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Das Coronavirus wird Einkaufen dauerhaft verändern

Freier Korrespondent Handel und Konsumgüter
Besuche in Altenheimen vermeiden – Berlin schließt alle Kneipen und Clubs

Viele Berliner Clubs sind seit diesem Wochenende geschlossen. Der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) rät, Menschen in Altenheimen nicht zu besuchen. Gesundheitsminister Spahn appelliert an die Krankenhäuser, zusätzliches Personal zu rekrutieren.

Quelle: WELT

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Die Corona-Krise beschert dem Onlinehandel mit frischen Nahrungsmitteln einen ungeahnten Boom. Gerade Ältere scheuen nun die Menschenmengen an den Regalen und entdecken die Vorzüge des E-Commerce. Das dürfte auch nach der Krise so bleiben, schätzen Experten.

Die Corona-Krise könnte ungeahnte Folgen für den Lebensmittelhandel haben: Sie wirkt derzeit wie ein Turbo auf Online-Angebote. Viele Nutzer scheuen Menschenansammlungen und vermeiden den Gang in den Supermarkt samt Kassenschlangen. Sie greifen stattdessen lieber zu Laptop oder Smartphone, um sich Getränke und Nahrungsmittel zu besorgen.

Rewe, Deutschlands größter E-Commerce-Betreiber bei frischen Lebensmitteln, sieht einen klaren Trend. „Im Onlinehandel spüren wir eine deutlich gesteigerte Bestellintensität“, sagte ein Sprecher in Köln. Vereinzelt komme es sogar zu längeren Wartezeiten: „In einzelnen Liefergebieten wie Berlin sind Zeitfenster für die nächste Lieferung erst nach Ablauf einer Woche verfügbar, in anderen Regionen schon am nächsten oder übernächsten Tag.“

Parallel verzeichnen auch reine Onlineanbieter massive Steigerungsraten. „Wir erleben aktuell einen Anstieg in der Nachfrage um fast 50 Prozent“, stellte Frederic Knaudt fest, Mitgründer und Deutschlandchef des Lieferdienstes Picnic. Das junge Unternehmen ist gegenwärtig vor allem im Westen von Nordrhein-Westfalen tätig. Im gesamten Liefergebiet sei ein Anstieg der Nachfrage über alle Produktkategorien zu verzeichnen, so Knaudt.

Für Nils Zündorf, Chef der auf die Beratung von Amazonhändlern spezialisierten Kölner Agentur factor-a, ist eine weitere Verstärkung aufgrund der Erfahrungen des am stärksten von der Epidemie betroffenen europäischen Landes bereits vorgezeichnet: „Italien ist eine Blaupause für die Entwicklung in anderen Ländern. In Italien sind Lebensmittel und Konsumgüter online gefragt wie nie zuvor.“

Frische Lebensmittel kaufen die Deutschen bisher fast ausschließlich beim Discounter oder im Supermarkt um die Ecke ein. Der Marktanteil der Onlineanbieter stieg zuletzt zwar, doch nur auf niedriger Basis. Die Zwei-Prozent-Marke ist nach jüngsten Daten längst nicht überschritten. Doch nun könnte sich das Verbraucherverhalten grundsätzlich ändern – und wohl auch dauerhaft, wie Marktkenner erwarten.

Die Unsicherheit über das neuartige Coronavirus breche gewohntes Einkaufsverhalten auf, fasste Handelsforscherin Eva Stüber die Ergebnisse einer Studie des Kölner IFH-Instituts zusammen. „Vor allem ältere Menschen werden jetzt auf den Onlinehandel aufmerksam, auch bei Lebensmitteln. Das wird bleiben. Die Leute gewöhnen sich daran und merken: Das funktioniert“, beobachtet auch Zündorf.

Nach der IFH-Analyse sagt zwar immer noch die Mehrheit der Konsumenten (53 Prozent), dass sie mit den Geschäften in ihrer Umgebung zufrieden seien, so dass kein Grund bestehe, ins Internet zu wechseln. Zudem sei eine gewisse Skepsis gegenüber den Lieferdiensten hinsichtlich der Qualität der Frischware wie Obst und Gemüse nicht verschwunden.

