WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. DIE WELT
  3. Fantasy: Welche Tolkien-Übersetzung ist die bessere?

DIE WELT Fantasy

Welche Tolkien-Übersetzung ist die bessere?

Feuilletonredakteur
Heftiger Streit in der Gemeinschaft des Rings. Aber der Krach kommt zur Unzeit. Schließlich erlebt der "Herr der Ringe" gerade seine x-te Renaissance. Beide Übersetzungen im Angebot

Man muss das verstehen: Namen stehlen ist wie Gesichter stehlen. Ob einer Nob oder Hob oder Bob oder Hinz oder Kunz heißt, macht also sehr wohl einen Unterschied. Welcher Joyce-Fan schließlich würde sich an einen Leopold Blum gewöhnen wollen? Aus dem großen Bloomsday könnte allzu leicht eine kleine Gartenschau werden. Andererseits: Die Grinsekatze hat der deutsche Carroll-Leser auch lieb gewonnen und würde sie gegen eine Cheshire Cat vermutlich nicht tauschen wollen. Hinz und Kunz oder Nob und Bob sind also durchaus diskussionswürdig. Wenn sie auch, zugegeben, echte Randfiguren sind in der Trilogie vom "Herrn der Ringe". Ein Streit um sie und ihresgleichen ist trotzdem entbrannt. Mehr noch: Seit Klett-Cotta im vergangenen November eine Neuübersetzung von J.R.R. Tolkiens Hauptwerk "Der Herr der Ringe" in den Buchhandel brachte, steht die Deutsche Tolkien Gesellschaft dem deutschen Tolkien Verlag gegenüber wie einst Frodo den Schwarzen Reitern. Man streitet um das Wort des Herrn.

Der Krach kommt zur Unzeit. Schließlich erlebt der "Herr der Ringe" gerade seine x-te Renaissance. Wie ein Rudel Pawlow'scher Hunde scheint die Öffentlichkeit auf die Vermarktungsstrategien für Peter Jacksons Filmtrilogie zu reagieren. Wie lange nicht mehr steigen die Verkaufszahlen des Romans. Plötzlich taucht Tolkien wieder auf den Bestseller-Listen auf, und plötzlich werden die Preise für alle Ausgaben des Fantasy-Klassikers - inflationsbedingt natürlich - angehoben.

Wohlgemerkt: für alle Ausgaben. Denn derzeit haben die Ringe zwei Herren. Noch hält Klett-Cotta zwei deutsche Übersetzungen bereit: die mittlerweile 30 Jahre alte von Margaret Carroux und die schon erwähnte neue von Wolfgang Krege.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Krege ist ein Mann von Ruf. Er ist Klett-Cottas bewährter Tolkien-Hausübersetzer, und wenn ihm im Laufe der Arbeit an 1200 Seiten Tolkien ein paar Fehler unterlaufen sind, so ist das tolerierbar und würde auch von der an sich Krege-freundlichen Tolkien-Fangemeinde toleriert. Allein: Es geht ums Prinzip. Fans sind erstens orthodox, und zweitens ist "Der Herr der Ringe" nicht irgendein Buch.

Das Problem: Wolfgang Kreges Neuübersetzung modernisiert. Die Mittelerdenbewohner sprechen sich in seiner deutschen Fassung nicht mehr mit "Ihr" an, sondern mit "Sie", und sie sagen auch schon mal "Chef" statt "Herr". Das Schlimmste aber: In das entlegenste (weil vollständigste) Reich gedruckter Fantasie ist sogar die New Economy eingedrungen, der ganze schäbige Kapitalismus der Informationsgesellschaft mit seinen hässlichen Termini wie "Firma" oder "Logo".

Das aber, bitte schön, darf nicht sein. Als der Deutschen Tolkien Gesellschaft im Sommer vergangenen Jahres die ersten Krege-Passagen in die Hände gerieten, reichten die Reaktionen von "Erstaunen über Bestürzung bis hin zur Empörung". Sogar von "Gefühlsausbrüchen" war die Rede. Auf einem "Tolkien-Thing" verglich man die Übersetzungen und Arbeitsgruppen wurden gebildet, die sich auf die bis heute andauernde Fehlersuche machten. Bald will man so weit sein und Klett-Cotta eine Mängelliste übergeben. Und bis es so weit ist, geht man an die Öffentlichkeit.

Im aktuellen Jahrbuch des Fantasy Club e. V. wirft der Gründungsvorsitzende der Deutschen Tolkien Gesellschaft, Marcel Bülles, Klett-Cotta indirekt vor, aus dem "Herrn der Ringe" ein Buch zum Film in spe gemacht zu haben. Auf Kosten des Tolkien'schen Textes. "Ich habe mich übel geärgert", zitiert Bülles, immerhin um Objektivität bemüht, einen anonymen Fan, "dass dieses Übersetzungsmachwerk im Schlepptau des Films wahrscheinlich sogar ein Verkaufserfolg wird. Ich verstehe den Ansatz des Übersetzers nicht (Verlagsvorgabe?). Immer wieder diese ?modernen' Ausdrucksweisen zur Beschreibung einer Welt, die einfach nicht in dieser sprachlichen Gegenwart stattfindet. Instinktlos."

Mag sein, der Fan hat Recht. Schon von Zeitgenossen ist Tolkien für seinen "ossianischen" Stil angegriffen worden und doch immer dabei geblieben, und vermutlich wäre ihm eine Modernisierung seines "Herrn der Ringe" nicht recht gewesen. "Ich sehe keinen Grund", so zitiert Bülles den hier immerhin von Krege übersetzten Meister, "den viel bündigeren und lebhafteren alten Stil nicht zu gebrauchen, ebensowenig wie dafür, die altertümlichen Waffen, Helme, Schilde, Panzerhemden gegen moderne Uniformen auszutauschen."

Zugegeben: Das sitzt. Klett-Cotta jedenfalls hält, nach einem kurzen "Lieferengpass", wieder beide Ausgaben bereit. Eine Übersetzung für die Orthodoxie und eine für die Kinogänger von morgen. Die Hobbits "Nob und Hob" (Tolkien) und "Bob und Nob" (Krege) und "Hinz und Kunz" (Carroux) mag es freuen oder ärgern: Sie leben halt in Babylon.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant