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Köln Jakobskreuzkraut

Die Gefahr einer heimischen Pflanze

Jakobskreuzkraut Jakobskreuzkraut
Giftiges Jakobskreuzkraut breitet sich weiter aus
Quelle: ddp
Das Jakobskreuzkraut breitet sich seit einigen Jahren immer mehr aus und wird dadurch für den Menschen gefährlich. Ein Bonner Forscher erklärt warum.

Eigentlich ein schönes Kräutlein. Die gelben Blüten machen sich gut in einem bunten Wiesenstrauß. Doch der Schäfer, der seine Tiere durch die Sieg-Auen treibt, ist ganz und gar nicht begeistert. Er kennt die Pflanze. Ihr Name: Jakobskreuzkraut.

Seit Jahren breitet sie sich immer weiter aus, und der Schäfer sorgt sich um die Gesundheit seiner Tiere. Denn das so harmlos scheinende Kraut hat es in sich. Auch andere Tierhalter sind verunsichert, weshalb der Rhein-Sieg-Kreis die Bevölkerung erst kürzlich wieder über das Jakobskreuzkraut informierte. Im vorigen Jahr beauftragte die Landschaftsschutzbehörde des Kreises sogar einen Trupp von Ein-Euro-Kräften, die aus einer Wiese sämtliche Kreuzkraut-Pflanzen ausgruben.

Jakobskreuzkraut enthält Pyrrolizidin-Alkaloide, das sind Stoffe, die in der Leber zu giftigen Substanzen umgewandelt werden. Besonders bei Pferdehaltern ist die Pflanze gefürchtet, Pferde, aber auch Schweine reagieren besonders sensibel und schnell auf diese Alkaloide. Fressen Pferde die Blätter des Jakobskreuzkrauts, erkranken sie an einer Leberverhärtung, die von Tierärzten als Schweinsberger Krankheit bezeichnet wird und oft tödlich verläuft.

Ausbreitung kann gefährlich werden

Es ist freilich keineswegs neu, dass es Pflanzen gibt, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Auch das Jakobskreuzkraut und seine Giftigkeit sind lange bekannt, schließlich ist Senecio jacobaea eine heimische Pflanze und kein unbekannter Einwanderer wie etwa die Beifuß-Ambrosie, deren Gefährlichkeit als Allergie-Auslöser wir hierzulande erst zur Kenntnis nehmen mussten.

Nein, das Jakobskreuzkraut gehört seit eh und je zu unserem Ökosystem, die Raupen des Jakobskrautbärs zum Beispiel, ein heimischer Nachtfalter, sind auf das Kraut angewiesen. Überraschend ist allerdings, dass dieses altbekannte Jakobskreuzkraut sich seit einigen Jahren so rasant ausbreitet und damit plötzlich zu einer Gefahr für die Allgemeinheit zu werden droht.

Denn auch dem Menschen kann das Jakobskreuzkraut gefährlich werden. Doch diese Gefahr ist nicht so offenkundig wie etwa die Vergiftung durch eine Tollkirsche, die kein vernünftiger Mensch essen wird, oder durch den Knollenblätterpilz, den kein Pilzkenner anrührt.

Die Tücke des Jakobskreuzkrauts

Das Jakobskreuzkraut passt nicht in unser übliches Freund-Feind-Schema. Die Gefahren, die von ihm und den verwandten Kreuzkräutern ausgehen, sind heimlicher Natur. Man rechnet nicht damit in Zeiten, in denen es modern ist, heimische Wildkräuter bedenkenlos in den Salat zu schnippeln.

Entsprechend groß war die Aufregung, als 2009 Kreuzkraut der Art Senecio vulgaris im Rucolasalat gefunden wurde – die Blätter der beiden Pflanzen sehen sich sehr ähnlich. 2010 starb im Oberallgäu ein Landwirt, nachdem er die Blüten des Jakobskreuzkrauts gegessen hatte, es wird vermutet, dass er die Pflanze mit der Färberkamille verwechselt haben könnte.

