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Bei der Energiewende droht Deutschland der endgültige Kontrollverlust

Wirtschaftsredakteur
Deutschlands Defizite bei der Umsetzung der Energiewende

Der Bundesrechnungshof sieht bei der Umsetzung der milliardenteuren Energiewende erhebliche Defizite. In einem Prüfbericht werden dem zuständigen Bundeswirtschaftsministerium im Herbst schwere Vorwürfe gemacht.

Quelle: WELT/Lukas Axiopoulos

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„Viel hilft nicht unbedingt viel“: Der Bundesrechnungshof wirft der Politik ein katastrophales Management vor. Eine Steuerung des Generationenprojekts findet praktisch nicht statt. Der Ressourcenverbrauch sei „beispiellos“.
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Der Bundesrechnungshof hat der Bundesregierung ein weitgehendes Versagen bei der Steuerung der Energiewende vorgeworfen. Der Aufwand für den ökologischen Umbau der Energieversorgung stehe in einem „krassen Missverhältnis zu dem bisher dürftigen Ertrag“, sagte Rechnungshofpräsident Kay Scheller in Berlin: „Die Bundesregierung droht mit ihrem Generationenprojekt der Energiewende zu scheitern.“

Etwas mehr als ein Jahr vor dem klimapolitischen „Meilenstein 2020“ zog das Kontrollgremium eine geradezu katastrophale Bilanz der Energiepolitik. Bei der angestrebten Reduktion der Treibhausgasemissionen und des Primärenergieverbrauchs werde Deutschland seine Ziele ebenso verfehlen wie bei der Steigerung der Energieproduktivität und der Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien im Verkehr. Gleichwohl habe die Politik enorme Kosten produziert.

„In den letzten fünf Jahren wurden für die Energiewende mindestens 160 Milliarden Euro aufgewendet“, heißt es in dem Bericht: „Steigen die Kosten der Energiewende weiter und werden ihre Ziele weiterhin verfehlt, besteht das Risiko des Vertrauensverlustes in die Fähigkeit von Regierungshandeln.“

Quelle: Infografik WELT

Der Bundesrechnungshof hatte der Bundesregierung bereits 2016 bescheinigt, keine Übersicht über die Kosten der Energiewende zu haben. Im aktuellen Bericht fällt die Kritik noch härter aus, weil sie einen generellen Kontrollverlust nahelegt.

Ressourcenverbrauch „beispiellos“

Nach den aktuellen Zahlen des Bundesrechnungshofes hat die Energiewende allein 2017 rund 34 Milliarden Euro gekostet. Darunter fallen neben den Aufwendungen des Bundes von knapp 8 Milliarden Euro auch die Belastungen der Letztverbraucher, insbesondere durch die EEG-Umlage. „Vonseiten der Bundesregierung gibt es hierzu übrigens keinen Gesamtüberblick über die Kosten, keine Transparenz.“

Dabei sei der Ressourcenverbrauch zur Umsetzung der Energiewende „beispiellos“. So beschäftigten die Bundesministerien und die nachgeordneten Behörden im vergangenen Jahr rund 675 Personen Vollzeit, davon allein 300 im Bundeswirtschaftsministerium, verteilt auf 34 Referate und vier Abteilungen. Daneben gebe es auf Bund-Länder-Ebene mindestens 45 Gremien, die sich mit der Energiewende befassen. Der Aufwand, der hier betrieben werde, stehe für sich fast schon im Widerspruch zu einem Hauptziel der Energiewende: dem sparsamen und effizienten Umgang mit knappen Ressourcen.

„Auch die Rechtsetzung fällt durch Masse auf“, stellte Scheller fest: „Allein auf nationaler Ebene regeln 26 Gesetze und 33 Verordnungen Erzeugung, Speicherung, Übertragung, Verteilung und Verbrauch von Energie.“ Es gebe allerdings „keine Stelle, an der alles zusammenläuft, keine Stelle, die Gesamtverantwortung übernimmt“, kritisierte Scheller.

All dies mache deutlich: „Viel hilft nicht unbedingt viel.“ Denn trotz einer großen Daten-Sammelwut gebe es keinen Gesamtüberblick. „Das Bundeswirtschaftsministerium nutzt 48 verschiedene Datenquellen, um anhand von 72 Indikatoren den Stand der Energiewende zu überprüfen, und dennoch „fehlt es an aussagekräftigen Daten, die für die Steuerung relevant sein könnten“. Viele Daten hätten kaum Steuerungswert oder stünden zu spät zur Verfügung, oftmals würden aber auch aus ihnen „schlicht die falschen Schlüsse gezogen“.

Fördermechanismen „kaum mehr durchschaubar“

So gebe es für die energiepolitischen Ziele Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit „keine quantifizierten Ziele, keine messbaren Indikatoren“, kritisierte Scheller: „Hier stehen wir im Nebel.“ Das Bundeswirtschaftsministerium sei nunmehr seit fünf Jahren für die Energiewende federführend zuständig, sei aber „nicht in der Lage zu bestimmen, was es tun muss, um dafür zu sorgen, dass die Ziele der Energiewende nachweisbar und wirtschaftlich erreicht werden“.

