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Fußball Pokalfinale in Frankreich

Das ungleichste Spiel der Fußball-Geschichte

Das Pokalfinale in Frankreich gegen das große Paris St. Germain – für den kleinen Drittligisten Les Herbiers könnte es kein bedeutenderes Spiel geben. Es sind zwei Welten, die in diesem Endspiel aufeinanderprallen.

Auch Les Herbiers hat jetzt seinen Eiffelturm. 32 Meter ist er hoch, ein Zehntel des Originals in Paris, und er steht auf dem Parkplatz des lokalen Fußball-Stadions. Die Lage ist natürlich kein Zufall. Der Fußball hat den Ort im Nordwesten Frankreichs mit seinen 16.000 Einwohnern ja erst auf die Landkarte gesetzt.

Rund doppelt so viele Menschen sahen an einem Dienstag im April, wie sich der Drittligist im benachbarten Nantes für das französische Pokalfinale qualifizierte. Die Torschützen gegen den Ligakonkurrenten FC Chambly hießen Florian David und Ambroise Gboho, auf den Tribünen hüpften, schrien, lachten und weinten sie vor Glück. Am Tag danach sorgten zwei Tore von Kylian Mbappé für den Sieg von Paris St.-Germain in Caen. Und so spielen sie am Dienstag also im Endspiel gegeneinander. Die Stars vom PSG gegen Les Herbiers vor 80.000 Menschen (21.05 Uhr; DAZN) im Stade de France.

Ein Märchen. Der Pokal in Frankreich ermöglicht solche Geschichten, denn er huldigt dem romantischen Grundgedanken, dass jeder gewinnen kann. Antreten dürfen alle rund 20.000 Fußball-Vereine der Nation (mehr als ein Drittel tun es in der Regel tatsächlich), auch die der überseeischen Gebiete, und wenn einer von denen die Vorausscheidungen übersteht, dann muss der Gegner eben mal nach Tahiti reisen. Vor allem aber gibt es in keiner Runde irgendwelche Setzlisten, die die Außenseiter zwangsweise auf die Favoriten treffen lassen und damit früh eliminieren würden.

Les Herbier's footballers celebrate
Party-Meute: Les Herbier's feiert den Finaleinzug nach dem Sieg in Nantes
Quelle: AFP/LOIC VENANCE

Vielen kleinen Klubs hat so mal eine Stunde des Ruhms geschlagen, aber Les Herbiers ist wohl der allerkleinste. Sicher, 2000 erreichte sogar ein Viertligist das Finale (das er erst in letzter Minute durch einen umstrittenen Elfmeter 1:2 verlor), Calais – aber das ist wenigstens eine große Stadt.

En Avant Guingamp wiederum, aus einem bretonischen Dorf von nur 7000 Einwohnern, war Zweitligist, als es 2009 den Titel gewann. Les Herbiers spielte noch nie so hoch, der 1919 gegründete und mehrfach umbenannte Verein stieg 2015 zum ersten Mal überhaupt in die semiprofessionelle dritte Liga auf, wo er derzeit einen Spieltag vor Schluss noch gegen den Abstieg kämpft.

Inbegriff der unbeugsamen Provinz

Les Herbiers liegt in der Vendée. Historikern ist die Gegend für ihre blutigen Aufstände gegen Revolution und Republik bekannt. Tour-de-France-Fans für ihre gefürchteten Winde. Abenteurern als Start und Ziel der tollkühnen Weltumseglungsregatta. Die Vendée ist Inbegriff der unbeugsamen Provinz.

Paris natürlich ist die Stadt, deren Fußball-Klub sich seit der Übernahme durch die katarische Herrscherfamilie besonders mondän gibt. Der wohl künftige Verein des deutschen Trainers Thomas Tuchel – die offizielle Bestätigung steht noch aus – könnte heute das nationale Triple perfekt machen, das es in Frankreich wegen des zusätzlichen Ligapokals gibt. Den gewann der PSG zum fünften Mal am Stück. Im Pokalfinale nun winkt der vierte Titel in Folge.

Die ökonomische Situation der beteiligten Klubs könnte unterschiedlicher nicht sein: Zwei Millionen Euro beträgt der Jahresetat von Les Herbiers. 550 Millionen Euro manövriert PSG. Es ist mit Sicherheit das ungleichste Spiel der Fußball-Geschichte, ein Märchen für Les Herbiers natürlich und eine Hommage an den französischen Pokal und dessen Faible für die Außenseiter. Aber zugleich eine Erinnerung, wohin sich dieser Sport entwickelt hat. Eine Groteske, die dem Fußball den Spiegel vorhält.

