Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Reise
  3. Fernreisen
  4. Saudi-Arabien: Privat existiert eine geheime Parallelwelt

Fernreisen Inside Saudi-Arabien

Privat existiert eine geheime Parallelwelt

Illegale Partys und Popkonzerte: Ein Deutscher hat lange in Saudi-Arabien gelebt. Er berichtet aus dem Alltag in einer Diktatur, in der privat jeder macht, was er will. Man darf sich nur nicht erwischen lassen.
verantwortliche Redakteurin Reise/Stil/Motor
Saudi-Arabien: Toni Riethmaier in der antiken Felsenstadt Mada'in Saleh Saudi-Arabien: Toni Riethmaier in der antiken Felsenstadt Mada'in Saleh
Unterwegs mit Einheimischen: Toni Riethmaier in der antiken Felsenstadt Mada'in Saleh
Quelle: Toni Riethmaier/Riva

Frauen in sexy Designer-Minis tanzen zu Elektrobeat, wumm-wumm-wumm, gemixt von extra aus dem Libanon eingeflogenen DJs. In einer Ecke knutscht ein Paar. Der Hausherr thront auf einem roten Sofa, neben ihm steht ein Tisch voller Whisky- und Wodkaflaschen. Um Mitternacht startet eine gigantische Pyrotechnikshow am Pool. „Das war sie, die Party aller Partys“, sagt Toni Riethmaier, 39. Ausgerechnet in Saudi-Arabien.

Der Nürnberger Gastronom hat länger als die meisten Expats im arabischen Königreich gelebt – und mehr gesehen als andere. Er leitete zehn Jahre lang ein italienisches Restaurant in der Hafenstadt Djidda.

„Es waren die extremsten Jahre meines Lebens“, sagt er nach seiner Rückkehr aus jenem Land, in dem die Scharia und staatlich verordnete Geschlechtertrennung herrschen, die Religionspolizei alles kontrolliert, in dem Menschenrechte ununterbrochen verletzt werden, jede Woche öffentlich ausgepeitscht und hingerichtet wird.

Saudi-Arabien: Deutsche laden auch mal zum Oktoberfest
Privat geht eine Menge: Deutsche laden auch mal zum Oktoberfest
Quelle: Toni Riethmaier/Riva

Und doch blieb Riethmaier. „Es gibt nicht nur das eine, es gibt auch das andere Saudi-Arabien“, sagt er. Eine private Parallelwelt im Geheimen, in der alles erlaubt ist, solange man sich nicht von der Religionspolizei erwischen lässt. Partytime in Saudi-Arabien. „Ich habe trotz allem gern dort gelebt, auch weil ich der Ansicht bin, dass man kein Land und damit auch nicht seine Einwohner pauschal verteufeln kann, ohne dort gewesen zu sein.“

Lesen Sie auch

Fenster in Djidda sind grundsätzlich verspiegelt

Was er alles Erschreckendes, aber auch Absurdes, Stinknormales, Kurioses und Menschliches erlebt hat, beschreibt er in dem spannenden Band „Inside Saudi-Arabien“ (Riva Verlag, 272 Seiten, 16,99 Euro). Es ist ein ganz persönlicher Blick hinter die Fassaden. Er berichtet aus dem Alltag in einer Diktatur, über die man so gut wie nichts weiß, weil westliche Touristen bislang nicht einreisen dürfen.

Toni Riethmaier zog im Gegensatz zu vielen anderen Ausländern nicht in ein isoliertes Compound, das abgeriegelte Ausländerviertel, sondern in einen saudi-arabischen Wohnblock mitten in Djidda. Die Metropole am Roten Meer gilt ohnehin als die liberalste Stadt des Landes.

Saudi-Arabien: Toni Riethmaier beim Shisha-Rauchen in Djidda
Anderswo verboten: Toni Riethmaier beim Shisha-Rauchen in Djidda
Quelle: Toni Riethmaier/Riva

In Djidda darf man Dinge tun, die anderswo verboten sind – es gibt nur hier Shisha-Bars oder Cafés mit Shisha-Service, in denen man gemütlich abhängen und dampfen kann. Die Stadt sieht sonst aus wie jede Großstadt auf der Arabischen Halbinsel: moderne Hochhäuser mit verspiegelten Fassaden, ältere hohe Betonwohnblocks mit Außenklimageräten an jedem zweiten Fenster, Familienhäuser mit Erdgeschoss, erstem Stock und hoher Betonmauer drum herum.

Fenster sind grundsätzlich verspiegelt. Die Privathäuser werden von der Außenwelt peinlichst abgeschottet, damit niemand sehen kann, was der ganz normale Saudi so treibt.

