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München Schneekugeln

Weiße Weihnacht gibt es heuer nur im Glas

Schneekugeln faszinieren seit mehr als 100 Jahren die Menschen. Für die einen sind sie purer Kitsch, für die anderen ein Stück Kindheitszauber Schneekugeln faszinieren seit mehr als 100 Jahren die Menschen. Für die einen sind sie purer Kitsch, für die anderen ein Stück Kindheitszauber
Schneekugeln faszinieren seit mehr als 100 Jahren die Menschen. Für die einen sind sie purer Kitsch, für die anderen ein Stück Kindheitszauber
Quelle: picture alliance / ZB/woi vfd
Weiße Weihnacht bleibt den meisten Deutschen dieses Jahr verwehrt – es sei denn, sie halten sich an Schneekugeln. Die Traumlandschaften verzaubern seit 1878 die Menschen. Doch das Geschäft bröckelt.

Die Chancen auf weiße Weihnachten stehen schlecht. Zu mild sind die Temperaturen, die Meteorologen für die nächsten Tage ankündigen. Hans Walter aus Kaufbeuren nimmt es gelassen. Schließlich hat der 62-Jährige das ganze Jahr über mit Schneeflocken und Winterlandschaften zu tun – wenn auch nur im Miniaturformat und hinter glasklarem Kunststoff.

Die Firma Walter & Prediger stellt Schneekugeln her. „Um Weihnachten herum haben unsere Kugeln Hochsaison. Denn jetzt sehnen sich die Menschen nach Schnee“, sagt Walter und dreht die kleine Kugel in seiner Hand auf den Kopf und wieder zurück. Langsam rieseln die weißen Flocken zu Boden.

Märchenmotive, der Nikolaus im Flugzeug, rodelnde Kinder, Schloss Neuschwanstein, das Münchner Hofbräuhaus, Flamingos mit Palmen, der Untergang der Titanic – es gibt fast nichts, das nicht in die kleine mit Wasser und Kunststoffschnee gefüllte Kugel passt, in der die Zeit stillzustehen scheint.

Mehr als 3000 Motive hat Walters Firma im Sortiment. Und jedes Jahr kommen neue hinzu. „Es macht Spaß, immer wieder neue Ideen für Schneekugeln zu entwickeln. Der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt“, sagt der Firmenchef.

Betriebsgeheimnis muss sein

Seit 34 Jahren ist er in dem Unternehmen tätig, das sein Vater Otto 1948 mit einem Partner gegründet hat und das seit 1954 Schneekugeln in ovaler Form auf den Markt bringt. Wie Walter sagt, gibt es in Deutschland neben seiner Firma nur noch eine in Hessen, die Schneekugeln herstellt.

Die Produktion erfordert viel Handarbeit: Die Motive werden teilweise handbemalt und jede Schneekugel wird von Hand befüllt. Über die Beschaffenheit der Flocken und die Aufbereitung des Wassers sagt Walter jedoch nichts – ein bisschen Betriebsgeheimnis muss sein.

Die kleinen Traumlandschaften, die beim Schütteln eingeschneit werden, begeistern die Menschen schon seit Jahrzehnten. Vor allem in den 1950er Jahren waren die Kugeln mit Ortsansichten als Souvenirartikel sehr gefragt, sagt Walter. Die ersten Exemplare sind jedoch weitaus älter. Schon auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1878 gab es Schneekugeln zu sehen. Um 1900 ließ sich der Wiener Erwin Perzy die „Glaskugel mit Schnee-Effekt“ patentieren.

Obwohl Schneekugeln für viele als Inbegriff des Kitsches gelten, haben sie bis heute nichts an Faszination eingebüßt. Das liegt am Schnee, der eine besondere Stimmung verbreitet, sagt Walter. „Bei uns in Europa ist die Winterzeit positiv besetzt. Viele verbinden damit schöne Dinge wie Weihnachten, Nikolaus und Rodeln.“

„Ein unglaubliches Glücksempfinden“

Für Urs Latus, Restaurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Spielzeugmuseum Nürnberg, ist es zunächst der Effekt der Überraschung, der die Faszination von Schneekugeln ausmacht: Man schüttelt die Kugel – und langsam schweben weiße Flocken auf niedliche Motive herab. „Vor allem bei Kindern löst Schnee ein unglaubliches Glücksempfinden aus“, sagt Latus.

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Dass Schneekugeln häufig als Kitsch bezeichnet werden, sei keineswegs negativ zu werten. „Der Wunsch nach Romantischem ist ein Urbedürfnis des Menschen.“ Im Spielzeugmuseum spielen Schneekugeln allerdings keine Rolle. „Das ist kein Spielzeug, sondern ein ganz klassischer Souvenirartikel, der als Dekoration gedacht ist.“

Kitsch hin oder her: „Schneekugeln waren cool, sind cool und werden immer cool bleiben“, ist Steffen Kahnt vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels (BVS) überzeugt. Die Kreativität bei den Motiven habe in den vergangenen Jahren zugenommen, der Markt sei dadurch breiter geworden.

Das Besondere an Schneekugeln ist für den stellvertretenden BVS-Geschäftsführer der Reflex, den sie auslösen. „Jung und Alt müssen einfach schütteln, wenn sie eine Schneekugel entdecken. Denn jeder schaut sich gerne eine Winterlandschaft mit Schneetreiben an.“ Die kleine Kugel sei ein beliebter Mitnahmeartikel und bringe für kleines Geld den Winter nach Hause.

500 bis 1000 Schneekugeln täglich

Die Firma Walter & Prediger in Kaufbeuren verkauft ihre Schneekugeln an Kunden in ganz Europa. Darüber hinaus habe sie auch schon Aufträge aus Japan, Saudi-Arabien und den USA gehabt, sagt Walter. Der kleinste Auftrag waren drei Kugeln, der größte 40.000.

Neben den klassischen Souvenirprodukten mit Ortsansichten oder Märchenmotiven entwirft und produziert das Unternehmen auch Werbekugeln – etwa für Autohersteller oder Telefonanbieter. „Das macht ungefähr die Hälfte unserer Produktion aus“, sagt Walter.

500 bis 1000 Schneekugeln können in Kaufbeuren pro Tag produziert werden. Wie viele es tatsächlich sind, sagt Walter nicht. „Das schwankt je nach Jahreszeit. Die Monate vor Weihnachten ist natürlich Hochsaison.“

Bis die Importe aus Fernost in den 60er Jahren das Geschäft mit Souvenirartikeln erschwerten, beschäftigte Walters Vater 150 Mitarbeiter und 150 Heimarbeiter in Kaufbeuren. Seit 1985 sind bei Walter & Prediger 20 Mitarbeiter beschäftigt.

Die Schneekugeln, die für weniger als 10 Euro in den Geschäften verkauft werden, sind nur ein Geschäftsbereich. Darüber hinaus hat die Firma nostalgische Produkte wie Kaleidoskope, Blechspielzeug und Musik-Spieldosen im Programm. „Schneekugeln sind die Identität unserer Firma. Aber von ihnen allein könnten wir nicht leben“, sagt Walter.

dpa

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