Gewiss, diese beiden Beispiele ließen sich abtun als tragische Einzelfälle. Und wer anfängt, über das Jakobskreuzkraut zu recherchieren, bekommt immer wieder zu hören, es handle sich um eine Medienhysterie, die befeuert werde vom „Arbeitskreis Kreuzkraut“, den die niedersächsische Pferdehalterin Sabine Jördens im Jahr 2007 gründete, nachdem sie ein Pferd verloren hatte, das Jakobskreuzkraut gefressen hatte.

Alkaloide gelangen in Nahrungskette

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Helmut Wiedenfeld, akademischer Direktor am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn, sieht das anders. Er erkennt einen größeren Zusammenhang – und schlägt Alarm. Weil das Jakobskreuzkraut, anders als früher, inzwischen überall verbreitet sei, müsse nun auch damit gerechnet werden, dass die in ihm enthaltenen Pyrrolizidin-Alkaloide in unsere Nahrungskette gelangen.

Für diese These gebe es bereits deutliche Hinweise: Kühe, die selbst resistent gegen die Gifte der Kreuzkräuter sind, geben diese an die Milch weiter. Und die Pollen von Kreuzkräutern, die in der Nähe von Äckern stehen, könnten das Getreide kontaminieren, befürchtet Wiedenfeld.

In welchem Umfang solche Gifteinträge tatsächlich schon stattfinden, wird derzeit vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erforscht, dort wird in Nahrungsmitteln nach Pyrrolizidin-Alkaloiden gesucht. In Bayern, wo das Wasserkreuzkraut häufig vorkommt, soll jetzt die Belastung in Futtermitteln getestet werden.

Jakobskreuzkraut am Straßenrand
Jakobskreuzkraut am Straßenrand: Das Kraut kann zu Vergiftungen führen. Foto: Felix Kšstle/dpa
Quelle: dpa

Nulltoleranz bei Pyrrolizidin-Alkaloiden

Wiedenfeld beschreibt die Substanzen als schwer fassbar. Ihre chemische Struktur sei äußerst variabel, sodass man es mit rund 500 Strukturen mit verschiedenen Eigenschaften zu tun habe. Ihr Wirkungsspektrum reiche von ungiftig bis extrem toxisch. Ein Jakobskreuzkraut, das in Höhenlagen wächst, ist giftiger als eines aus dem Flachland. Gleichzeitig gilt aber auch: Je wärmer das Klima, desto toxischer das Pyrrolizidin-Alkaloid.

Kinder reagieren stärker als Erwachsene. Tückisch sei außerdem, dass das eigentliche Gift erst durch die Umwandlung der Stoffe im Körper entsteht. All das mache es unmöglich, Schnelltests auf Pyrrolizidin-Alkaloide zu entwickeln oder sinnvolle Grenzwerte festzulegen. Wiedenfeld plädiert deshalb auf eine Nulltoleranz von Pyrrolizidin-Alkaloiden in Lebensmitteln.

Hinzu kommt, dass für den Menschen eine Pyrrolizidin-Alkaloid-Vergiftung mit kleineren Mengen, die über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, womöglich gefährlicher ist als eine einmalige höhere Dosis. Die Fachwelt nennt dieses Phänomen sub-chronische Toxizität und Langzeittoxizität. Das bedeutet: Anders als bei Pferden sind Kreuzkräuter-Vergiftungen beim Menschen oft schleichende Prozesse „mit einer hohen Dunkelziffer“, wie Wiedenfeld sagt.

Ursache für Lebererkrankungen

Er hat den Verdacht, dass Pyrrolizidin-Alkaloide Mitverursacher einer steigenden Zahl von Lebererkrankungen sein könnten. Denn tatsächlich können Hepatologen bei vielen schweren Leberschäden häufig keine Ursachen benennen.

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Sollte sich Wiedenfelds Verseuchungstheorie tatsächlich erhärten lassen, so hätte der Forscher auch einen Hauptverdächtigen parat: den Honig. Denn wenn Bienen in ein Feld geraten, auf dem viel Jakobskreuzkraut blüht, dann bringen sie nicht nur Nektar und Pollen mit, sondern auch jede Menge Pyrrolizidin-Alkaloide.

