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Panorama Vermisstenfall

Wie sich Petra P. 31 Jahre lang totstellen konnte

Mit diesem Bild suchte die Polizei in Braunschweig 1984 nach Petra P. Mit diesem Bild suchte die Polizei in Braunschweig 1984 nach Petra P.
Mit diesem Bild suchte die Polizei in Braunschweig 1984 nach Petra P.
Quelle: Securitel/ZDF/Screenshot Youtube
Einen so mysteriösen Fall gab es bei der Braunschweiger Polizei noch nie. Vor 31 Jahren verschwand eine 24-jährige Studentin, alles deutete auf Mord hin. Nun ist sie wieder aufgetaucht - lebendig.

31 Jahre lang glaubten Familie und Freunde, Petra P. aus Braunschweig sei ermordet worden. Die damals 24-jährige Studentin verschwand am 26. Juli 1984 spurlos. Nun ist sie wieder aufgetaucht, quicklebendig in Düsseldorf. Die mittlerweile 55-Jährige lebte die letzten Jahre in einer kleinen Wohnung in der Innenstadt und hatte sich einen anderen Namen zugelegt.

„Wir sind natürlich sehr froh, dass Frau P. am Leben ist“, sagt Joachim Grande, Sprecher der Polizei in Braunschweig. Doch der Fall bleibt mysteriös.

Was geschah am 26. Juli 1984? Die Sendung „Aktenzeichen XY...ungelöst“ berichtete damals detailliert über den Fall.

Rückblende: Petra P., Studentin der Informatik in Wolfsburg, ist fast fertig mit ihrer Diplomarbeit. Rund 100 Seiten hat sie mit der Hand schon beschrieben. Zu Ende bringen möchte sie die Arbeit in ihrem Elternhaus in Braunschweig. Dort hat sie ihre Ruhe, die Eltern wollen für zwei Wochen in den Urlaub fahren. Und so kann sie sich auch um den jüngeren Bruder kümmern.

Den Tag ihres Verschwindens hat die Polizei zunächst recht genau rekonstruiert. Petra P. bittet einen Kommilitonen aus dem Studentenwohnheim, in den kommenden zwei Wochen ihre Blumen zu gießen. Dann fährt sie in die Stadt, um ein Geburtstagsgeschenk für den kleinen Bruder zu besorgen. Auch einen Zahnarzttermin nimmt sie noch wahr. Was dann geschieht, ist unklar. Ist sie in den Bus nach Braunschweig gestiegen? Oder woanders hin? Zeugen gibt es keine. Sicher ist nur: In Braunschweig kommt Petra P. nie an. Der jüngere Bruder erstattet am nächsten Tag eine Vermisstenanzeige.

Ein Mann gesteht den Mord an Petra P. - und widerruft

Schnell geht die Polizei von einem Gewaltverbrechen aus. Gestützt wird diese These durch den Mord an einem 14-jährigen Mädchen im Jahr zuvor. Ihre Leiche wurde in der Nähe der Bushaltestelle in Wolfsburg gefunden, von der aus Petra P. nach Braunschweig fahren wollte. Als dann auch noch der bereits verurteilte Mörder des Mädchens gesteht, auch Petra P. umgebracht zu haben, machen sich Familie und Freunde der jungen Frau kaum noch Hoffnungen. Zwar widerruft der vermeintliche Täter sein Geständnis später wieder - aber Petra P. bleibt verschwunden.

1989 lassen die Eltern ihre Tochter für tot erklären. Der Fall scheint damit abgeschlossen, die Akte Petra P. verstaubt im Regal der Polizei Braunschweig. Bis vor ein paar Tagen. Die Düsseldorfer Polizei befragt im Zusammenhang mit einem Wohnungseinbruch in der Nachbarschaft auch Petra P. Die Frau kann sich nicht ausweisen, weicht aus, reagiert seltsam - und gesteht schließlich, dass sie die seit 31 Jahren vermisste Petra P. ist.

Sofort machen sich zwei Braunschweiger Beamte auf den Weg ins rund 320 Kilometer entfernte Düsseldorf und vernehmen Petra P., das Mordopfer, das nun doch keines war. Petra P. hatte in den vergangenen 31 Jahren in verschiedenen deutschen Städten gelebt – immer ohne Papiere und unter falschem Namen. Sie hatte kein Bankkonto, keine Versicherung. Über Wasser hielt sie sich „mit Jobs, für die sie bar bezahlt wurde“, so Polizeisprecher Grande.

Das Verschwinden war sorgfältig vorbereitet

Heute wissen die Beamten, dass das Verschwinden von Petra P. gar nicht so plötzlich war. Im Gegenteil. Die damals junge Frau hatte ihr Abtauchen offenbar genau geplant. „Sie hatte bereits eine Wohnung in Gelsenkirchen angemietet“, sagt Grande. Auch hatte sie Geld zur Seite gelegt und sich entschieden, keinen Koffer mitzunehmen. Sie ließ alles so aussehen, als sei ihr etwas zugestoßen.

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Warum Petra P. sich auf diese Weise aus ihrem alten Leben verabschiedete, will sie nicht sagen. Sie schweigt über ihre Motive und gibt auch keine Auskunft darüber, wie sie die letzten 31 Jahre gelebt hat. Zu ihrer Familie - der Mutter und dem Bruder, die mittlerweile bei Gifhorn leben - möchte Petra P. weiterhin keinen Kontakt haben. Begründet habe sie das nicht. „Aber das müssen wir so akzeptieren“, sagt Grande.

Die Mutter und der Bruder - der Vater ist mittlerweile verstorben - sind fassungslos darüber, dass das jahrzehntelang totgeglaubte Familienmitglied am Leben ist. „Die Nachricht hat sie sehr aus der Bahn geworfen“, sagt Grande. Und nicht zuletzt wohl auch die Tatsache, dass Petra P. auch jetzt, nach all den Jahren, keinen Kontakt zu ihnen haben möchte. „Die beiden haben einen Brief geschrieben, den wir Petra P. zukommen lassen werden“, sagt Grande. Sie schreiben, dass sie sich wünschen würden, dass sie Kontakt zu ihnen aufnimmt. „Mehr können wir nicht tun“, sagt Grande, „wir können nur versuchen, ein wenig zu vermitteln.“

In der nächsten Zeit hat Petra P. vermutlich genug damit zu tun, wieder eine „ordentliche Bürgerin“ zu werden, mutmaßt Grande. Zunächst müsse sie vom Amtsgericht Wolfsburg wieder für lebendig erklärt werden. Dann müsse sie wieder ihren eigentlichen Namen benutzen, einen Ausweis beantragen und sich ordnungsgemäß melden. „Wenn das alles passiert ist, ist die ganze Sache vielleicht ein bisschen gesackt“, sagt Grande, „und vielleicht möchte sie dann ja auch wieder Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen.“ Und auch die Frage nach dem Warum ihres plötzlichen Verschwindens beantworten.

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