Quelle: Infografik WELT
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Das Dickicht unnötiger und komplizierter Fördermechanismen sei „kaum mehr durchschaubar“, kritisierte Scheller. Beispielsweise habe die Bundesregierung das Ziel gehabt, im Programm „StepUp!“ zur Verbesserung der Stromeffizienz von Unternehmen pro Jahr 1000 Anträge zu bewilligen. Tatsächlich bewilligt wurden am Ende genau zehn. Damit flossen im Jahr 2017 nur 1,2 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel ab“, stellte Scheller fest. „Das BMWi führt das Programm weiter.“

Dasselbe gelte für die Förderung der Elektromobilität, die kaum angenommen werde. „600 Millionen Euro sind weitgehend fehlgeleitet“, stellt der Rechnungshof fest. So gebe es viele Beispiele, bei denen „die Antragszahlen verdursten oder die Mittel nicht abfließen: Bei acht von 16 Förderprogrammen betrug der Mittelabfluss 2017 weniger als 50 Prozent.“

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Vorschläge, wie es besser gehen könnte, macht der Bundesrechnungshof auch: Statt des undurchdringlichen Förderdschungels und wild wuchernder Gesetze wäre eine CO2-Bepreisung eine einfache und transparente Alternative, die längst auch von Expertenkommissionen der Bundesregierung gefordert wird. Zur besseren Koordinierung der Energiewende sei eine Stabstelle auf Staatssekretärsebene denkbar, ein interministerieller Ausschuss sowie ein Bund-Länder-Ausschuss.

Regierung sieht „keinen Handlungsbedarf“

Die Bundesregierung wies die Darstellung zurück. Dabei argumentierte das von Peter Altmaier (CDU) geleitete Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in mehrfacher Hinsicht überraschend: Die Regierung halte die Energiewende für „effektiv und effizient koordiniert“ und sehe „keinen Handlungsbedarf.“ Dabei ging das Ministerium jedoch nicht auf die weitgehende Zielverfehlung der Energiewende ein.

Überraschend erklärte das Bundeswirtschaftsministerium auch, dass man die milliardenschwere Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht zu den Kosten der Energiewende zählen könne. Bislang galt diese EEG-Umlage zur Subventionierung der Ökostromproduktion im Gegenteil stets als der eigentliche Kern der Energiewende. Auch bei den milliardenschweren Entlastungen der Industrie von den Energiewendekosten handele es sich „um industriepolitische und nicht um energiewendebedingte Maßnahmen, die ebenfalls nicht der Energiewende zugerechnet werden dürfen.“

Ihre Weigerung, eine transparente Kosten-Nutzen-Bilanz der Energiewende aufzustellen, erklärte die Bundesregierung damit, dass man diese Kosten nur mit einem „kontrafaktischen Szenario“ vergleichen könne. Weil Stromnetze und Kraftwerke auch ohne Energiewende hätten erneuert werden müssen, sei nur ein Vergleich einer Energiewende-Welt mit einer Welt ohne Energiewende aussagekräftig. Ein solcher Vergleich sei aber wegen der großen Zahl unsicherer Grundannahmen nicht zu leisten.

Der Bundesrechnungshof hält diese Entgegnungen nicht für haltbar. „Auffällig ist, dass sich das Bundeswirtschaftsministerium nicht zu den teils erheblichen Zielverfehlungen geäußert hat“, stellt der Bundesrechnungshof fest.

Internationale Vorreiterrolle verloren

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Es sei zudem „unverständlich, dass das Ministerium die EEG-Umlage nicht zu den Kosten der Energiewende zählt“. Ein „kontrafaktisches Szenario“ sei ebenso unnötig, um die Gesamtkosten zu bewerten. Es komme schließlich „nicht darauf an, welche Ausgaben und Kosten hypothetisch auch ohne eine Energiewende entstanden wären, um diese mit den tatsächlich entstandenen Kosten zu verrechnen“, stellt der Rechnungshof klar: „Die mit einem kontrafaktischen Szenario verbundene Handlungsmöglichkeit ‚Verzicht auf eine Energiewende‘ besteht in der Realität nicht mehr.“

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Es sei „bedauerlich“, dass Deutschland seine selbst propagierte internationale Vorreiterrolle verloren habe, sagte Scheller: „Deutschland war stark gestartet und schneidet jetzt international vergleichsweise schlecht ab.“ Dabei verwies der Rechnungshofpräsident auf das Ranking des World Economic Forum: Danach ist Deutschland auf der Liste der zehn erfolgreichsten Energiewendeländer Europas nicht mehr vertreten. International belegt Deutschland nur Platz 16.

Insgesamt versuche das Bundeswirtschaftsministerium, „den Eindruck zu erwecken, die derzeitige Koordination und Steuerung der Energiewende sei im Wesentlichen optimal ausgestaltet“, heißt es in der abschließenden Würdigung der Prüfer. Aus Sicht des Bundesrechnungshofes seien aber entscheidende Verbesserungen unumgänglich: „Andernfalls könnte in der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, Deutschland sei nicht imstande, die gesamtgesellschaftlich und langfristig angelegte Energiewende erfolgreich zu gestalten und umzusetzen.“

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Quelle: Deutsche Wildtier Stiftung

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