Die mit der Corona-Krise verbundenen Umstände beim stationären Einkauf rückten den Onlineverkauf von frischen Lebensmitteln jedoch nun in ein neues, attraktiveres Licht, so Stüber. Die Lebensmittellieferung nach Hause erscheine vielen Konsumenten nicht nur „als bequemere Option für den Wocheneinkauf, sondern aktuell auch als die gefühlt sicherere Wahl“.

Für Handelsunternehmen wird der Umschwung damit zur Chance – vorausgesetzt, sie reagieren schnell und richtig. „Wer sich jetzt als Lieferant von Lebensmitteln positiv platziert, schafft sich Wettbewerbsvorteile für den Aufschwung“, ist sich Ralf Moldenhauer sicher, Seniorpartner bei der Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG).

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Die Corona-Krise beschleunigt eine Entwicklung, die ohnehin in der Luft liegt. Die Beratungsfirma Oliver Wyman sagte kürzlich voraus, der Onlineumsatz mit Lebensmitteln werde sich in Deutschland bis 2030 mindestens verfünffachen. „Die Kunden von morgen wollen auch ihre Lebensmittel online kaufen“, erwartet Oliver Wymans Handelsexperte Nico Hemker.

Lebensmittel sind Nachzügler im Internet

Vor allem Jüngere seien interessiert. Mehr als die Hälfte der Personen unter 40 Jahre habe schon einmal bei einem Lebensmittellieferanten online eine Bestellung aufgegeben, ergab eine Umfrage des Beratungsunternehmens. Die Bereitschaft dazu sei bei Beziehern höherer Einkommen überdurchschnittlich groß.

Im Gegensatz zu Lebensmitteln ist der E-Commerce bei vielen anderen Konsumgütern längst marktbewegend, allen voran bei Unterhaltungselektronik mit 31 Prozent Online-Anteil (2018). Doch auch Mode, Accessoires und Freizeitartikel bestellen die Verbraucher laut Handelsverband Deutschland zu mehr als 25 Prozent im Netz.

Wenn es um frische Lebensmittel geht, fragen Online-Besteller mehr oder weniger dieselben Güter nach wie Käufer in den Läden vor Ort. Haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel wie Seife oder Desinfektionsspray würden am stärksten geordert, berichtet Knaudt: „Diese Artikel werden bis zu zehnmal mehr bestellt als sonst.“

Selbst bei Engpässen, wie sie nach Hamsterkäufen in den letzten Wochen kurzzeitig etwa bei Toilettenpapier oder Zucker aufgetreten waren, gibt es nach Beobachtung von Zündorf keine gravierenden Unterschiede zwischen stationärem Handel und E-Commerce: „Was in den Supermärkten weg ist, ist auch auf Amazon weg.“ Amazon selbst nahm nicht Stellung zur neuen Entwicklung.

Nach Erkenntnissen der Agentur factor-a, die Vorgänge auf der Amazon-Website laufend analysiert, profitiert die Lebensmittelsparte des US-Konzerns nur begrenzt vom Nachfrageboom. „Die Zahl der Suchanfragen nach knappen Artikeln ist extrem hochgeschnellt, aber die Umsätze haben sich meist nur verdoppelt oder verdreifacht“, erklärt Zündorf.

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Die Verkaufsziffern stiegen deshalb langsamer als nach dem Bestelleingang möglich, weil Lieferanten von begehrter Ware wie Nudeln im Zweifel ihre marktmächtigeren Kunden, die traditionellen Supermarktketten mit ihren Tausenden Verkaufsstellen, gegenüber Amazon bevorzugen würden.

Amazon Fresh beschränkt seinen Service bisher nur auf Mitglieder seines Loyalitätsprogramms Prime in München, Hamburg, Berlin und Potsdam. Ein Wettbewerbsvorteil der Online-Händler generell liegt nach Erkenntnissen von factor-a aber im breiteren Produktangebot mit oft Hunderttausenden von Artikeln. Damit könnten sie leichter Alternativen anbieten, wenn ein bestimmtes Produkt gerade nicht lieferbar sei.

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Angesichts der Coronavirus-Pandemie sagt die Klimaschutzbewegung Fridays for Future viele Demonstrationen ab. Greta Thunberg fordert die Aktivisten nun dazu auf, ihre Aktionen ins Internet zu verlagern.

Quelle: WELT / Laura Fritsch

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