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Der Bürgermeister-Macher von der Nordseeküste

Thies Thiessen in seinem Ohrensessel im Wohnzimmer in Meldorf Thies Thiessen in seinem Ohrensessel im Wohnzimmer in Meldorf
Thies Thiessen in seinem Ohrensessel im Wohnzimmer in Meldorf
Quelle: dpa
Seine Erfolgsquote ist beachtlich: 35 Bürgermeister-Kandidaten in Schleswig-Holstein hat Thies Thiessen gecoacht. Nur neun seiner Schützlinge verloren die Wahl. Für den Erfolg hat er ein Prinzip.

Es beginnt immer in einem antiken Ohrensessel. In dem Wohnzimmer in Meldorf nimmt Platz, wer in Schleswig-Holstein mit Unterstützung der SPD Bürgermeister werden will. Bis zu fünf Stunden berät und befragt Thies Thiessen seine Gäste, am liebsten deren Partner gleich mit. Er gilt als Bürgermeistermacher der Partei. „Ich bin die Kandidatenschnittstelle“, sagt der 71-Jährige.

Seine Erfolgsquote ist enorm: Seit 2004 hat er etwa 60 Interessenten beraten, davon 35 als Kandidaten in der Kampagne gecoacht. 26 von ihnen wurden Bürgermeister oder für die zweite Amtszeit bestätigt. Die nächsten stellen sich Ende Mai zur Wahl.

„Viele haben eine Vorstellung vom Bürgermeisteramt, die der Bürgermeister-Rolle bei Benjamin Blümchen ähnelt“, sagt Thiessen. „Dabei ist das ein ganz normaler, aber knochenharter Job.“ Für etwa jeden Fünften hat sich eine Kandidatur nach dem Gespräch erledigt. Von Thiessen für geeignet gehaltene Gesprächspartner bekommen eine Karteikarte und landen in einem kleinen Kasten. „Darin bewahre ich in der Regel etwa 30 Namen auf“, sagt der Sozialdemokrat.

Jurist aus Meldorf

Sucht die SPD irgendwo zwischen Nord- und Ostsee einen Kandidaten, kommt oft der Jurist aus Meldorf ins Spiel. „Es gibt durchaus Leute, die ich erst nach sechs, sieben Jahren vermittle.“ Manche müssen erst das passende Alter erreichen. Die günstigste Zeitspanne reiche von Anfang 30 bis Anfang 50, sagt Thiessen. Er war selbst knapp zwölf Jahre lang Verwaltungschef von Meldorf. „Es gibt nichts Schöneres, als in seiner Heimatstadt Bürgermeister zu sein.“

Das will Ende Mai auch Tanja Petersen in Fockbek. Die 45-Jährige tritt in ihrem Wohnort nahe Rendsburg gegen Amtsinhaber Holger Diehr an – unterstützt von der SPD und Thiessen. „Trotz meiner großen Verwaltungserfahrung bin ich bei einer Bürgermeisterwahlkampagne ja komplett unerfahren“, sagt die Diplom-Verwaltungswirtin aus der Kreisverwaltung. Thiessen gibt ihr Ratschläge zum Ablauf einer Kampagne und zu Strukturen.

Dass sie parteipolitisch nicht aktiv sei, empfinde sie als Vorteil, sagt Petersen. „Ich möchte gerne Bürgermeisterin werden. Schlicht und ergreifend, weil ich die Bessere bin.“ Nach dem zweistündigen Gespräch im Ohrensessel sei für sie sofort klar gewesen, dass sie Thiessen und dessen Erfahrung gut gebrauchen könne.

Thiessen gehört zur alten Schule

Rund 30.000 Kilometer legt der Geschäftsführer der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik jedes Jahr zurück. Vielversprechend sei das Modell Seiteneinsteigerin gegen Platzhirsch. „Möglichst gegen einen ‚alten Sack‘ eine junge Frau stellen – das klappt häufig.“ Thiessen ist viel gefragt. „Doch mehr als drei oder vier Wahlen schaffe ich nicht im Jahr.“

Für seine Wahlkämpfe hat er ein Modell. „Das Grundkonzept der Bürgermeister-Kampagne gibt es bereits vor dem Kandidaten, es wird nur auf ihn angepasst“, sagt Thiessen. Er setzt nicht auf teure Werbegeschenke, denn „wegen schlecht schreibender Kugelschreiber wird niemand gewählt“, und auch soziale Medien spielen nur eine untergeordnete Rolle. Thiessen gehört zur alten Schule. Neben einer professionell gestalteten Homepage setzt er vor allem auf eins: „Hausbesuche sind das Wichtigste.“

Ob jemand tatsächlich das Zeug zum Bürgermeister hat, zeigt sich manchmal erst auf der Straße. „Der erste Test, ob man überhaupt eine Chance hat, ist auf dem Marktplatz“, sagt Thiessen. Auf große Unterstützung lokaler Parteiprominenz verzichtet er lieber. „Die Kandidaten müssen aus sich selbst heraus Strahlkraft entwickeln.“

„Schönheit wird gewählt“

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Für den Wahlsieg setzt der Coach von der Nordseeküste auf Kompetenz, Charisma, Kommunikation und Bodenständigkeit. „Die höchste Stufe der Kompetenz hat ein Verwaltungsjurist oder Diplom-Verwaltungswirt, und ein Doktortitel ist sehr hilfreich“, sagt Thiessen. Klar sei auch: „Schönheit wird gewählt.“ Charisma hält er für erlernbar. Dafür reichten oft ein vernünftiger Handschlag, Augenkontakt und Zuhören. „Mit den Leuten reden, sich für ihre Probleme interessieren. Das ist es im Grunde schon.“

Das Wirken des SPD-Strategen hat auch die Konkurrenz im Blick. „Herr Thiessen macht einen guten Job“, sagt CDU-Landesgeschäftsführer Vitalij Baisel. „Die SPD ist bei Direktwahlen in den vergangenen Jahren sicherlich erfolgreicher gewesen.“ Deshalb solle eine Kommission unter Leitung des Vorsitzenden der Kommunalpolitischen Vereinigung, Ole Plambeck, einen Kandidaten-Pool aufbauen.

„Es sind auch schon einige Kandidaten drin“, sagt Baisel. Er gibt als Wunschziel – mit Verweis auf rund 100 Direktwahlen im Land – 300 bis 400 Kandidaten an. „Denn nicht jeder Kandidat passt auf einen Ort und umgekehrt.“ Die Partei unterstütze mit Personal und der Druckerei.

Auch Thiessen setzt nicht auf große Etats: „6000 bis 8000 Euro kostet die Grundausstattung einer Wahlkampagne.“ Darin enthalten sind 100 Plakate. Die Kosten trägt weitgehend der Ortsverband. Der Kandidat bringe seine Persönlichkeit, viele Straßenkilometer und reichlich Zeit ein. Trotz seiner Erfolge sucht auch Thiessen immer neue Gesichter. Denn der nächste Wahlkampf kommt bestimmt. „Und wir haben Kandidatenknappheit.“

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