Private Partykeller sind in Saudi-Arabien fast Standard

Denn Toni Riethmaier hat schnell kapiert, kaum in Djidda angekommen: Nur, weil etwas offiziell und in der Öffentlichkeit nicht existiert, bedeutet das noch lange nicht, dass es das in Saudi-Arabien nicht gibt.

Anzeige

Was nicht sichtbar ist, wird verschwiegen, ignoriert oder auch schweigend toleriert. Zu Hause macht jeder, was er will, denn nicht einmal die Staatsgewalt und die Religionspolizei blicken hinter die verspiegelten Fassaden und die hohen Betonmauern.

Saudi-Arabien: Ein Beamter im Postamt genießt seine Pause
Alltag in einer Diktatur: Ein Beamter im Postamt genießt seine Pause
Quelle: Toni Riethmeier

„Ist die Tür einmal zu, kann man zu Hause machen, was man will. Also auch eine Cocktailparty mit nackten Mädchen am Pool, solange die Nachbarn nichts davon mitbekommen oder selbst mitfeiern dürfen“, sagt Riethmaier.

Auch ein Partykeller, wie man ihn früher aus dem 70er-Jahre-Deutschland kannte, sei in modernen saudi-arabischen Familien nahezu Standard. Dazu kommt Heimkino, manchmal mit Leinwand und Kinosesseln. Kino, Theater, Popkonzerte sind zwar eigentlich verboten, weil unmoralisch.

Über Satellit und dank kreativer Receiver-Software lassen sich aber mehr als 1000 weltweite Kanäle entschlüsseln und einwandfrei anschauen. Auch wird gestreamt, was das Zeug hält. Amazon Prime und Netflix sind beliebt, und dank spezieller Virtual-Private-Network-Protokolle können die Daten durch staatliche Firewalls weder blockiert noch zugeordnet werden, die Verschlüsselung wird verschleiert.

Der Reiz des Verbotenen lässt das Adrenalin steigen

Über Social Media werden private Partyeinladungen getarnt; am Wochenende findet oft irgendwo eine Klubnacht statt, entweder in Kellerbars, in der Wüste oder auch in verlassenen Beachclubs.

Bei Reithmaiers erster saudi-arabischen Party traf man sich in einem Privathaus, die Leute waren alle westlich gekleidet und tranken Cocktails. Da gab es auch mal aus Bahrain geschmuggeltes Bier oder schwarzgebrannte Spirituosen, Sid genannt, passenderweise die Abkürzung für Sadiqi, „mein Freund“.

Saudi-Arabien: eine heimliche Klubnacht in einer verlassenen Halle in Djidda
Irgendwo in Djidda: eine heimliche Klubnacht in einer verlassenen Halle
Quelle: Toni Riethmaier/ Riva

Toni Riethmaier: „Es war wie in einem kleinen europäischen Klub, nur dass die Stimmung besser war, denn wenn in Saudi-Arabien schon mal gefeiert wird, dann richtig, und der Reiz des Verbotenen bringt Adrenalin in die Angelegenheit.“ Illegal gefeiert wird ohnehin bei jeder sich bietenden Gelegenheit, Halloween etwa, Silvester, und Deutsche laden auch mal zum privaten Oktoberfest.

Anzeige

Immerhin: In der Öffentlichkeit gibt es erste moralische Lockerungen. Fast jedes Konsulat veranstaltet inzwischen Kulturfestivals mit Kino und Konzerten, wo Frauen und Männer gemeinsam hingehen. Zugleich will das Königreich in Zukunft Frauen das Autofahren erlauben.

Lesen Sie auch
President Vladimir Putin visits St.Petersburg
Saudischer Thronfolger MBS

Behutsam versucht sich das Land zu modernisieren, was auch daran liegt, dass Erdöl allein den Reichtum nicht mehr sichert. Die Regierung hat gerade die Vergabe von Visa für nicht muslimische Touristen angekündigt, Teil des Projekts „Vision 2030“ des Kronprinzen Mohammed Bin Salman.

Im Roten Meer sollen künstliche Urlaubsinseln entstehen. „Zwischen Ankündigung und Umsetzung können aber Jahre vergehen“, sagt Riethmaier. „Saudi-Arabiens größtes Problem ist seine Verschlossenheit. Doch nur die bietet den Einwohnern Freiräume, die sie sonst nicht haben.“

Saudi-Arabien erlaubt Frauen endlich das Autofahren

Früher wurden Frauen in Saudi-Arabien festgenommen oder sogar ausgepeitscht, wenn sie am Steuer erwischt wurden. Bald dürfen sie ganz legal Auto fahren - und das ist nur eine Reform des Frauenrechts.

Quelle: N24/Thomas Vedder

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema

Themen