Noch am Dienstag dieser Woche herrschte im Auswärtigen Amt offenbar das Prinzip Hoffnung vor. Da verschickte das Ministerium von Heiko Maas (SPD) Einladungen zur Mitreise anlässlich des Treffens der G-7-Außenminister in zwei Wochen im amerikanischen Pittsburgh. Hinweise im Hinblick auf die volatile Lage wegen des sich ausbreitenden Coronavirus enthielt die Mail nicht. Dabei kommen bei so einem Treffen Delegationen aus Ländern zusammen, die stark von dem Virus betroffen sind, Italien etwa oder Japan. Und auch Deutschland muss sich wohl inzwischen zu den Ländern zählen lassen, die andere als riskant einstufen.
Schon einen Tag später war dann klar, dass das Treffen in gewohnter Manier nicht stattfinden würde. Das US-Außenministerium teilte am Mittwoch, kurz nach Mittag, also am frühen Abend deutscher Zeit mit, die Konferenz finde nur noch per Video-Chat statt. Von deutscher Seite kam dazu zunächst keine Stellungnahme. Die Maßnahme war mit den G-7-Partnern nicht abgesprochen. Aus jetziger Sicht warf sie damit einen Schatten voraus. Wieder einige Stunden später verkündete US-Präsident Donald Trump nämlich, dass alle Einreisen aus Europa in die USA für 30 Tage untersagt seien.
Das hat die Europäer kalt erwischt. Die Entscheidung der USA sei „einseitig und ohne Beratung“ mit den Europäern getroffen worden, erklärten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstag. „Die transatlantische Freundschaft hätte es geboten, koordiniert vorzugehen“, sagte Angelika Niebler, Chefin der CSU-Landesgruppe im Europaparlament, WELT. Explizit ausgenommen hat Trump von seinem Bann Großbritannien. Das US-Konsulat in Berlin teilte noch am Donnerstag mit, dass man bis 3. April Visumverfahren, die nicht der Einwanderung dienten, einstelle.
Nicht nur die EU, auch die Außenpolitiker deutscher Parteien wurden von Trumps Maßnahme überrascht. Sie reagierten mit Unverständnis und Empörung. Auch ein gewisser Zynismus spricht aus den Äußerungen. „Ich bin nicht überzeugt, dass pauschale Einreisesperren geeignet sind, die Verbreitung des Coronavirus in den USA zu reduzieren. Immerhin gibt es in den USA bereits eine erhebliche Anzahl von Fällen“, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt (CDU), WELT und fügte hinzu: „Auch die Gründe für die Ausnahme Großbritanniens erschließen sich mir nicht.“
Hardt befürchtet, dass Trump mit seinem Vorgehen bei seiner eigenen Bevölkerung ein trügerisches Gefühl von Sicherheit wecken könnte. „Die Regierungschefs der Nationen sollten bei ihren Entscheidungen bedenken, welche Befürchtungen und falschen Erwartungen sie hervorrufen können. Die harte Reaktion der Börsen weltweit könnte durch die Entscheidung Donald Trumps beeinflusst worden sein.“
Trump hatte in seiner Begründung die Infektionskrankheit als „ausländisches Virus“ bezeichnet. Damit weckte er Assoziationen mit einer Art Invasion durch feindliche Mächte. Vizepräsident Mike Pence assistierte, indem er Europa als „das Epizentrum“ der Epidemie bezeichnete. Dabei betonen Kenner des US-Gesundheitssystems, dass die vergleichsweise geringe Zahl von nachgewiesenen Fällen – sie bewegt sich noch im Bereich von um die tausend – vor allem damit zu tun haben dürfte, dass in den USA kaum Menschen (etwa 11.000) getestet worden sind.
Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin wirft Trump vor, die Lage zu verkennen und das Gebot der internationalen Solidarität zu missachten. Aus Trittins Sicht nutzt Trump die Situation aus, um sie für seine Politik gegen Europa zu instrumentalisieren. „Für Trump gilt selbst bei Corona sein alter Spruch: ‚Europe is worse than China‘. Anstatt internationale Kooperation gegen eine globale Seuche zu praktizieren, wird Corona für die Fortsetzung seines Wirtschaftskrieges gegen Europa genutzt“, sagte Trittin WELT.
Ähnlich sieht es Alexander Graf Lambsdorff (FDP): „Die Ausnahme für das stark von Corona betroffene Großbritannien zeigt, dass es Trump um eine politische Maßnahme und nicht um eine gesundheitliche geht.“ Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Nils Schmid, sagte: „Jetzt zählt das Gebot der engen Abstimmung und Koordinierung, um Vorsorgemaßnahmen zwischen den Staaten dieser Welt zu treffen. Denn zur Realität gehört, dass Covid-19 keine Grenzen kennt und längst in den USA angekommen ist.“ Schmid sprach von einem „zynischen Versuch, von der eigenen Untätigkeit und den Unzulänglichkeiten des amerikanischen Gesundheitssystems abzulenken“.
Jürgen Trittin befürchtet weitreichende Folgen für die Bekämpfung der Pandemie. Corona könne nur besiegt werden, wenn international zusammengearbeitet werde. „Hierzu gehört der Austausch von Experten – worauf die Weltgesundheitsorganisation immer wieder hinweist. Sie rät explizit von pauschalen Reisebeschränkungen ab.“ Am Mittwoch hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) und der Präsident des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler deutlich gegen Reisebeschränkungen oder gar die Abriegelung von Staaten ausgesprochen. „Abriegelung ist naiv. Das Virus wird trotzdem kommen“, sagte Wieler.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken, Klaus Ernst, warnte vor den wirtschaftlichen Folgen der unklaren Aussagen Trumps. „Die Art, wie US-Präsident Donald Trump mit der Covid-19-Pandemie umgeht, zeigt deutlich, dass die Gefahr nicht nur von dem Virus ausgeht, sondern vor allem auch von unüberlegt und merkwürdig handelnden Amtsträgern. Trumps später zurückgezogene Aussage, wegen Covid-19 den Warenverkehr einzuschränken, deutet eher auf große Verwirrung als auf eine Strategie hin.“
Tatsächlich hatte Trump in seiner Fernsehansprache den Warenverkehr zunächst explizit einbezogen, für einen Stopp fehlten nur noch einige Genehmigungen. Er revidierte das aber kurz danach wieder. „Die Einschränkungen stoppen Menschen, nicht Waren“, schrieb er auf Twitter. „Solche Signale führen zu totaler Verwirrung. Wie soll der amerikanische Zoll auf diese Rede reagieren?“, fragt FDP-Mann Graf Lambsdorff. „Das ist unprofessionell im Quadrat.“
Gewisses Verständnis für Trump
Gleichwohl, bei aller Kritik an Trumps unabgestimmtem Vorgehen, ein gewisses Verständnis für den Reisebann lassen einige Politiker doch auch erkennen. „Einreisesperren sind durchaus ein Mittel, um Infektionsketten zu kappen“, sagt Graf Lambsdorff.
Auch Nils Schmid betont: „Es ist das gute Recht eines jeden verantwortungsvollen Staats- und Regierungschefs, zum Schutz der eigenen Bevölkerung entsprechende Vorkehrungen zu treffen.“ Nur müsse dies in Absprache mit den Partnern erfolgen. Angelika Niebler erinnert daran, dass auch Staaten Europas Reisenden aus China seit Wochen die Einreise verweigern. „Ein Reisebann ist durchaus eine sinnvolle Maßnahme, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Aber sie müssen abgestimmt erfolgen.“