Die Gefahr, derart kontaminierten Honig zu bekommen, sei vor allem bei Importware aus Südamerika groß, sagt Wiedenfeld. Dort, auf trockenen, steinigen Böden, haben Kreuzkräuter noch bessere Lebensbedingungen als hierzulande.

Wiedenfeld hat bei Import-Honigen schon Belastungen mit Pyrrolizidin-Alkaloiden vorgefunden, die so hoch waren, dass man schon beim Verzehr von 50 Gramm Honig jene Tagesdosis von einem Mikrogramm Pyrrolizidin-Alkaloide um ein Vielfaches überschreiten würde, die die Arzneimittelverordnung etwa für medizinische Tees festgesetzt hat. Solche Honige müssten aus dem Verkehr gezogen werden, fordert Wiedenfeld. Überdies sei zu bedenken, so sagt er, dass auch viele Müslis und Riegel mit Honigen unbekannter Herkunft gesüßt seien.

Auch Echium ist toxisch

Werner von der Ohe, Leiter des Instituts für Bienenkunde in Celle, hat sich ebenfalls gründlich mit Pyrrolizidin-Alkaloiden im Honig beschäftigt und ein Informationsblatt für Imker herausgegeben. Deutsche Honige wiesen keine oder nur sehr geringe Gehalte an Pyrrolizidin-Alkaloiden auf, heißt es da.

Mit Ausnahmen: Zwei Honige hatten so hohe Werte, dass sie nicht zum Verzehr geeignet gewesen seien. Der Grund: Die Bienenstöcke standen in unmittelbarer Nähe zu Echium-Ackerflächen.

Echium oder Natternkopf ist eine ebenfalls bei uns heimische Pflanze, die wie die meisten Kreuzkräuter größere Mengen an Pyrrolizidin-Alkaloiden enthält. Das bestätigt Helmut Wiedenfelds Warnung, der sagt: „Die Imker sollten schon aufpassen, wo sie ihre Stöcke hinsetzen.“

Gefahr im ausländische Honig

Ähnlich wie Helmut Wiedenfeld so bewertet auch Werner von der Ohe ausländische Honige kritisch: Vor allem in Australien, Neuseeland und Südamerika sei die Gefahr groß, dass Pyrrolizidin-Alkaloide in den Honig geraten. Doch im Gegensatz zu Helmut Wiedenfeld geht Werner von der Ohe nicht davon aus, dass solche Honige in Deutschland in den Handel kommen.

Denn auch den Honig-Importeuren sei das Problem sehr wohl bewusst. Das bestätigt Karin Lang, zuständig für Qualitätssicherung beim Biolebensmittelhersteller Walter Lang GmbH, der bevorzugt Honig aus Südamerika verkauft. In bestimmten Regionen sei Honig tatsächlich stark mit Pyrrolizidin-Alkaloiden belastet, sagt Lang: „Doch wir testen die Honige bereits im Ursprungsland und kaufen nur unbedenkliche Ware.“

Bienen sind einer Pflanzensorte treu. Wenn die dann aber Gift enthält, landet das am Ende im Magen des Menschen
Bienen sind einer Pflanzensorte treu. Wenn die dann aber Gift enthält, landet das am Ende im Magen des Menschen
Quelle: dpa

Lauern die großen Gefahren der Pyrrolizidin-Alkaloide also doch eher im fernen Südamerika – und in Armutsländern wie Afghanistan, wo es vor einigen Jahren Tausende Tote durch kontaminiertes Korn gab? Oder wirft die Ausbreitung des Jakobs- und anderer Kreuzkräuter uns auch hierzulande zurück in eine vormoderne Zeit, in der der Genuss von Brot noch ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko sein konnte, weil das Getreide von Mutterkorn und anderen Giften verseucht war?

