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Wirtschaft Dieselbetrug

Deutschlands Ohnmacht bei Frankreichs Schummel-Motoren

Verkehrsminister lässt Mercedes-Dieselrückruf weiter prüfen

Die Diesel-Abgaswerte des Mercedes-Benz Vito hatten das Kraftfahrtbundesamt auf den Plan gerufen. Bei dem Treffen einigten Zetsche und Scheuer sich auf eine gründliche Prüfung der fraglichen Diesel-Fahrzeuge.

Quelle: Reuters

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Renault liefert Mercedes Motoren, die ins Visier der Behörden geraten sind. Das hat Konsequenzen für die Deutschen. Doch bei Aktionen gegen ausländische Hersteller geben sich die Behörden plötzlich machtlos.
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Die Uhr läuft: Eine Frist von zwei Wochen hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Daimler-Chef Dieter Zetsche eingeräumt, um das ganze Ausmaß möglicher Manipulationen bei den Abgaswerten von Dieselfahrzeugen offenzulegen. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) nach eigenen Angaben auf illegale Abschalteinrichtungen beim Mercedes-Transporter Vito gestoßen ist, wird nun ermittelt, ob der in der Kritik stehende 1,6-Liter-Diesel-Motor (OM622) samt der Software, mit der sich die Abgaswerte manipulieren lassen, auch in anderen Mercedes-Modellen eingebaut ist.

Wurden der OM622 und die entsprechende Software auch in Pkw-Baureihen von Mercedes verwendet, beispielsweise in der C- oder G-Klasse, hätte der Stuttgarter Autobauer, der die Vorwürfe bestreitet, sein eigenes Diesel-Gate. Und obwohl der Fall bei Mercedes überschaubar scheint, steckt Verkehrsminister Scheuer bei der Aufklärung immer neuer Verdachtsfälle von Abgasmanipulationen in einem Dilemma.

Den fraglichen Motor für die jetzt unter Verdacht stehenden Mercedes-Modelle hat Renault geliefert, denn die Franzosen arbeiten eng mit Daimler zusammen. Nicht geklärt ist, wer die Software für die Fahrzeuge programmiert hat, die nach Angaben des KBA dafür sorgt, dass mehr Schadstoffe ausgestoßen werden als erlaubt.

War es Daimler oder Renault? Aber die Frage spielt keine entscheidende Rolle, denn die Typengenehmigung für die Mercedes-Modelle in Deutschland hat Mercedes selbst beantragt. Damit wird in allen Fällen von Gesetzesverstößen hierzulande nicht Renault, sondern der Stuttgarter Autobauer haftbar gemacht.

Seit Jahren im Fokus der Behörden

Das Problem ist nur: Renault und andere ausländische Hersteller wie Fiat stehen ihrerseits unter Verdacht, in Deutschland Autos zu verkaufen, die mit einer Software ausgestattet ist, die Testsituation auf Prüfständen erkennt und nur dort dafür sorgt, dass die Abgase richtig gereinigt werden. Im Fall von Fiat hat das KBA sogar eindeutige Belege vorgelegt.

Aber die deutschen Behörden sind bei Herstellern, die ihre Typgenehmigung im Ausland erhalten haben, also der Erlaubnis, bestimmte Modellreihen verkaufen zu dürfen, praktisch machtlos. Renault oder Fiat können hierzulande Autos mit Motoren verkaufen, die die Grenzwerte um ein Vielfaches übersteigen – und Scheuer kann praktisch nichts dagegen tun. Und die Behörden in Paris oder Rom schalten bei Anfragen aus Berlin, dem Treiben ein Ende zu setzen, auf Durchzug. Niemand hat dort Lust, gegen die eigene Autoindustrie vorzugehen.

Dabei steht Renault im eigenen Land seit Jahren im Fokus der Behörden. Seit 25 Jahren gibt es bei dem Hersteller immer wieder Fälle von Abgasbetrug, hat die französische Antibetrugsbehörde DGCCRF festgestellt. Demnach ist die komplette Führungsriege bis zum Konzernchef Carlos Ghosn in die Affäre verstrickt. Ein entsprechender Bericht mit diesem Ergebnis sei der Justiz übergeben worden, hieß es vor etwas mehr als einem Jahr in französischen Medien. Seitdem passierte – nichts.

Das Verfahren bei der Pariser Staatsanwaltschaft läuft noch immer, ein verpflichtender Rückruf wurde nicht verhängt. Renault kündigte zwar an, freiwillig mit Software-Updates die Abgaswerte seiner Fahrzeuge verbessern zu wollen, doch erst vor wenigen Tagen kam heraus, dass das erst bei rund fünf Prozent der betroffenen Autos auch tatsächlich passiert ist.

Auch in Italien pflegt man einen ganz anderen Umgang

Von einem harten Durchgreifen sind die französischen Behörden im Abgasskandal weit entfernt. Zwar wurden anfangs Verfahren sowohl gegen Renault als auch gegen den zweiten großen Autobauer des Landes, Peugeot-Citroën, eingeleitet, zu dem inzwischen auch Opel gehört. Doch herausgekommen ist bislang wenig bis nichts. An Renault ist der französische Staat mit rund 20 Prozent beteiligt, an PSA mit 13,7 Prozent. Die beiden Autobauer in die Mangel zu nehmen, würde in Frankreich bedeuten, den Staat zu schädigen.

