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Rewe to go bereitet Tankstellenpächtern große Probleme

Korrespondent
Rewe to go Angebot von Lebensmitteln in Tankstellen scheitert

Frisches Obst statt Zigaretten? Lebensmittel sollten durch die Kooperation von Aral und Rewe to go dem Geschäft in Tankstellen auf die Sprünge helfen. Doch die Kunden reagieren anders als erwartet.

Quelle: WELT/ Kevin Knauer

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Aral hat sich mit seiner Rewe-Kooperation verkalkuliert: Die Kunden kaufen in Tankstellenshops kaum frische Waren, die Betreiber müssen Lebensmittel wegwerfen. Nun stoppt der Anbieter den Ausbau. Die Tankstellenbranche steht vor einem weitreichenden Wandel.

Worum geht es

Die Mitarbeiterin ist genervt. „Ich kann die Sachen schon gar nicht mehr sehen“, sagt die Angestellte einer Aral-Station an einer Ausfallstraße in Hamburg. Sie zeigt auf Fleischsalat, Salami oder Käse im Kühlregal. Jeden Abend schaut sie auf die Verfallsdaten der Waren. Doch viele Frischeartikel muss sie entsorgen. Immerhin erlaubt es der Chef, dass sie und ihre Kollegen einiges davon nach Hause mitnehmen dürfen. Auch in anderen Tankstellen des Marktführers bestätigen Beschäftigte diese Probleme. Wer derzeit bei Aral in den Abendstunden arbeitet, der kann das Wort „Verfallsdatum“ im Schlaf buchstabieren.

Früher gab es Zigaretten, Bier in Dosen und bestenfalls einmal eine Bockwurst im Tankstellenshop. Heute warten dort Sushi in der Plastikschachtel, geputzte Möhren und Paprika in der Plastiktüte oder Äpfel und Apfelsinen in Holzkisten auf die Kundschaft. An Tankstellen von Aral gibt es Dinge zu kaufen, die vor Jahren niemand mit einer Benzinstation in Verbindung gebracht hätte.

Rewe to go heißen diese neuen Shops. Deutschlands zweitgrößte Supermarktkette übernimmt als Partner von Aral die Organisation samt Lieferung der neuen Angebote. Die BP-Tochtergesellschaft Aral ist mit 2450 Benzinstationen an Straßen und Autobahnen sowie gut zwei Millionen Kunden am Tag das erste Branchenunternehmen in Deutschland, das einen derart groß angelegten Umbau wagt.

Aral zieht die Notbremse

Doch genau daran hakt es jetzt: Weil zu wenige Kunden Frischeprodukte in den Aral-Stationen kaufen und verderbliche Ware zu lange in den Regalen liegen bleibt, müssen viele Nahrungsmittel entsorgt werden. Die Tankstellenpächter haben jetzt dagegen protestiert, auch die angeblich hohen Preise von Rewe sorgen unter ihnen für Unmut. Deshalb hat Aral die Notbremse gezogen und den Ausbau vorerst gestoppt. Lediglich bei einer Handvoll bereits begonnener Neubauten wird dies fortgesetzt.

An 465 Aral-Tankstellen gibt es bereits einen Mini-Rewe-Laden. Bis zum Jahr 2021 sollen es 1000 Shops werden. Frühestens nach dem Sommer soll der Umbau nach den Ankündigungen weitergehen. „Wir wussten vorher, dass solch ein Prozess nicht zu 100 Prozent reibungslos läuft“, sagte ein Aral-Sprecher. Jetzt nehme sich der Konzern Zeit, das System zu optimieren. Dabei ist das Ziel ehrgeizig: Jeder siebte Euro des Umsatzes wird bislang an Aral-Tankstellen mit Essen und Trinken gemacht. Dieser Wert soll sich deutlich erhöhen.

Auch ein ethischer Faktor ist zu bedenken

Experten stellen die Frage, was aus einem Tankstellenshop überhaupt gemacht werden kann und wo Grenzen liegen. Die Aral-Manager wollen Einkaufsläden für den täglichen Bedarf schaffen. Die Kundschaft wollen sie mit passendem Sortiment, langen Öffnungszeiten und guter Erreichbarkeit überzeugen. Nach früheren Konzernangaben liegen die Ladenpreise bei Rewe to go dafür jedoch um rund 25 Prozent über den vergleichbaren Preisen im großen Supermarkt. Bei Stichproben vor Ort fallen Preisabstände von einem Drittel auf. Konkret lässt sich ein Vergleich an Markenartikeln ablesen: Lätta-Margarine kostet bei Aral fast genau so viel wie im großen Edeka-Laden – nur ist die Packung an der Tankstelle halb so groß.

Der Praxistest, was Kunden an der Tankstelle wollen, scheint nun aber härter auszufallen als gedacht. „Indisches Butter Chicken“ als Fertiggericht, eine „Asia Bowl“ mit Frischfisch und Gemüse oder auch die Plastikdose „Perl Couscous“ werden den Aral-Verkäufern jedenfalls nicht gerade aus den Händen gerissen. Ein Fehler bestand bei Aral offensichtlich darin, Verhältnisse aus dem Einzelhandel direkt auf das Benzingeschäft zu übertragen. „Eine Organisation etwa der Mengen und des Nachschubs, wie sie im Supermarkt funktioniert, passt nicht direkt auf eine Tankstelle“, sagte Rudolf Trettenbrein, Geschäftsführer der Beratungsfirma Inverto, im WELT-Gespräch.