Als der Viertligist Calais im Jahr 2000 das Finale spielte, hatte er ein Budget von nur rund einer halben Million des damals noch nicht als Zahlungsmittel eingeführten Euro. Aber Finalgegner Nantes hatte auch nur rund 30 Millionen. Der PSG, auch damals Frankreichs Krösus, rund 50 Millionen. Die reichsten Klubs des Kontinents fingen in jener Saison gerade an, die 100-Millionen-Marke zu übertreffen.

Les Herbiers' players take part in
Die Kicker des Drittligisten Les Herbiers trainieren vor dem Pokalfinale im Stade de France
Quelle: AFP/FRANCK FIFE
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Es war die Saison, in der die Champions League im heutigen Format eingeführt wurde. Angesichts der damit einhergehenden Geldflüsse wurde europaweit rasch vor einer Schere im sportlichen Wettbewerb gewarnt, doch Gegenmaßnahmen wurden bislang nicht ergriffen, und mit dem Einstieg staatlicher Investmentfonds hat sich der Abstand weiter potenziert. Auch das lässt sich am französischen Pokal ablesen. Als mit US Quevilly vor sechs Jahren zuletzt ein Drittligist im Endspiel stand, traf er auf den langjährigen Branchenführer Olympique Lyon. Dieser bewegte einen Umsatz von 146 Millionen Euro. Es war die Saison der katarischen PSG-Übernahme.

„Sie werden mit Messer zwischen den Zähnen spielen“

Heute gibt es in Frankreich zwei Profis, die allein teurer waren als jene 146 Millionen. Neymar, momentan verletzt, kam für 222 Millionen aus Barcelona und verdient gut drei Millionen brutto pro Monat. Für Kylian Mbappé gilt es nach vorangeschobenem Leihgeschäft nun festgeschriebene 180 Millionen an AS Monaco zu überweisen. Transferausgaben bei Les Herbiers? Null Euro, null Cent. Der Kader wird auf einen Gesamtwert von gut vier Millionen geschätzt, das Durchschnittsgehalt auf rund 2500 Euro monatlich.

Guingamp goalkeeper Karl-Johan John
Kylian Mbappe überwindet mit einem Hackentrick Guingamps Torwart Karl-Johan Johnsson
Quelle: AP/Thibault Camus

Hat so ein Spiel überhaupt einen Sinn? Es spricht für die Kraft des Fußballs, dass es Leute gibt, die trotz allem an eine Sensation glauben. Jedenfalls zu „0,5 Prozent“. So hoch beziffert Kapitän Sébastien Flochon die Chancen seines gallischen Dorfs, dem ganz Frankreich an diesem 8. Mai – Feiertag in Gedenken an das Weltkriegsende – die Daumen drückt. Asterix gegen die Römer, ein beliebtes Motiv. Beim Drittligisten Quevilly gegen Lyon waren die TV-Quoten vor sechs Jahren doppelt so hoch wie 2017, als mit Paris und Angers zwei Erstligisten das Finale spielten.

Selbst gegnerische Spieler erweisen sich immer wieder als Fans der Underdogs. Anno 2000 bat der Kapitän von Nantes seinen Kollegen aus Calais auf die Tribüne, um gemeinsam den Pokal entgegenzunehmen. „Das ist super, die Magie dieses Wettbewerbs“, schwärmte nach dem Finaleinzug jetzt auch PSG-Profi Thomas Meunier, nachdem er sich erst mal geografisch abgesichert hatte („Das ist in der Vendée, oder?“) über Les Herbiers: „Finale ohne Reiz? Überhaupt nicht, viel besser so. Sie werden mit dem Messer zwischen den Zähnen spielen und 1000 Prozent geben.“

Unter Drittligakennern heißt es, Les Herbiers lege Wert auf einen gepflegten Ball. Tikitaka in der Vendée. Nach den entsprechenden Spielern dafür suchte man bewusst unter den überschüssigen Profis der Spitzenklubs. Innenverteidiger Kalifa Traoré hat für seinen Jugendklub PSG mal in einem bedeutungslosen Gruppenspiel der Champions League gespielt. Erstligaerfahrung weisen zwei Akteure auf, Mittelfeldspieler Joachim Eickmayer (zehn Partien für Sochaux) und Abwehrmann Franck Héry (drei für Nantes). Und Kapitän Flochon bringt immerhin einen hochkarätigen Kontakt ein: Er ist seit der Kindheit mit Nationalverteidiger Samuel Umtiti befreundet. Der hat ihm Tipps gegeben, wie Auswahlstürmer Mbappé zu verteidigen sein könnte.