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Auch in Italien pflegt man einen ganz anderen Umgang mit Manipulationsverdachtspunkten bei Dieselfahrzeugen als hierzulande. Längst gilt es als nachgewiesen, dass auch Fiat illegale Abschalteinrichtungen verwendet hat. Tests des KBA ergaben, dass die Abgasreinigung bei Diesel-Fahrzeugen der Italiener nach einer bestimmten Zeit offenbar abgeschaltet wird.

Die von Fiat verwendete Software funktioniert offenbar wie eine Art Zeitschaltuhr. Die sorgt dafür, dass die Abgasreinigung nach einiger Zeit abgeschaltet wird – und zwar nach etwas mehr als jener Spanne, die für die Abgastests auf den Prüfständen der Behörden nötig sind. Als das Bundesverkehrsministerium Vertreter von Fiat mit den Vorwürfen konfrontieren wollte und sie vorlud, kamen die einfach nicht. Die Deutschen seien einfach nicht zuständig, hieß es.

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Quelle: WELT/ Fabian Dittmann

Zwar hat daraufhin das Bundesverkehrsministerium die italienischen Kollegen informiert, doch passiert ist auch in diesem Fall nichts. Man sehe keinen Handlungsbedarf, heißt es in Rom. Diesel-Gate – das ist eine Sache von Volkswagen, ein deutsches Problem, mit dem man nichts zu tun haben will.

Auch die USA schauen auf einmal weg

Selbst die im Fall von Volkswagen so extrem strengen US-Behörden legen bei Konzernen mit amerikanischer Beteiligung ganz offensichtlich weitaus mildere Maßstäbe an. Fiat gehört zum Fiat-Chrysler-Konzern (FCA). Bereits vor einem Jahr hatten die US-Umweltschutzbehörde EPA und das amerikanische Justizministerium Klage gegen FCA erhoben, weil sie dem Konzern genau wie Volkswagen die Verwendung von illegalen Abschalteinrichtungen vorwerfen und damit einen Verstoß gegen die US-Umweltgesetze.

Es sind also dieselben Vorwürfe, die den Wolfsburger gemacht wurden. Doch während bei VW schnell hohe Strafen verhängt wurden, gibt es bislang keine vergleichbaren Sanktionen gegen FCA. Die US-Regierung hatte Chrysler 2009 mit Milliardenhilfen vor der endgültigen Insolvenz bewahrt.

Die deutschen Behörden ringen also bei den Abgasmanipulationen mit zwei Problemen: mit denen jener Hersteller, die hierzulande ihre Typengenehmigung erhalten haben, und den anderen, meist ausländischen Autobauern, die das in aller Regeln in ihren Heimatländern tun wie Renault und die deutsche Hersteller mit Teilen bis hin zu Motoren beliefern. Oder in Deutschland ihre Autos mit fraglicher Abgasreinigung verkaufen.

Verkehrsminister Scheuer sagt, dass er in diesen Fällen machtlos sei – das allerdings ist nur ein Teil der Wahrheit. „Der Verkehrsminister kann sehr wohl gegen ausländische Hersteller vorgehen. Sein eigenes Haus kommt zu dem Ergebnis, dass er Bußgelder verhängen kann“, sagt der Vizefraktionschef der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer. „Diese Bußgelder sind als Drohkulisse geeignet, damit Renault oder Fiat ihre Diesel-PKW in Deutschland sauber nachrüsten.“

Sich nicht gegenseitig an die Karre fahren

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Tatsächlich waren Juristen des Ministeriums in einer Einschätzung vom 17. Mai 2016, die WELT vorliegt, zu dem Ergebnis gekommen, dass sich im Fall eines „Vorhandenseins unzulässiger Abschalteinrichtungen“ die Möglichkeit einer „Auferlegung von Geldbußen ergibt“. Der Rechtsrahmen erlaube eine Buße von 2000 Euro pro Fahrzeug, im Fall von „erwerbsmäßigem Feilbieten 5000 Euro“. Belangt werden könnten Hersteller und Händler. Die theoretische Drohkulisse ist also groß. Die Realität ist trotzdem eine andere.

Denn allen Bundesverkehrsministern ist klar: Packen sie in Deutschland ausländische Hersteller hart an, kontern die Regierungen in deren Heimatländern mit großer Sicherheit. „Der Aufklärungsdruck ist in keinem der Länder besonders hoch, weil das politisch so gewollt ist“, kritisiert Grünen-Politiker Krischer. Zusätzlich will man sich nicht gegenseitig an die Karre fahren. „Wenn Verkehrsminister Scheuer jetzt beispielsweise gegen Fiat durchgreifen würde, dürften dass die italienischen Zulassungsbehörden animieren, bei VW, Daimler oder BMW genauer hinzuschauen.“

Und dass die Regierungen in Paris oder Rom die jeweiligen Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungen gegen VW oder Mercedes ermuntern könnten oder Sammelklägern aktiv Munition liefern, ist so ziemlich das Letzte, was man in der Bundesregierung will.

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Quelle: WELT/ Daniel Franz

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