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„Neben einem ethischen Faktor, den es zu bedenken gilt, sind es die hohen Kosten, die durch die Entsorgung von frischer Ware entstehen“, sagte der Experte für den Lebensmittelhandel. Die Abschreibungen darauf müsse schließlich die Tankstelle selbst oder deren Gesellschaft tragen. Auf Nachfrage beim Aral-Konzern heißt es, dass die Tankstellenpächter die Abschreibung übernehmen müssten. In der Anfangszeit habe es eine Unterstützung durch das Unternehmen gegeben, das sei jetzt vorbei. Besonders über diesen Punkt sind einige der Pächter verärgert.

„Es ist richtig, dass Aral jetzt die Reißleine gezogen hat, eine Pause einlegt und die Prozesse überarbeiten lässt“, sagte Trettenbrein. Die Beratungsfirma Inverto ist eine Tochtergesellschaft der Boston Consulting Group. Die Logistik, das Konzept und auch die Produkte müssten an die Bedingungen eines Tankstellenshops angepasst werden. Dazu gehörten andere Artikel genauso wie andere Größen.

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Derzeit ist das Angebot groß: Neben frischen Waren reicht es von Reis oder Nudeln über Dosengerichte und Müsli bis zum Haarshampoo. Mehrere Regalreihen stehen nebeneinander, in denen kaum ein Produkt des Alltagslebens fehlt. „Dafür muss die Voraussage, das Forecasting, verbessert werden, und das kann der Tankstellenpächter nicht leisten“, sagte Trettenbrein. Eine Tankstelle könne so etwas nicht steuern, diese Aufgabe müsse der Großhändler übernehmen. Damit läge der Ball im Spielfeld von Rewe.

In einem Teufelskreis gefangen

Viele Details beeinflussen den Verkaufserfolg: So kann ein niedriger Benzinpreis zum Kauf im Shop verleiten. Der Beginn von Schulferien kann ebenso für mehr Betrieb als üblich sorgen wie gutes Wetter, das alle an den Badesee treibt. Ein Beispiel: Frisches Hackfleisch verbietet sich im Tankstellenshop – jedoch nicht, wenn er in der Nähe eines Campingplatzes liegt und die Grillsaison begonnen hat.

„Es ist nicht trivial, eine Versorgung aufzubauen, bei der keine Lücken im Regal entstehen, bei der aber auch nicht zu viel Ware weggeschmissen werden muss“, sagte Trettenbrein. Kleinere Mengen öfter vorbeizufahren kostet jedoch in der Logistik von Rewe viel Geld. Das würde den Preisabstand der Tankstelle zum Supermarkt noch erhöhen.

Faktoren wie Wetter, Verkehrssituation oder Verkaufszahlen aus der Vergangenheit müssen bei den Bestellungen berücksichtigt werden. Derartige Modelle müssen zudem lernfähig sein und permanent Daten aufnehmen. Diese Verkaufsdaten wiederum fallen bei jedem einzelnen Kassenvorgang an. Mithilfe von Algorithmen können IT-Experten daraus eine optimale Warenbestückung errechnen. Eine der Folgen dieser Umstellung ist jedoch: Der Tankstellenbetreiber gibt die Hoheit über seinen Shop ein Stück weit ab und beschränkt sein eigenes Unternehmertum.

Dabei ist der Tankstellenshop der wichtigste Teil im Geschäft des Pächters. Nach früheren Angaben von Aral macht er 63 Prozent seiner Erträge mit dem Shop. Rund 16 Prozent stammen aus der Autowäsche und 14 Prozent aus dem Verkauf von Kraft- und Schmierstoffen. Im Shop wiederum haben Tabakwaren mit 54 Prozent den größten Umsatzanteil, danach folgen Essen und Trinken mit 13 Prozent.

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Absehbar ist, dass die Tankstelle vor einem weitreichenden Wandel steht. Schließlich wird der Absatz von Benzin und Diesel in den kommenden Jahren kontinuierlich sinken, weil die Menschen weniger und vor allem andere Autos fahren werden – mit Elektro-, Hybrid- oder Wasserstoffantrieb anstatt mit einem reinen Benzin- oder Dieselmotor. Direkter formuliert: An etlichen Stationen und in den meisten Unternehmen wird der Umsatz wegbrechen. Laut Berechnungen des Instituts für Verkehrsforschung, das zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt gehört, werden die Deutschen im Jahr 2040 noch gut 43 Millionen Autos besitzen. Das ist ein Rückgang gegenüber 2017 um sechs Prozent.

Experten sehen die Zukunft der Stationen denn auch in einer Art Servicecenter. Neben Schnell-Stromladestellen wird der Shop eine Bandbreite an Alltagswaren anbieten, die jedoch auf regionale Besonderheit und Kundengewohnheit hin ausgerichtet sein muss. Immerhin sind nach Analysen 80 Prozent der Einkäufe an der Tankstelle keine geplanten Aktionen, sondern Spontankäufe. Hinzu kommen Dienstleistungen wie das Abholen von Paketen, die beim Onlinehändler bestellt wurden, oder eine Reparaturannahme etwa für kleine Elektrogeräte. Denkbar ist auch, dass die herkömmliche Benzinstation um einen Umsteigeplatz für andere Formen der Mobilität ergänzt wird, sei es für das Carsharing oder ein autonom fahrendes Sammeltaxi.

Aral hat sich vor fünf Jahren für Rewe und gegen den langjährigen Lieferanten Lekkerland bei dem Projekt der neuen Tankstellenshops entschieden. Dass ein erneuter Wechsel bevorsteht, davon ist noch nicht die Rede.

Frauen sind ungern an Tankstellen

Für viele Männer sind Tankstellen nicht nur zum Tanken da; sie kaufen hier ein, halten sich gerne hier auf, betrachten den müffelnden Ort fast als Refugium. Bei Frauen ist das ganz anders. Schlecht für die Betreiber.

Quelle: WELT / Lukas Axiopoulos

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