als die Hälfte das höhere Niveau.

Beim Beherrschen des Sprachniveaus B1 können Personen bereits einfache, zusammenhängende Geschichten zu vertrauten Themen erzählen und die meisten Situationen alleine bewältigen. Auf dem Level A2 können Personen Sätze sowie häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen und sich in einfachen Situationen verständigen.

Deutschland hat so viele Einwohner wie nie zuvor

Mit über 83 Millionen Menschen hat Deutschland so viele Einwohner wie nie zuvor. Im vergangenen Jahr wuchs die Bevölkerung deutlich. Das teilte das Statistische Bundesamt mit. Ein Grund seien die vielen Zuwanderer.

Quelle: WELT

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zog in einer Mitteilung ein vages, aber positives Fazit: „Die Integrationskurse tragen wesentlich dazu bei, die Deutschkenntnisse der Teilnehmenden zu verbessern und erfüllen damit ihren zentralen Zweck.“ Ob die Integrationskurse der Untersuchung zufolge heute aber tatsächlich als erfolgreicher gelten können als bisher, wollten die Fachleute des Bundesinnenministeriums und die BAMF-Forscher nicht klar beantworten.

Während der Vorstellung gestanden sie aber erheblichen Nachbesserungsbedarf ein: Lehrkräfte hätten vor allem bei geflüchteten Zuwanderern mit „vielschichtigen Herausforderungen“ zu tun, hieß es. Zu den Problemen zählen demnach ein niedriges Bildungsniveau der Teilnehmer, psychische Belastungen durch Traumata und eine zu geringe Teilnahmequote von Frauen.

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Die Dozenten müssten anhand solcher Herausforderungen noch stärkere Unterstützung erhalten, zum Beispiel durch Fortbildungen, sagte BAMF-Forscherin Anna Tissot. Seit Juni würden etwa in einem Pilotprojekt bereits Dozenten im Bereich Trauma fortgebildet.

Besonders Frauen brächten im Durchschnitt ein niedrigeres Bildungsniveau mit und hätten ein höheres Risiko, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden, so Tissot. Zudem nähmen sie seltener an Kursen teil, wenn sie Kleinkinder betreuen müssen. Vonseiten des Innenministeriums hieß es, der Bund unterstütze die Kommunen seit 2017 bei der Betreuung. Nach einem „schwierigen Anlauf“ seien mittlerweile 43.000 Plätze gefördert worden.

Steigende Zahl der Alphabetisierungskurse

Als größte Schwierigkeit wurde die steigende Zahl der Alphabetisierungskurse genannt, die von etwas mehr als jedem fünften Teilnehmer besucht werden und heute etwa 30 Prozent der neu beginnenden Kurse ausmachen. Die Teilnehmer haben bei Unterrichtsbeginn weder Lese- noch Schreibkenntnisse.

Ein BAMF-Forscher erklärte, die Entwicklung sei darauf zurückzuführen, dass vor zwei Jahren noch „deutlich mehr hoch qualifizierte Zuwanderer“ die Kurse besucht hätten. Und: Während im August 2017 demnach noch 23 Prozent der Teilnehmer im Alphabetisierungskurs das Sprachniveau B1 erreichten, waren es im August dieses Jahres nur noch 14 Prozent. Diese Entwicklung sei insbesondere bei der Gruppe der Syrer sichtbar: Innerhalb von zwei Jahren sank die Abschlussquote auf dem Niveau B1 von 58 Prozent aller Teilnehmer auf 35 Prozent.

Für die Lehrkräfte sei das Unterrichten in den Alphabetisierungskursen besonders schwer, berichteten die Forscher. In dem Zwischenbericht wird ein Dozent mit folgenden Worten zitiert: „Das ist wirklich Knochenarbeit. Es ist sehr schwer, sich dazu zu motivieren, weil das Ergebnis nicht unbedingt sichtbar ist.“ Um die Arbeit attraktiver zu machen, wurde bereits 2016 das Mindesthonorar für regulären Unterricht von 23 Euro auf 35 Euro pro Unterrichtseinheit (45 Minuten) erhöht. Wer einen Alphabetisierungskurs leitet, erhält 40 Euro. Laut Studie sind 80 Prozent der Lehrkräfte weiblich.

Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, kritisierte die hohen Kosten der BAMF-Evaluation. Die Untersuchungsergebnisse seien nicht überraschend, die Kosten von 2,4 Millionen Euro aber „astronomisch“. Polat forderte: Statt die Mittel für die Integrationskurse für 2020 um über 20 Millionen Euro zu kürzen, sollten sie „deutlich erhöht werden: für eine bessere Bezahlung der Lehrkräfte, für kleinere Klassen, für mehr Kursstunden, für bessere Strukturen“.

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