Landwirtschaftskammer bleibt gelassen

Clara Berendonk, Referentin der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen und Fachfrau für die Ausbreitung des Jakobskreuzkrauts, sieht die Sache etwas nüchterner. Die NRW-Landwirtschaftskammer hat schon 2003, als erstes Bundesland, auf die verstärkte Ausbreitung des Jakobskreuzkrauts hingewiesen – und den Landwirten eingebläut, dass diese Pflanze „nicht auf den Futtertisch“ gehöre, „weder im Weidefutter, noch in der Silage, noch im Heu“.

Auch in der aktuellen Landwirtschaftskammer-Broschüre „Jakobskreuzkraut – eine Giftplanze auf dem Vormarsch“ werden die Gefahren für das Vieh beschrieben. Hinweise auf eine Gefährdung des Menschen sucht man indes vergeblich. „Ich klammere nicht die Gefahr für den Menschen aus“, antwortet Berendonk auf eine schriftliche Anfrage: „Ich sehe aber aktuell aus den mir vorliegenden Informationen keinen Handlungsbedarf, die Pferde wild zu machen.“

Kein Grund zur Panik

Berendonk sieht also keinen Grund zur Panik, sondern lediglich zu erhöhter Aufmerksamkeit und zu einer pragmatischen Vorgehensweise. Zum Beispiel an Straßenböschungen und Banketten. Denn die seien nach dem Verbot von chemischen Unkrautvertilgungsmitteln lange Zeit schlecht gepflegt worden – „was dort die Ausbreitung von Jakobskreuzkraut beschleunigt haben dürfte“. Inzwischen sei dieses Problem aber erkannt, nun sei es Aufgabe der Straßenmeistereien, die Bankette regelmäßig zu mähen oder zu mulchen.

Der Straßenbau wird immer wieder als einer der Hauptgründe für die plötzliche Verbreitung des Jakobskreuzkrauts angeführt. In Saatgutmischungen, die speziell für die Befestigung von Böschungen eingesetzt wurden, seien jahrelang Jakobskreuzkrautsamen enthalten gewesen, so lautet der Vorwurf des „Arbeitskreises Kreuzkraut“. Und nun hätten Landwirte und Pferdehalter den Schaden auszubaden.

Pferde lassen Jakobskreuzkraut stehen

Dem hält Clara Berendonk zweierlei entgegen: Erstens verbreite sich auch das sogenannte „Schmalblättrige Kreuzkraut“ bevorzugt an Autobahnen, eine eingewanderte Kreuzkrautart, die nie in einer Saatmischung enthalten war. Und zweitens sei gerade die schlechte Weidewirtschaft „auf den meisten Pferdeweiden“ einer der Gründe, warum es dem Jakobskreuzkraut neuerdings so gut gehe. Denn normalerweise lassen Pferde das Jakobskreuzkraut stehen – sodass dieses auf Pferdeweiden in aller Ruhe blühen und anschließend seine pusteblumen-artigen Samen verbreiten kann.

Vielleicht ist aber auch der Klimawandel schuld. Jakobskreuzkraut fühlt sich in den gehäuft auftretenden Trockenperioden im Sommer wohl. „Während viele Grünlandarten darunter leiden, profitiert das relativ tief wurzelnde Jakobskreuzkraut in solchen Jahren“, schreibt Berendonk. 2011 sei das Jakobskreuzkraut „optimal zur Samenreife gelangt“.

Wie auch immer: Die Ein-Euro-Jobber im Rhein-Sieg-Kreis haben ihre Anti-Jakobskreuzkraut-Kampagne mittlerweile wieder eingestellt. Sie haben nun einen anderen Feind entdeckt, den es auszureißen gilt: die Herkulesstaude. Vielleicht ist dieser Kampf erfolgreicher.

Klimaforscher erwarten zukünftig häufiger Extremwetter

Die Dürre hat Deutschland weiter fest im Griff. Der Bauernverband fordert staatliche Hilfen für die Ernteausfälle. Klimaforscher sagen, wir müssten uns in Zukunft an extremes Wetter gewöhnen.

Quelle: WELT

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