In der Liga liegt Herbiers in der Abstiegszone

Beim Marsch durch die Pokalrunden hatte Herbiers das Glück, jedwede Begegnung mit Erstligisten zu vermeiden. Siege über die Traditionsklubs und ehemaligen Meister Auxerre (3:0 auswärts) sowie Lens (im Elfmeterschießen) konnten sich dennoch sehen lassen. Je aufregender es im Pokal wurde, desto schwerer fiel allerdings der Alltag. Von Platz sechs ging es hinunter in die Abstiegszone. Wäre die Partie am vergangenen Freitag gegen Stade Laval nicht noch umgebogen worden, würde es ganz düster aussehen. Aber aus einem 0:2 wurde noch ein 3:2, die Fans auf den Tribünen und Grashügeln des Stade Massabielle waren begeistert. Rund 4500 waren gekommen, dreimal so viele wie sonst. Der Eintritt war gratis.

Supporters of French third division
Durschnittlich kommen 1500 Fans zu den Heimspielen
Quelle: AFP/DAMIEN MEYER

Den Verzicht auf die Einnahmen konnte man sich gut leisten, denn die Prämien aus dem Pokal entsprechen ungefähr dem Jahresetat. Würde Les Herbiers das Finale gewinnen, ginge es sogar in die Europa League. Aber so weit denkt dann doch noch keiner. Lieber werkeln sie an der großen Party, die sie diesen Samstag am improvisierten Eiffelturm feiern wollen. Zu Ehren ihrer Helden, die in den letzten Tagen natürlich groß ausgeleuchtet wurden. Vom Torwart, Matthieu Pichot, gab es sogar eine Reportage über die Ehefrau zu lesen, eine Polizistin („Sie ist sein Schutzengel“). Natürlich wird er beim Duell zwischen David und Goliath besonders im Mittelpunkt stehen.

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Daneben kommen aus der Vendée aber auch noch etwas unüblichere Geschichten. Der Sänger und Künstler Philippe Katerine, Mann einer Tochter von Gérard Depardieu, und der Hip-Hopper MC Circulaire, erklärter Pionier des „Rap vom Lande“, haben eine dadaistische Finalhymne verfasst: „85 Rouge et Noir“, nach Postleitzahl und Klubfarben von Les Herbiers, basiert auf Fangesängen und Rekrutenliedern. Stolz und Selbstironie, Melange der Provinz. Wie bei Festivalorganisator Philippe Maindron, Spaßvogel und Erfinder der Schaukelpferd-WM, der die 500 Kilometer nach Paris auf einer Uraltmobylette zurücklegen wollte. Am Sonntagmorgen ging es los, die Ankunft in Paris wurde für Dienstagmittag terminiert.

Neymar weilte lange in Brasilien

Dort schlagen sie sich derweil so mit ihren normalen Themen rum. Trainer Unai Emery hat seinen Abgang verkündet; weil er das Champions-League-Achtelfinale gegen Real Madrid verlor, kann ihn kein nationaler Titel mehr retten. Weiterhin werden die Schlüsselmomente der Saison aufgearbeitet. Etwa jener Elfmeter zum 8:0 gegen Dijon im Januar, den Neymar dem langjährigen Mittelstürmer Edinson Cavani wegnahm, obwohl dieser mit einem Treffer vor eigenem Publikum und in relaxter Atmosphäre zum Toptorjäger der Vereinsgeschichte aufgestiegen wäre. Oder der ähnliche Streit schon im September gegen Lyon. „Ja, es stimmt, dass es damals ein Problem mit Neymar gab“, bestätigte Cavani inzwischen, was damals allseits dementiert wurde.

firo Fuvüball, Fussball: League 1: 27.01.2018 Paris St.Germain - Montpellier 4:0
Haben angeblich alle Probleme aus der Welt geschafft: Neymar und Edinson Cavani
Quelle: pa/augenklick/firo Sportphoto/Henri Szwarc/ABA

Seit Freitag ist der Brasilianer wieder in Paris, wo er die Reha von seiner Fußverletzung fortsetzt, die er nach dem Geschmack vieler Anhänger zu einem arg langen Heimatbesuch genutzt hatte. Nicht alle sind glücklich mit ihm, nach der Aktion gegen Dijon gab es sogar Pfiffe. Umgekehrt ließ auch er zuletzt kaum eine Gelegenheit aus, Desinteresse zu suggerieren. Während die Kollegen um die Meisterschaft kickten, zeigte er sich in den sozialen Netzwerken beim Pokern. Und so reißen die Gerüchte nicht ab, er wolle sich für einen Wechsel zu Real Madrid freipressen. Dass er dann nie ein französisches Pokalfinale gespielt hätte, könnte er seelisch wohl verkraften.

Für Les Herbiers jedoch könnte es kein größeres Match geben. Es sind zwei Welten, die dieses Endspiel zusammenführt, und man macht sich besser keine Illusionen. Sie nennen sich beide Fußball – aber sie haben nichts miteinander zu tun.

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